Gesellschaft

Fall Biden und "russische Propaganda": Ein Universalargument prägt die politische Landschaft der USA

Ausgerechnet der republikanische Senator Lindsey Graham fordert die Überprüfung von Indizien zur ukrainischen Korruptionsaffäre um Joe und Hunter Biden auf "russische Propaganda". Dieser Popanz ist mittlerweile eine Allzweckwaffe des US-Establishments.
Fall Biden und "russische Propaganda": Ein Universalargument prägt die politische Landschaft der USAQuelle: Reuters © Carlos Barria

Es gelte sicherzustellen, dass Indizien für die Aktivitäten des ehemaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden und seines Sohnes Hunter in der Ukraine keine "russische Propaganda" sind. So kommentierte ausgerechnet ein Republikaner – der Senator Lindsay Graham – einen von Donald Trumps Anwalt Rudolph Giuliani angekündigten Bericht.

Der Antrag Trumps, die mögliche Verwicklung der Bidens in Korruptionsvorgänge in der Ukraine zu untersuchen, wurde zum Anlass für das Amtsenthebungsverfahren gegen den US-amerikanischen Staatschef. Experten stellen fest, dass das Thema "russische Propaganda" für das politische Establishment der USA zu einer Allzweckwaffe geworden ist, mit der man sich zum Beispiel vor möglichen Rufschäden schützen kann. Doch eines ist sicher: Hunter Biden wurde nicht von der "russischen Propaganda" in den Vorstand eines ukrainischen Unternehmens berufen.

Mit mir hat er keine dieser Informationen geteilt. Mein Rat an Giuliani wäre, die Informationen aus der Ukraine, die er gesammelt hat, mit den Geheimdiensten zu teilen, um sicherzustellen, dass es sich dabei nicht um russische Propaganda handelt. Die weltweiten Aktivitäten Russlands machen mich sehr misstrauisch", zitierteThe Daily Beast Grahams Aussage zu Giulianis Bericht.

"Das ist keine russische Propaganda", erwiderte Giuliani auf Grahams Kommentar.

Hier sei daran erinnert, dass Trump während eines Telefonats mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij diesen bat, die Ermittlungen zu Aktivitäten Joe Bidens und seines Sohnes Hunter in der Ukraine fortzusetzen. Dies wurde zum Anlass für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump genommen. Die Demokraten beschuldigen ihn des Machtmissbrauchs: Sie sehen in seiner Bitte an Selenskij einen Versuch, vom Chef eines anderen Staates kompromittierendes Material gegen seinen potenziellen Gegner bei den anstehenden Wahlen von 2020 zu bekommen.

Schadensbegrenzung der Republikaner

Für den Auftritt des republikanischen Senators Graham als unfreiwilliger "Fürsprecher" des Demokraten Joe Biden gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Einerseits will er sich und seine Mitstreiter vor möglichen Rufschäden infolge der Veröffentlichung von Giulianis Bericht schützen, zumal dieser etwa zu Verleumdungsvorwürfen führen kann, so Wladimir Bruter, Experte am International Institute of Humanitarian and Political Studies. Gleichzeitig will Graham das wertvolle Schmutzmaterial über Trumps Hauptkonkurrenten für die kommenden Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr aufheben und es nicht jetzt schon "verschießen".

"Die Republikaner wollen das Amtsenthebungsverfahren im Senat schnell abschließen und so tun, als habe es das Problem nicht gegeben. (...) Biden scheint den Republikanern ein schwacher Kandidat zu sein; dementsprechend wäre es für sie deutlich profitabler, das Kompromat über ihn während des Wahlkampfes zu präsentieren, als ihn jetzt mit Korruptionsvorwürfen zu belasten und ihn so schon an der Kandidatur zu hindern", erklärte der Experte.

Es ist schwer, ein Biden zu sein

Versuche, jegliche Kritik am ehemaligen Vizepräsidenten als eine Kampagne "russischer Propagandisten" darzustellen, werden in den USA schon länger auch von verschiedenen analytischen Organisationen wie Denkfabriken sowie von den Mainstreammedien unternommen.

