Deutschland

Wirtschaftswachstum versus gesunde Kinder – Über 1,5 Millionen Kinder auf Hartz IV angewiesen

Der DGB stellte fest, dass die Anzahl minderjähriger Bedürftiger langsamer zurückgeht als die anderer Hartz-IV-Empfänger. Während dies erneut die Fehler in der Logik der Hartz-IV-Befürworter entlarvt, können Millionen Kinder nicht einmal gesund ernährt werden.
Wirtschaftswachstum versus gesunde Kinder – Über 1,5 Millionen Kinder auf Hartz IV angewiesenQuelle: Reuters © REUTERS/Alexandra Beier

Laut einer Datenauswertung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ist die Anzahl der Kinder, die hierzulande von der "Grundsicherung" abhängig sind, innerhalb von drei Jahren leicht von 1,56 Millionen auf 1,51 Millionen gesunken. Insgesamt ging die Anzahl der minderjährigen Bedürftigen deutlich langsamer zurück als die Zahl der Hartz-IV-Empfänger insgesamt. Der DGB hat der Berechnung die Daten der Bundesagentur für Arbeit zugrunde gelegt. Demnach ging die Zahl der Kinder bis 14 Jahren in Hartz-IV-Bezug um gut drei Prozent von 1,56 Millionen im Jahr 2016 auf 1,51 Millionen im vergangenen Jahr zurück, während die Zahl aller Personen mit Hartz IV im gleichen Zeitraum um zehn Prozent von 6,20 auf 5,65 Millionen sank.

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Hohe Dunkelziffer 

Allerdings ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Im Jahr 2018 wies der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) darauf hin, dass rund 1,4 Millionen Kinder Anspruch auf Hilfe hätten, diese aber nicht erhalten. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 18.6.2018 war hervorgegangen, dass ergänzende Leistungen bei Erwerbstätigkeit, sogenannte "aufstockende" Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV), geschätzt nur etwa 50 Prozent der tatsächlich Berechtigten in Anspruch nehmen. Davon waren rund 850.000 Kinder unter 18 Jahren betroffen. Hinzu kamen nach Berechnungen des Kinderschutzbundes noch mal 190.000 Kinder, deren Eltern nicht erwerbstätig sind und die trotzdem nicht mit anderen Leistungen aufstocken. Die Zahl der in Deutschland in Armut lebenden Kinder bezifferte der Kinderschutzbund im gleichen Jahr auf 4,4 Millionen und nannte dies ein "Armutszeugnis für ein reiches Land".

Der Gewerkschaftsbund kritisierte, dass die wirtschaftlich relativ gute Lage und die günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt keine spürbare Reduzierung der Kinder in Hartz-IV-Bezug mit sich bringen. Außerdem sind Haushalte mit Kindern von der relativ günstigen Entwicklung bei der Anzahl der Hartz-IV-Bezieher weitgehend abgekoppelt

Eltern der meisten Hartz-IV-Kinder arbeiten

Die meisten der 1,5 Millionen betroffenen Kinder – rund 840.000 – leben in einem Haushalt, in dem zumindest ein Elternteil erwerbstätig ist. Darunter sind fast 500.000 Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa), niedrige Löhne machten es trotz Arbeit oftmals unmöglich, den eigenen Lebensunterhalt und den eines Kindes aus eigenen Mitteln zu decken.

Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist und bleibt ein nicht hinnehmbarer Skandal.

Da Frauen in Deutschland rund ein Viertel weniger als Männer verdienen, sind vor allem Frauen von dem Dilemma betroffen. Laut dem Gewerkschaftsbund verdient jede dritte Alleinerziehende nur 900 Euro netto im Monat. 

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Buntenbach forderte ein Aktionsprogramm gegen Kinderarmut, eine Anhebung des Mindestlohns und eine Stärkung der Tarifbindung. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, begrüßte zwar die gesunkene Zahl der Kinder in Hartz IV. "Unterm Strich stehen aber immer noch viel zu viele Kinder, die in Armut aufwachsen", sagte sie. Bentele forderte deutlich höhere Hartz-IV-Regelsätze für Kinder. 

Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung im vergangenen Jahr für 2020 geplanten Erhöhung der Hartz IV-Leistungen um acht Euro auf 432 Euro unterstrich auch der Paritätische Wohlfahrtsverband im vergangenen Jahr seine Kritik an den Regelsätzen und forderte eine Erhöhung auf mindestens 582 Euro. Ansonsten werde Armut in Deutschland weiter zementiert und die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider. Er warnte zudem vor den langfristigen Konsequenzen für Kinder von Hartz-IV-Beziehern.

