Meinung

Ukraine: Poroschenko braucht einen Krieg für sein politisches Überleben

Dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko kann man vieles vorwerfen, aber ganz bestimmt nicht Trägheit. Er eilt von einem Termin zum nächsten und versucht alles, um Punkte bei einer von ihm müde gewordenen Bevölkerung zu sammeln. Das unbeliebte Kriegsrecht könnte sein Rettungsanker werden.
Ukraine: Poroschenko braucht einen Krieg für sein politisches Überleben Quelle: AFP © Mykola Lazarenko

Von Zlatko Percinic

Offiziell soll das von Poroschenko ausgerufene und vom Parlament gebilligte Kriegsrecht noch vor dem Jahreswechsel beendet werden. Und der ukrainische Präsident bestätigte mehrmals, dass die Präsidentschaftswahlen wie geplant am 31. März 2019 stattfinden werden. Letzten Umfragen zufolge liegt der Amtsinhaber an dritter Stelle, hätte jedoch im Falle eines zweiten Wahlgangs keine Chance. Und das, so wird ihm vorgeworfen, obwohl er sich eigens für die Präsidentschaftswahlen einen Fonds mit einer Milliarde Griwna (rund 31,5 Millionen Euro) aus Steuergeldern einrichten ließ, der in den neuen Haushalt für 2019 eingerechnet wurde. Laut Selbstauskunft soll der "Fonds des Präsidenten der Ukraine" für die "Unterstützung von wissenschaftlichen und erzieherischen Programmen für die Jugend" verwendet werden.

Petro Poroschenko ist ein Machtmensch, der diese Macht nicht so schnell aufgeben wird. Für die US-Botschaft in Kiew war er der "liebe Freund", der als "Insider" aus dem Machtgerangel in der Ukraine der Botschaft Rede und Antwort stand, obwohl er als jemand galt, der "mit glaubhaften Korruptionsvorwürfen behaftet" war. Diese Vorwürfe gab es allerdings nicht nur in der Ukraine. Auch in Moldawien, wo Poroschenko aufgewachsen ist und wo auch für sein Firmenimperium durch seinen Vater und älteren Bruder in den 1990er Jahren der Grundstein gelegt wurde, liefen Ermittlungen gegen ihn wegen Korruption und Betrug. Angeblich ermittelte weiterhin auch die rumänische Polizei wegen des Verdachts auf Mord an seinem acht Jahre älteren Bruder Mikhail, doch sämtliche Ermittlungen wurden 2005 eingestellt, als Poroschenko zum Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine berufen wurde.

Dass der Präsident der Ukraine so schlechte Umfragewerte hat, liegt unter anderem daran, dass sich die notorische Korruption in seinem Land seit der "Revolution der Würde" nicht etwa verringert hat, sondern in einigen Bereichen sogar noch verschlimmerte. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, dass Poroschenko dafür die Schuld trägt. Korruption begleitete die Ukraine von Anfang an und wird auch nach den Wahlen – sofern sie denn stattfinden – nicht einfach verschwinden. Die in den Umfragen ganz vorn liegende Julia Timoschenko, wetterte auf Facebook gegen die Oligarchen in der Ukraine, denen sie vorwarf "nicht nur in der Nähe der Macht zu sein, sondern die Macht (selbst) zu sein". Das wäre "die totale Korruption". Dabei ist sie ganz gewiss selbst ein Teil dieser "totalen Korruption", die sie nun öffentlich kritisiert, um so bei den Wählern zu punkten.

Timoschenkos militante Haltung gegenüber Russland ist für den ukrainischen Präsidenten ein Problem, denn er möchte auf gar keinen Fall gegenüber seiner stärksten Herausforderin als Schwächling dastehen. Zwar legt er sich rhetorisch mächtig ins Zeug und spricht von Krieg gegen Russland, zeigt sich martialisch vor seinen Soldaten und schreckt selbst vor einer Provokation im Schwarzen Meer nicht zurück, um anschließend bei westlichen Regierungen militärische Unterstützung zu fordern. Das war aber den Unterstützern Poroschenkos, insbesondere in Berlin, dann doch zu heikel. Stattdessen erhielt Kiew erst einmal wieder weitere 500 Millionen Euro aus Brüssel.

