Meinung

Ein Angriff auf Irans Atomanlagen käme einem Genozid gleich

Der Ausstieg der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem mühsam ausgehandelten Atomabkommen mit dem Iran zeigt auf erschreckende Art und Weise, wie wenig man Washington trauen kann.
Ein Angriff auf Irans Atomanlagen käme einem Genozid gleichQuelle: Reuters © Raheb Homavandi

von Zlatko Percinic

In Europa reibt man sich wie aus einem Tiefschlaf erwachend verwundert die Augen, weil man feststellen muss, dass die angeblich mächtige Europäische Union im Weißen Haus wie ein Papiertiger betrachtet wird. Jahrelang hatten sich die Europäer etwas vorgemacht, als man aus tiefster Überzeugung der Meinung war, ein ebenbürtiger Partner der USA zu sein. Trump sei Dank, ist diese Seifenblase nun geplatzt. Schon fast trotzig erklärten die restlichen Vertragspartner der übrig gebliebenen Länder, dass man auch weiterhin am Abkommen mit dem Iran festhalten wolle und sich von den Amerikanern nicht die Suppe versalzen lassen wird.

 Aus Israel hieß es nach dem amerikanischen Rückzug:

Israel unterstützt voll die heute getroffene mutige Entscheidung von Präsident Trump, das katastrophale Abkommen zu verlassen."

Ob Trumps Entscheidung mutig war oder nicht, sei mal dahingestellt. Vollkommen klar ist aber, dass Israel diese "Entscheidung" unterstützt hat, und zwar mit allen möglichen Methoden. Nach und nach kommen Informationen ans Tageslicht, dass ein israelisches Spionageunternehmen mit dem Namen Black Cube (Schwarzer Würfel) versucht hat, einige Berater von Präsident Barack Obama, die mit dem Aushandeln des Atomabkommens betraut waren, in den Schmutz ziehen. Gegründet wurde Black Cube 2011 von Dan Zorella, einem Offizier des militärischen Geheimdienstes aus der Eliteeinheit "8200" und Avi Yanus, der einen Doktortitel in Philosophie gemacht hat. Aufgewertet hatte das Unternehmen niemand geringerer als Meir Dagan, von 2002 bis 2011 Direktor des israelischen Geheimdienstes Mossad. Seine Präsenz lieferte Black Cube von Anfang an die nötige Reputation und internationale Kontakte. Und nicht zuletzt auch einen Pool von Rekruten aus ehemaligen Mossad-Agenten und Armeeangehörigen. 

Natürlich bestritten sowohl die israelische als auch die amerikanische Regierung von Donald Trump, irgendetwas mit dem Spionageunternehmen zu tun zu haben. Doch Ben Rhodes, stellvertretender nationaler Sicherheitsberater von Obama und Ziel von Black Cube, sagte in einem Interview, dass er weiß wie Geheimdienste arbeiten und es für ihn "schwer nachvollziehbar" wäre, dass die "israelische Regierung nicht weiß was vor sich geht". Wer diese Schmierkampagne in Auftrag gegeben hat, ist nicht bekannt. Die Liste der Verdächtigen hat sich auf Donald Trump, dessen Schwiegersohn Jared Kushner und Sicherheitsberater John Bolton beschränkt, was aber ohne Beweise nicht viel gilt. Nur so viel ist klar: diese Kampagne ist kläglich gescheitert und dürfte kein Ruhmesblatt für Black Cube gewesen sein. Weshalb dann der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sozusagen als Plan B seine bizarre Präsentation in Tel Aviv abgab. Zumindest hat es für Trump als Vorwand gereicht, um die USA aus dem Iranabkommen zu hebeln. 

Nun scheint der Weg für John Bolton und dessen persönliche Vendetta gegen den Iran zumindest freier zu sein als noch zuvor. Bolton ist mit seiner Position als nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten der hochrangigste Unterstützer der iranischen Terrororganisation MEK, die er gerne in Teheran an der Macht sehen würde. Erinnern wir uns deshalb an seine Worte, wie er das mit dem Atomabkommen im Jahr 2015 gesehen und was er stattdessen für eine "Alternative" vorgeschlagen hatte: 

"Die unausweichliche Schlussfolgerung ist, dass Iran sein Nuklearprogramm nicht wegverhandeln wird. Noch werden Sanktionen dafür sorgen, dass der Bau einer breiten und tiefen Waffeninfrastruktur blockiert wird. Die unangenehme Wahrheit ist, dass nur eine militärische Aktion wie Israels 1981er Angriff auf Saddam Husseins Osirak-Reaktor im Irak oder dessen 2007er Zerstörung eines syrischen Reaktors, geplant und gebaut von Nordkorea, das erreichen kann, was gefordert ist. Die Zeit ist wahnsinnig kurz, aber ein Luftangriff kann noch immer erfolgen."

