Zur Entwicklung des Verhältnisses des deutschen Imperialismus gegenüber der Ukraine - Teil 2

Schon zu Zeiten des deutschen Kaiserreichs war die Ukraine für die wirtschaftlichen und politischen Eliten in Deutschland von besonderem Interesse. Im Zentrum der Überlegungen stand - damals wie heute -, die Ukraine als Druckmittel gegen Russland einzuspannen.
Zur Entwicklung des Verhältnisses des deutschen Imperialismus gegenüber der Ukraine - Teil 2Quelle: www.globallookpress.com

von Prof. Dr. Anton Latzo

(Teil 2 von 2)  

Nach einer Periode sich entwickelnder deutsch-sowjetischer Beziehungen in der Wirtschaft änderte sich die Lage, als in Deutschland die Papen-Regierung eingesetzt wurde. Es verstärkten sich die Tendenzen zur Faschisierung im Inneren des Landes und zur Aggression nach außen. Mit der Machtergreifung des Faschismus wurde das Programm der Expansion und Aggression erweitert und radikalisiert. Zur Begründung wurden fehlender „Lebensraum“ und ungenügende Rohstoffressourcen wieder aufgegriffen. 

Der Antikommunismus wurde Hauptbestandteil der Politik. Die Alternative sichtbar machend, brachte die UdSSR in dieser sich zuspitzenden Lage am 6. Februar 1933 auf der  Abrüstungskonferenz den Entwurf einer Deklaration über die Definition eines Aggressors ein. Es wurde vorgeschlagen, einen Staat als Aggressor zu bezeichnen, der einem anderen Staat  den Krieg erklärt, der ohne Kriegserklärung in das Gebiet eines anderen Staates eindringt oder Kampfhandlungen zu Lande, zu Wasser und in der Luft ausführt. Es wurde zwischen direkter und indirekter Aggression unterschieden. In Punkt zwei hieß es:

Weder die  Errichtung einer politischen, strategischen oder wirtschaftlichen Ordnung, das Streben nach der Ausbeutung natürlicher Reichtümer auf dem Territorium des angegriffenen Staates oder nach dem Erwerb beliebiger anderer Vorteile oder Privilegien noch die Berufung auf bedeutende Ausmaße  des investierten Kapitals oder auf andere mögliche besondere Interessen wie Vermögenswerte in diesem Gebet noch die Verneinung der besonderen Merkmale eines Staates können als Rechtfertigung für einen Überfall dienen.

Diese Deklaration konkretisierte die Begriffe „Aggression“ und „Sicherheit“, die für den Kampf gegen den Aggressor unerlässlich war. Es erregt größte Besorgnis, dass die darin angesprochenen Inhalte schon wieder brennende (im wahrsten Sinne des Wortes!) Aktualität haben.  Damals wurde das Marschprogramm der alldeutschen Geopolitiker von den Faschisten Schritt für Schritt verwirklicht. Das wird aber bewusst in die Geschichtsvergessenheit verbannt. Ebenso die Demagogie und die Lügen, die damals schon die Köpfe vernebelten.

Auf dem „Nürnberger Parteitag“ im September 1938 erklärte Hitler in Vorbereitung der Zerstückelung der Tschechoslowakei: „Hier handelt es sich nicht um Redensarten, sondern um Recht und zwar um verletztes Recht. Was die Deutschen fordern, ist ihr Selbstbestimmungsrecht, das jedes andere Volk auch besitzt und keine Phrase“. 1942 erklärte Goebbels: „Es geht uns nicht um Ideale,  sondern um wogende Weizenfelder, um das russische Erdöl …“. 

Nach zwei historischen Niederlagen des deutschen Imperialismus in zwei Weltkriegen, die er um Herrschaft und Ausbeutung fremder Völker geführt hat, hat man sich in der BRD der 1950er Jahre schon wieder das „Recht auf Selbstbestimmung“ berufen, um seine wahren Ziele zu verdecken. Adenauer postulierte:

Der Wahre Kern der deutschen Frage ist nicht so sehr die Wiederherstellung der deutschen Einheit, sondern vielmehr die Wiederherstellung des Selbstbestimmungsrechts für die Deutschen in der Sowjetzone.

„Selbstbestimmung“ und „Befreiung“, diese zwei Vokabeln im Sprachschatz Adenauers charakterisierten auch die Politik seiner Nachfolger. Sie wurde auf alle Länder ausgedehnt, die den Weg des Sozialismus eingeschlagen hatten. 1954 verkündete Adenauer im Bundestag, dass sich seine Regierung mit der „Trennung der deutschen Ostgebiete nicht abfinden kann“. In diesem Rahmen wurde auch das Konzept gegenüber der Ukraine entwickelt, ein Konzept, zu dem auch der schon erwähnte Paul Rohrbach vor über hundert Jahren beigetragen hat.

Nachdem er 1918 die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft gegründet hatte, betrieb er 1948 deren Wiedergründung. 1952 wurde er ihr Ehrenpräsident. Im gleichen Jahr äußerte er sich auch über „Die ukrainische Frage“. Darin passte er die schon im ersten Weltkrieg entwickelte Dekompositionstheorie (Zerlegung) den neuen Bedingungen an. Man müsse die „Entbindung der zentrifugalen Kräfte in der Sowjetunion“ fördern. „Die stärkste dieser zentrifugalen Kräfte ist das nationale Bewusstsein des ukrainischen Volkes mit seinem Willen zu eigener Staatlichkeit.“ Durch Unterstützung des ukrainischen Nationalismus könne man perspektivisch „zu einer inneren Erschütterung der Sowjetmacht“ gelangen und eines Tages, „wenn andere günstige Umstände hinzutreten, zu ihrem Zusammenbruch“.