Im November veröffentlichte die Denkfabrik Institute for Foreign Policy Studies einen Bericht, dem zufolge gerade Joe Biden angeblich am häufigsten von "russischen Propagandisten" kritisiert wird. Zu diesem Ergebnis seien die Analytiker der Organisation nach der Untersuchung von "mehr als 1.700 Nachrichten von Sputnik und RT" gekommen.

"Als ich im Vorfeld der Wahlen von 2016 die vom russischen Staat geförderten Inhalte und das Trolling in den sozialen Netzwerken beobachtete, gab es eine extrem negative Einstellung gegenüber Hillary Clinton. Dasselbe kann heute über den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden gesagt werden", kommentierte Clint Watts, ehemaler FBI-Mitarbeiter und derzeit Autor bei NBC News. Watts argumentiert, dass Russland angeblich Donald Trump bei seinen Angriffen auf Joe Biden unterstützt.

"Die kombinierte Menge an Inhalten über Joe Biden bei RT und Sputnik ist weit größer als die übliche Berichterstattung über die US-Präsidentschaftswahlen. (...) Russland stellt Trumps Kritik an Biden oft überspitzt dar, was die Gesamtberichterstattung noch negativer macht", so der US-Polittechnologe.

Laut dem Politikwissenschaftler Alexander Assafow deuten Aussagen über die mögliche Präsenz "russischer Propaganda" in Giulianis Bericht darauf hin, dass dieses Schlagwort nun ein universelles Argument ist, mit dem US-amerikanische Politiker – und zwar sowohl Demokraten als auch Republikaner – ihre politischen Spielchen rechtfertigen.

"Dieses Narrativ bedarf regelmäßiger Erneuerung, Auffrischung und Gefahrenhinweise. In diesem Fall zeigen die Republikaner, dass sie sich der 'Bedrohung' durch die 'russische Propaganda' bewusst sind", stellte der Experte fest.

Fall Ukraine: Korruption oder Gasverbrechen

Der Anwalt und langjähriger Trump-Mitarbeiter sowie ehemalige Bürgermeister von New York Giuliani erklärte wiederholt, Beweise für den Machtmissbrauch Joe Bidens zu haben. Dieser soll seinen Sohn vor einer Antikorruptionsuntersuchung in der Ukraine geschützt haben, indem er die Ukraine mit der Zurückhaltung bereits zugesagter Gelder erpresste.

Nur zur Erinnerung: The Hill veröffentlichte im April 2019 einen Artikel, dem zufolge Hunter Biden, Sohn des ehemaligen US-Vizepräsidenten, im Jahr 2014 in den Vorstand von Burisma, einem großen ukrainischen Erdöl- und Gaskonzern, eintrat. Laut The Hill soll die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft Hunter Biden verdächtigt haben, Bestechungsgelder von der Konzernführung genommen zu haben. Der ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin plante, Biden jr. zu einer entsprechenden Befragung vorzuladen, aber der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko entband Schokin im März 2016 von dessen Amt.

Im Januar 2018 bestätigte Joe Biden auf einer Sitzung des Council on Foreign Relations offen, bei der Entlassung Schokins die Finger im Spiel gehabt zu haben: Er habe Poroschenko und Premierminister Arseni Jazenjuk ein Ultimatum gesetzt und ihnen mit der Annullierung von Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde US-Dollar gedroht, falls der Generalstaatsanwalt nicht abgesetzt werde. Biden begründete dies damit, dass Schokin angeblich nicht zur Umsetzung der Antikorruptionsreformen in der Ukraine beigetragen habe.

Giuliani hat nie bestritten, dass er eine Untersuchung des Vorfalls anstrebte. So bestätigte er im September 2019 auf CNN, zuvor im Juli in Spanien ein Treffen mit Selenskijs Assistenten Andrei Jermak abgehalten zu haben, um Bidens Rolle beim Rücktritt von Generalstaatsanwalt Schokin im Jahr 2016 zu diskutieren.