Dass der Krieg in der Ostukraine gegen die seit 2014 selbstausgerufenen "Volksrepubliken" von Donezk und Lugansk noch immer andauert und das "Problem" seitdem weder militärisch noch politisch gelöst werden konnte, bietet Timoschenko natürlich eine breite Angriffsfläche gegen Poroschenko. Sie versprach im Falle eines Wahlerfolges das Ende des "Kriegsbusiness", bei dem Kriegsprofiteure auf beiden Seiten sehr viel Geld verdient haben. Sie werde den Donbass befrieden und die abtrünnigen Gebiete wieder unter ukrainische Jurisdiktion bringen, indem sie die ukrainischen Streitkräfte weiter stärkt. Das ist eine unverhohlene Anspielung auf eine militärische Lösung des Konfliktes, die insbesondere bei nationalistischen Kreisen auf breite Unterstützung stößt und von dort schon seit langem gefordert wird.

Die Ausrufung des Kriegsrechts nach der Provokation im Schwarzen Meer und die Verlegung von tausenden Soldaten und schwerem Kriegsgerät an die Kontaktlinie im Donbass sind Versuche Poroschenkos, sich als starker Präsident zu profilieren. Dazu zählt auch die Aufkündigung des Freundschaftsvertrages mit Russland, die als "Teil unserer Strategie zum endgültigen Bruch mit der kolonialen Vergangenheit und der Neuorientierung an Europa" beschrieben wird. Ob das aber reichen wird, um dem innenpolitischen Druck als Ventil zu dienen, ist allerdings fraglich.

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Das verhängte Kriegsrecht, obwohl (zumindest bis jetzt) "nur" auf die Grenzregionen zu Russland und Transnistrien und zeitlich beschränkt, kommt bei der ukrainischen Bevölkerung nicht gut an. Laut Umfragen sind 58 Prozent der Ukrainer gegen dieses Regime eines Kriegsrechts, lediglich 33 Prozent dafür. Außer in der Westukraine, wo sich Befürworter und Gegner mit jeweils 44 Prozent die Waage halten, lehnen alle anderen Regionen dieses Regime mehrheitlich ab. Und satte 63 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass Poroschenko das Kriegsrecht ausgerufen habe, um die für Ende März 2019 geplanten Präsidentschaftswahlen zu verschieben.

In sämtlichen Umfragen liegt der ukrainische Präsident also abgeschlagen zurück. Eine Offensive gegen die "Volksrepubliken" von Donezk und Lugansk, wie sie von der militärischen Führung in Donezk für die kommenden Tage erwartet wird, könnte Poroschenkos Machterhalt zumindest kurzfristig dienlich sein. So sieht es auch Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, die in der Pressekonferenz am Mittwoch erklärte, dass es dem "Plan der Kiewer Strategen nach" für Poroschenko "lebenswichtig" wäre, den Konflikt eskalieren zu lassen. Sowohl vor den Nationalisten als auch gegenüber seiner Herausforderin Timoschenko könnte er sich als starker Präsident präsentieren, der das "Problem" Donbass endlich angeht.

Die Minsker Abkommen, die von Deutschland und Frankreich als Garanten für die Ukraine und von Russland als Garant für die "Volksrepubliken" ausgehandelt haben, muss man wohl als grandios gescheitert betrachten. Die Abkommen haben nichts weiter bewirkt, als dass sich die Kontaktlinie zu einer Grenze entwickelt hat, um die nach wie vor verbissen gekämpft wird. Die Frage wird allerdings sein, ob Poroschenko tatsächlich dazu bereit ist, als Preis für den eigenen Machterhalt tausende Tote in Kauf zu nehmen, die bei einer breit angelegten Offensive zweifelsohne zu beklagen wären. Bisher hatte er sich vor solchem Schritt gefürchtet. Und bekanntlich gehen viele Kriege nicht so aus, wie man sie geplant hatte.

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