Rohrbach verglich Russland mit einer Orange. „Wie diese Frucht aus einzelnen leicht voneinander lösbaren Teilen besteht, so das russische Reich aus seinen verschiedenen Gebietsteilen: baltische Provinzen, Ukraine, Polen usw.“. Es genüge vollkommen, die Gebietsteile, wie Orangenscheiben, „voneinander abzulösen und ihnen eine gewisse Autonomie zu geben“, dann werde es „ein leichtes sein, dem russischen Großreich ein Ende zu bereiten“. Deshalb wurde die Dekompositionstheorie auch „Orangentheorie“ genannt. Es ist nur ein kleiner Schritt zur Bezeichnung „Orange-Revolution“, durch die 2004 Wiktor Juschtschenko mit USA-Dollars, unter anderen von der US-Regierung und der Soros-Stiftung und mit Euros ins Amt des ukrainischen Präsidenten gehoben, mit dem Putsch von Februar 2014 Jazenjuk zum Ministerpräsidenten gemacht und der Oligarch Poroschenko ins oberste Amt gehievt wurde.

Nach der Zerschlagung der Staatlichkeit der Sowjetunion glaubte man, mit Jelzin und dergleichen die imperialistischen Ziele des „Dranges nach dem Osten“ „friedlich“ zu erreichen.  Wolfgang Schäuble und Karl Lamers kamen in „Überlegungen zur europäischen Politik“ zur Schlussfolgerung:

Ein stabilitätsgefährdetes Vakuum, ein Zwischen-Europa darf es nicht wieder geben. Ohne eine solche Weiterentwicklung der (west)europäischen Integration könnte Deutschland aufgefordert werden oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die Stabilisierung des östlichen Europa  alleine und in der traditionellen Weise zu bewerkstelligen. 

Dann kam die imperialistische Aggression gegen Jugoslawien, die USA betrieben die Revitalisierung der NATO, Bundeskanzler Schröder (SPD) verwirklichte die „Enttabuisierung des Militärischen“ in der deutschen Außenpolitik. Die Frage, wo die östliche Grenze der EU liegen sollte, beantwortete die SPD aus der Interessenbestimmung des auch politisch wieder erstarkten Deutschlands und in Übereinstimmung mit Schäuble und Lamers in einer Denkschrift der Grundwertekommission beim SPD-Vorstand Anfang 2003 konzeptionell wie folgt: Das „Berliner Interesse“ bestehe an einem „wirtschaftlich und politisch leistungsfähigen Großraum“, der auch einen entsprechenden „Hinterhof“ hat, der bis Zentralasien und in den Nahen Osten reicht. Deutschland habe ein „legitimes Interesse an einer dauerhaften und Einbindung in einen wirtschaftlich und politisch leistungsfähigen Großraum, der anderen Weltregionen vergleichbar ist“.

Zu diesem „Großraum“ gehören nicht nur ost- und südosteuropäischen Staaten, die 2004 und 2007 Mitglied der EU geworden sind. In der SPD-Denkschrift heißt es weiter:

Um West- und Mitteleuropa, das sich als integrierte Weltregion etabliert, liegen in einem Halbkreis von Ost nach Süd Russland, die früher mit der Sowjetunion verbundenen Republiken Weißrussland, Ukraine  und Moldawien, sowie Transkaukasien und Zentralasien, die Türkei und die Länder des Nahen und Mittleren Ostens und des Mittelmeeres.

Damit ist der Raum für die Expansionspolitik des deutschen Imperialismus deutlich beschrieben. Sie schließt eine unabhängige und selbständige Ukraine aus. Sie richtet sich direkt gegen die Unabhängigkeit und  Souveränität eines solchen Staates. Sie ist darauf ausgerichtet, die Ukraine auf lange Sicht aus der russischen Einflusssphäre zu lösen und sie in das Hegemonialsystem des deutschen Imperialismus zu integrieren.

Dabei kommt der Politik des deutschen Kapitals zugute, dass es ihm bisher gelungen ist, aus der Krise sowohl ökonomisch als auch politisch gestärkt hervorzugehen und seine hegemoniale  Stellung in der EU weiter auszubauen. Diese Position wird verstärkt genutzt, um sich möglichst profitable Teile der Welt untertan zu machen und den „Drang bis zum Ural“ systematisch in politische Praxis umzusetzen.      

Deutschland müsse, wie die FAZ vom 4.4.2003 schrieb, „als größter und wirtschaftlich stärkster Staat in Europa“ für ein Europa eintreten, das in der Lage sei, sich „gegen äußere wirtschaftliche, politische und gegebenenfalls auch militärische Pressionen zu wehren“. Aus dem „Großraum“ müssten die USA hinausgedrängt werden.

Deutschland muss dafür eintreten, dass Europa zu seinen Nachbarn eine besonders intensive, konstruktive und dauerhafte Partnerschaft aufbaut, welche die Lösung der sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und politischen Probleme der europäischen Nachbarschaft nicht – wie bisher – vorwiegend den Vereinigten Staaten überlässt.                                                                      

Das Konzept erweist sich als ein „Zeugnis von einem in die Welt ausgreifenden Gestaltungsanspruchs“ (FAZ) des deutschen Kapitals und seiner Regierungen. Die Beherrschung der Ukraine ist ein wichtiger, aber nur ein Schritt dahin!!

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