Mitte Dezember twitterte Giuliani, dass er es angeblich geschafft habe, sich mit den beiden ehemaligen Generalstaatsanwälten Schokin und Juri Luzenko zu treffen. Von ihnen habe er Beweise für den Amtsmissbrauch Bidens und Beamter des US-Außenministeriums während ihrer Tätigkeit in der Ukraine erhalten. Laut Giuliani ist das Amtsenthebungsverfahren nichts anderes als ein Versuch des demokratischen Establishments, die Aufmerksamkeit von den Korruptionsfällen innerhalb der Obama-Regierung und der Demokraten in der Ukraine abzulenken.

"Die Beweise zeigen, dass die Korruption im Jahr 2016 solche Ausmaße angenommen hatte, dass es die Pflicht des US-Präsidenten war, eine US-amerikanisch-ukrainische Untersuchung zu fordern. Das Amtsenthebungsverfahren gehört zu den Vertuschungsbemühungen der Demokraten. Erpressung, Bestechung und Geldwäsche gehen weit über Biden hinaus. Dazu kommt die Verschwörung des Nationalkomitees der Demokratischen Partei mit der Ukraine, um die Kandidatur Trumps zu torpedieren", schrieb Giuliani am 15. Dezember.

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"Man kann die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage stellen, nicht jedoch die harten dokumentarischen Beweise, die von jedem unmittelbaren Zeugen in dieser Untersuchung vorgelegt wurden", fügte Trumps Anwalt hinzu. In weiteren Tweets legt er die Inhalte der Dokumente dar, die den Zeugen verfügbar seien:

Zeuge Wiktor Schokin: Im Besitz von Beweisdokumenten zur Geldwäsche durch Burisma und die Bidens. Gefeuert wegen Bidens Drohung, eine Milliarde Dollar an lebenswichtigen US-Hilfsgeldern nicht [an die Ukraine] auszuzahlen.

Ärztliche Aufzeichnungen zu Schokin zeigen: zweimal vergiftet und klinisch tot, zweimal reanimiert. In der Ukraine werden viele Köpfe rollen, wenn das rauskommt.

Zeuge Juri Luzenko, Schokins Amtsnachfolger [als Generalstaatsanwalt]: [Im Besitz von] Aufzeichnungen, die beweisen, dass Botschafterin Jovanovich mindestens zweimal Meineid leistete. [Im Besitz von] dokumentarischen Beweisen dafür, dass sie [Jovanovich] Zeugen Visas vorenthielt, die Korruption der Bidens und der Demokraten beweisen könnten. [Im Besitz von] eindeutigen Beweisdokumenten für Geldwäsche durch Burisma und die Bidens.

Es ist erwähnenswert, dass Giuliani bei Senatsanhörungen im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens gegen den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten wiederholt erwähnt wurde – als Teilnehmer an sachverwandten Ereignissen.

So wird im Abschlussbericht des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, auf dessen Grundlage die Anklagepunkte des Amtsenthebungsantrags vorbereitet wurden, festgestellt, dass der US-Präsident beim erwähnten Telefonat mit Selenskij "versuchte, den ukrainischen Präsidenten zu zwingen, sich mit seinem persönlichen Anwalt Rudy Giuliani zu beraten", der sich aktiv für die Einleitung einer Untersuchung der Aktivitäten von Joe Biden und seinem Sohn Hunter in der Ukraine eingesetzt habe.

In diesem Fall ist die Beteiligung von Hunter Biden an den halblegalen Abläufen der ukrainischen Wirtschaft ganz offensichtlich, und die Versuche, diese als "russische Propaganda" abzutun, sind lächerlich, kommentiert Bruter.

Die Untersuchung müsste man durchführen, um herauszufinden, inwieweit Biden senior darüber informiert und inwiefern er involviert war. Es war jedoch nicht 'russische Propaganda', die Hunter Biden in den Vorstand eines ukrainischen Unternehmens berief. Eine parlamentarische Untersuchung reicht hier nicht, weil es ernsthafte Gründe zur Annahme gibt, dass gegen das Gesetz verstoßen wurde. Wir sehen, dass die US-Justiz heute intransparent und inkonsequent ist, weil Paul Manafort für einen solchen Gesetzesübertritt ins Gefängnis kam – und Biden immer noch auf freiem Fuß ist", schloss der Politologe.

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