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In 16 Jahren nichts gelernt: USA setzen in Afghanistan fünf Milliarden in den Sand

Der Generalinspekteur für Wiederaufbau in Afghanistan, John Sopko, veröffentlichte einen Report, der die Stabilisierungsbemühungen der US-Regierung in Afghanistan bilanziert. Sein vernichtendes Urteil: Die Anstrengungen sind größtenteils gescheitert.
In 16 Jahren nichts gelernt: USA setzen in Afghanistan fünf Milliarden in den SandQuelle: Reuters

Der Generalinspekteur für Wiederaufbau in Afghanistan, John Sopko, veröffentlichte am 24. Mai bei einem öffentlichen Termin einen Report, der die Stabilisierungsbemühungen der US-amerikanischen Regierung in Afghanistan bilanziert. Sein vernichtendes Urteil: Die Anstrengungen, die seit 2001 für die sogenannte Sicherung des Landes und die Umformung politischer Strukturen unternommen wurden, sind größtenteils gescheitert.

Mit seltener Klarheit beschreibt der Bericht mit dem Titel "Stabilization: Lessons from the U.S. Experience in Afghanistan" in einer Mängelliste die teilweise banalen, teilweise haarsträubenden Fehler, die dazu geführt haben, dass 4,7 Milliarden Dollar fast keinerlei nachhaltigen Effekt in dem Land hatten. Schlimmer noch: Die großzügige Geldpolitik hat Konflikte eher noch vertieft. Man habe sich überschätzt, so der Report im Hinblick auf die Zielvorgaben. Die Erwartungen an die Projekte seien von Beginn an zu hoch, die Zeitfenster insgesamt zu knapp bemessen gewesen.

Unter dem immensen Druck, unsichere Distrikte schnell zu stabilisieren, gaben die US-Regierungsbehörden viel zu viel Geld aus, viel zu schnell, in einem Land, das nicht bereit war, es aufzunehmen.

Interne Reibereien und Personalprobleme

Der Bericht spricht von schwerwiegenden Kommunikationsproblemen zwischen dem Militär und der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID), die für die Aufbauprojekte verantwortlich ist. Die Armee verlangte von USAID den Aufbau von Verwaltungsstrukturen in Gebieten, die besonders hart umkämpft waren. Nach der Befriedung kamen nicht selten die Taliban zurück. In der Konsequenz hatte USAID große Probleme, afghanisches Personal zu finden, da dieses um seine Sicherheit fürchtete. Die Einrichtungen blieben ungenutzt und zerfielen.

Die Spannungen gingen so weit, dass sich die USAID weigerte, Projekte in vom Militär vorgeschlagenen Provinzen umzusetzen. Das Militär griff daraufhin auf ein eigenes Notfallprogramm für Kommandeure (CERP) zurück, um humanitäre Hilfe oder Wiederaufbaumaßnahmen einzuleiten. Der Erfolg der Maßnahmen war aufgrund der unsicheren Lage sehr gering.

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Weitere Probleme ergaben sich aus der angespannten Personallage des Programms. Der rasche Anstieg der Hilfsmaßnahmen besonders ab 2009 führte dazu, dass kaum geeignetes und erfahrenes Personal zu bekommen war. Viele Helfer wurden mit Zeitverträgen eingestellt, verfügten aber nur über unzureichende Erfahrung in der Entwicklungshilfe. Ein Vertragsarbeiter sagte, er habe den Job bekommen, weil "er einen Puls und einen  Masterabschluss hatte". 2011 kamen auf einen festangestellten USAID-Mitarbeiter 100 Vertragsstellen. Aufgrund der schlechten Personalpolitik wechselte das feste USAID-Personal in regelmäßigen Abständen, was zu einer "jährlichen Lobotomie" führte, da sich immer wieder neue Teams einarbeiten mussten.

Zu viel Geld, noch mehr Probleme

Ein weiteres Problem lag in der nahezu unkontrollierten Vergabe von Geldern an eine Vielzahl von Projekten ohne Zielvorgabe und Überprüfung. Zwischen 2009 und 2012 liefen 18 verschiedene Finanzierungsprogramme. Objektive Erfolgskriterien gab es für kein Projekt. Man ging davon aus, dass eine hohe Finanzierung gleichbedeutend mit großen Fortschritten war.