Für Erwachsene ist Armut schlimm, für Kinder aber eine Katastrophe", so Schneider.

Entwicklungsstörungen durch mangelhafte Ernährung – Teufelskreis schließt sich

Im Moment liegen Regelsätze für Kinder unter sechs Jahren bei 250 Euro im Monat und bei Sechs- bis 13-Jährigen bei 308 Euro. Der DGB erläuterte, dass im Hartz-IV-Satz etwa für ein zehnjähriges Kind 4,09 Euro pro Tag für Essen und Trinken vorgesehen seien, monatlich 2,68 Euro für Bücher und monatlich 14,60 Euro fürs Sparen für Schuhe. Dass die Leistung zu niedrig ist, um Kindern eine ausreichende soziale Teilhabe zu ermöglichen, betonen Verbände immer wieder. Für sie bleiben damit viele Türen verschlossen, die für andere Kinder außerhalb Hartz-IV-Haushalten selbstverständlich offenstehen, so Schneider.

Abgesehen von mangelnden Teilhabemöglichkeiten reicht der Regelsatz laut Experten nicht einmal für eine vollwertige Ernährung der Kinder. Gerade einmal 2,96 Euro pro Tag erhalten Hartz-IV-Beziehende laut Regelsatz für Kinder bis zum sechsten Lebensjahr für Ernährung und Getränke. Prof. Dr. Jan Frank, Präsident der Fachgesellschaft Society of Nutrition and Food Science (SNFS) mit Sitz an der Universität Hohenheim in Stuttgart, hält vier Euro am Tag für notwendig, um eine gesunde Ernährung für Kinder unter sechs Jahren zu gewährleisten. Denn Kinder mit Fehlernährung haben laut dem Nationalen Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule ein erhöhtes Risiko von körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen. Dies könne Wissenschaftlern zufolge wiederum ein erhöhtes Risiko zur Folge haben, als Erwachsener in Armut zu leben. Vor dem Hintergrund der Forderung nach niedrigeren Lebensmittelpreisen plädierte die ehemalige Arbeitsvermittlerin und Politikerin Inge Hannemann für höhere Regelsätze sowie faire Löhne und Mieten.

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Eigenleistung unerwünscht

Jegliche Hilfen oder Mehrverdienst wird mit den knappen Leistungen noch verrechnet. Das Kindergeld, das mit dem Familienpaket erhöht wurde, muss mit Hartz-IV-Leistungen verrechnet werden, sodass Kinder geringverdienender und arbeitsloser Eltern leer ausgehen. Das von der Bundesregierung verabschiedete Bildungs- und Teilhabepaket kommt bei den ärmeren Kindern wegen der bürokratischen Antragsstellung nicht an. Nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes im vergangenen Herbst profitierten weniger als 15 Prozent der bedürftigen Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren von den Leistungen für die Freizeit. Folglich würden 85 Prozent der Mädchen und Jungen mit Anspruch auf die sogenannten Teilhabeleistungen nicht erreicht.

Und obwohl es bei der Einführung von Hartz IV "Fördern und Fordern" hieß, werden eigene Anstrengungen und Leistungen alles andere als belohnt. Denn ausgerechnet jene Kinder und Jugendlichen, die einen Zuverdienst am nötigsten hätten, dürfen mit Schüler- und Nebenjobs am wenigsten verdienen. Während Kinder normalerweise bis zu 7.664 Euro im Jahr verdienen dürfen, ohne dass ihren Eltern der Kinderfreibetrag gestrichen wird, sind es bei Hartz-IV-Kindern maximal 2.400 Euro pro Jahr. Von jedem Euro, den sie mehr erarbeiten, werden 80 Cent abgezogen. Aufgrund derartiger und anderer struktureller Probleme warnt der Sozialverband, dass der Lebensweg von Kindern von Hartz-IV-Beziehern vorgezeichnet ist und sie quasi chancenlos geboren werden.

Die Vizepräsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes Ekin Deligöz (Grüne) sagte, von der guten konjunkturellen Lage profitierten die Schwächsten der Gesellschaft am wenigsten. Sie erneuerte die Forderung des Kinderschutzbundes nach der Einführung einer eigenständigen und unbürokratischen Kindergrundsicherung. Neben den Grünen fordern das auch SPD und Linke. In der Kindergrundsicherung sollen verschiedene Familienleistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Hartz IV für Kinder und Teilhabeleistungen zusammengefasst werden.

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