Bolton nennt auch gleich die seiner Meinung nach notwendigen Ziele: die Anreicherungsanlagen von Natanz und Fordo, die Schwerwasseranlage von Arak und die verschiedenen Anlagen in der persischen Königsstadt Isfahan. Natürlich könnten die USA eine gewisse Zerstörung der Anlagen herbeiführen, "aber nur Israel kann tun, was notwendig ist". Und Israel wollte genau das tun, zumindest wenn es nach Netanjahu und dessen ehemaligen Verteidigungsminister und Vorgänger Ehud Barak ging. Der rechtsextreme Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, mit Drohungen um sich zu werfen. Israel sei ja an gar keinen Kriegen interessiert, sagte Lieberman, aber sollte "Iran Tel Aviv angreifen, wird Israel Teheran treffen, egal um welchen Preis".

Während Netanjahu also in den Jahren 2010 und 2011 von seinen Militärs abgehalten wurde, den gesamten Mittleren Osten durch einen Angriff auf den Iran in Brand zu stecken, hat sich die politische Situation mittlerweile verändert. Die Knesset (israelisches Parlament) hat dem Ministerpräsidenten die Macht in die Hände gegeben, in "extremen Situationen" nur noch die Zustimmung des Verteidigungsministers für eine Kriegserklärung zu benötigen. Eine höchst gefährliche Entscheidung mit Netanjahu und Lieberman auf diesen Posten.

Was würde aber passieren, wenn Israel und/oder die USA tatsächlich ihre Drohungen wahrmachen und die Atomanlagen im Iran bombardieren? Zumal die Chancen groß sind, dass dabei sogar die von Deutschland subventionierten U-Boote der Dolphin-Klasse eingesetzt werden, welche über Trägersysteme für Nuklearwaffen verfügen. Dieser Frage fingen Wissenschaftler der Harvard University und Institute for Disaster Management nach und veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie. Die Autoren gingen davon aus, dass Israel mit Sprengköpfen zwischen 20 Kilotonnen und einer Megatonne Sprengkraft angreifen wird.

Zum Vergleich: die von den USA über Nagasaki und Hiroshima abgeworfenen Atombomben verfügten über eine Sprengkraft von 13 bis 20 Kilotonnen. Was das für die von John Bolton gelisteten Ziele im Iran bedeuten würde, kann man in der Studie grafisch und tabellarisch nachsehen. Es wäre einer der schlimmsten Massenmorde und Zerstörung in der Geschichte. Um es zu verdeutlichen, worüber John Bolton und viele andere Kriegstreiber in den USA, Israel und Europa eigentlich so lässig nebenbei reden, hier die projizierten Opferzahlen nur für die oben genannten Städte:

 - Arak: bei einer angenommenen Detonation einer einzigen Atombombe mit 250 Kilotonnen kämen 387.600 von den rund 425.000 Einwohnern der Stadt ums Leben.

- Isfahan: hier gehen die Autoren von einem Einsatz von zwei Atombomben mit je 500 Kilotonnen aus, was zur Auslöschung von 1,5 Millionen Menschen der rund 1,9 Millionen zählenden Großstadt führen würde.

- Natanz und Fordo sind im Vergleich Kleinstädte, die deshalb nicht berechnet wurden. Man kann aber davon ausgehen, dass selbst ein Einsatz der kleinsten Atombombe die gesamte Bevölkerung töten würde.

- Teheran und Karadsch: Karadsch ist eine Zweimillionenstadt und liegt 40 Kilometer westlich von Teheran (8,7 Millionen Einwohner). Doch aufgrund der Ausdehnung der iranischen Hauptstadt ist Karadsch mittlerweile mit Teheran fast verwachsen, zumal auch die Atomanlagen beider Städte sich auf diesem Gebiet befinden. Würde Israel und/oder die USA die Anlagen in Teheran angreifen wollen, dann sicherlich auch jene in Karadsch, da dort auch noch die wichtigste Raketenproduktionsstätte des Landes ist. Insgesamt befinden sich also über zehn Millionen Menschen in Gefahr. Die Autoren der Studie haben aufgrund der schieren Größe des Gebietes verschiedene Szenarien vorgestellt, wobei die Opferzahlen zwischen 3,77 Millionen und 8,01 Millionen je nach Art und Menge der eingesetzten Atombomben variieren. 

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Von Verletzungen, Spät- und Langzeitfolgen durch radioaktive Verstrahlung in der Region ist dabei noch nicht einmal die Rede. Schon allein mit der Drohung eines solch monströsen Genozids im Iran verschafft sich der israelische Ministerpräsident Netanjahu Gehör in Berlin, Paris und London, wo er für eine härtere Gangart gegen den Iran wirbt. Normalerweise würde man das auch Erpressung nennen. Und was sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich dessen Besuchs in der deutschen Bundeshauptstadt?

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