Das ausgegebene Geld war oft der Maßstab für den Erfolg.

Dabei war sogar das Gegenteil der Fall. Der überbordende Geldfluss beförderte Korruption in den Provinzen und führte dazu, dass sich von US-Geld finanzierte lokale Machthaber festsetzten, die gewisse Gruppen förderten und andere ausschlossen. Diese wandten sich an die Taliban und verschafften ihnen erneut Rückhalt in der Bevölkerung. 

Die Programme [verschärften] manchmal Konflikte, ermöglichten Korruption und stärkten die Unterstützung für Aufständische. Koalitionsbeziehungen mit den Eliten Afghanistans sowie Hilfe und Verträge mit ihnen schufen neue Missstände und ließen alte neu aufflammen, da einige Gruppen vom Krieg profitierten, während andere entfremdet und in Richtung des Aufstands getrieben wurden.

Banale Schlussfolgerungen

Der Bericht schlägt zum einen vor, dem Militär die Führung für Stabilisierungsprojekte zu entziehen. Desweiteren wird nach 16 Jahren empfohlen, Kriterien für den Erfolg von Stabilisierungsprojekten einzuführen.

Weiterhin wird betont, wie wichtig geeignetes Personal für die Umsetzung der Mission sei. Im Zusammenhang dazu plädiert der Report für mehr Verständnis der lokalen soziopolitischen Verhältnisse und für eine Intensivierung der interkulturellen Kommunikation.

Die analytischen Schlussfolgerungen des Reports sind angesichts der jahrelangen Misserfolge vergleichsweise banal. Man wundert sich einerseits, weshalb diese einfachen Wahrheiten nicht schon längst umgesetzt wurden. Doch man wundert sich wiederum nicht, weshalb die Anstregungen im Sande verlaufen.

"USA haben Situation in Afghanistan nie unter Kontrolle gehabt"

Die US-Militärpräsenz in Afghanistan wird von vielen Personen in der Region kritisch gesehen. Die Effizienz der Aufbaubemühungen ist ebenso umstritten.

Im Gespräch mit RT Deutsch kritisierte die paschtunische Journalistin Farzana Shah die US-Militärpräsenz in Afghanistan. Shah, die in der paschtunisch-pakistanischen Grenzstadt Peschawar lebt, sagte:

Vor Ort ist unsere Einschätzung, dass das US-Militär die Situation in Afghanistan zu keinem Zeitpunkt jemals in den Griff bekommen hat.

Die Taliban erheben nachts Straßen- und Mautgebühren auf den Autobahnen nach Kabul. Die Händler müssen sie bezahlen, um ihre Früchte und andere Waren mit Lastwagen an die Märkte zu bringen. Es gibt auch Zeiten, in denen NATO-Fahrzeuge bezahlen müssen.

Die Schwäche der USA und ihres Verbündeten, der afghanischen Armee, wurde kürzlich deutlich, als eher zufällig bekannt wurde, dass in der Provinz Farah im Südwesten des Landes die Taliban immer größere Gebiete kontrollieren.

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Bezüglich des erneuten Erstarkens der Taliban werden Vermutungen laut, die USA wollten sich längerfristig in der Region installieren, insbesondere nach dem aufgekündigten Iran-Abkommen. Farzana Shah sagt dazu:

Die US-Präsenz in Afghanistan für die kommenden Jahre dient langfristig ihren Interessen. Nach der Verschrottung des Atomdeals mit dem Iran ist es verständlich, dass die USA den Iran über die Afghanistan-Front ins Visier nehmen wollen.

Der Generalinspekteur hätte für seine Rede zur Vorstellung des Reports besser recherchieren sollen. Er benannte als historische Vorbilder für seine Aufgabe ausgerechnet Haiti und die Philippinen, beides wenig ruhmreiche Beispiele für US-amerikanische Besatzungen und Kolonialisierungsversuche.

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