Deutschland

Verfahren eingestellt – Vorgehen gegen indymedia wirft einige Fragen auf

Die Verfahren gegen die verbotene Plattform indymedia wurde eingestellt. Auf das Veröffentlichen rechtlich teils fragwürdiger Inhalte reagierten BMI und Verfassungsschutz mit rechtlich fragwürdigem Vorgehen, das nicht nur Fragen zu Presse- und Meinungsfreiheit aufwirft.
Verfahren eingestellt – Vorgehen gegen indymedia wirft einige Fragen aufQuelle: www.globallookpress.com

Im Nachgang des umstrittenen G20-Gipfels in Hamburg, der von vielen friedlichen, aber auch massiven, teils gewaltttätigen Protesten begleitet war, hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière im August 2017 ein Verbot gegen die Plattform linksunten.indymedia verfügen lassen. Er bezeichnete das Medium als die "einflussreichste Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland".

Weder kriminelle Vereinigung noch Datenschutzverstöße oder Beleidigung

Zwei Jahre später hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sämtliche Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber der Open-Posting-Plattform eingestellt, weil sie ihnen keine Straftat nachweisen kann. Ermittelt wurde unter anderem wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung", Datenschutzverstößen, Beleidigung und anderen Vergehen.

Das Verfahren wurde von Beobachtern auch vor dem Hintergrund der allgemeineren Frage der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der rechtlich fragwürdigen Vorgehensweisen des Staates aufmerksam verfolgt.

Die Plattform wurde vor allem zum Zeitpunkt des umstrittenen G20-Gipfels in Hamburg prominent. Wie Peter Nowak auf Telepolis schreibt, "ging es für die Staatsorgane darum, nach den massiven Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg, Stärke und Entschlossenheit zu zeigen". Und da andere Verbote, etwa von sozialen Zentren, nicht möglich waren, habe die Plattform als Sündenbock herhalten müssen. Immerhin waren dort Bekennerschreiben zu militanten Anschlägen, veröffentlicht worden. Doch gab es bei dem Open-Source-Projekt keine feste Redaktion, sondern das Prinzip, eine Trennung in Sender und Empfänger aufzuheben, ohne Filter oder Weisung vor der Publikation.

Medien reagieren anders, als es bei Russland der Fall wäre

Und Nowak verweist auf das Schweigen der liberalen Medien hierzulande, die im Falle eines derartigen Vorgehens gegen ein mediales Forum der außerparlamentarischen Linken in der Türkei, in Russland oder Polen auf der Basis eines anachronistischen und besonders harten Gesetzes sicherlich Sturm gelaufen wären, ähnlich wie andere "moralisch erregbare" Politiker und Publizisten. Auch zu dem exzessiven Ausmaß der Gewalt, das auch aber nicht nur von extremen Demonstranten ausging, sondern auch von der schwer bewaffneten Polizei, gab es wenig mediale Kritik.

Sowohl das Vorgehen gegen akkreditierte Journalisten als auch Eindrücke von Zeugenberichten wären, beispielsweise aus Russland kommend, medial sicherlich ebenfalls anders aufgefasst und dargestellt worden:

Einer tanzenden Frau wird mit einem Schlagstock das Wadenbein gebrochen, ein SEK-Beamter richtet seine Maschinenpistole auf Passanten, ein Beamter schleift eine gefesselte Person über den Boden, ein Sitzblockierer bekommt ohne Vorwarnung eine Faust ins Gesicht", heißt es im Neuen Deutschland (nd).

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Und es gibt weitere Aspekte, die nicht allein die Plattform und seine Nutzer sowie die wohl zu Unrecht Beschuldigten betreffen, sondern gesellschaftliche Fragen aufwerfen. Das BMI hatte ausgeschlossen, dass es sich bei indymedia um ein Presseorgan handelt, was ein Verbot ohne Verfahren oder Anhörung ermöglichte – ein juristischer Taschenspielertrick.

Denn statt wie in solchen Fällen üblich per Strafgesetz auf der Basis des Telemediengesetzes gegen einzelne bedenkliche Inhalte vorzugehen, hatte das BMI die Verbannung vom Äther per Vereinsgesetz verfügt – einem Relikt aus der Kaiserzeit mit niedrigerer Verbotsschwelle.

Vorbild für repressive Regime weltweit

"Reporter ohne Grenzen" bezeichnete dies als "bedenkliches Signal" und als "Vorwand für alle repressiven Regime in aller Welt, es den deutschen Behörden gleichzutun".

Dass die Bundesregierung ein trotz allem journalistisches Online-Portal durch die Hintertür des Vereinsrechts komplett verbietet und damit eine rechtliche Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit umgeht, ist rechtsstaatlich äußerst fragwürdig.

Gegen die Rechtmäßigkeit des Verbots hatten mehrere Personen Klage eingereicht, darunter die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk:

Insbesondere wird vonseiten der Kläger thematisiert werden, dass das Bundesministerium des Innern mit den Mitteln des Vereinsrechts gegen eine Open-Posting-Plattform vorgegangen ist, die vollumfänglich dem Schutz der Pressefreiheit unterfällt und hierzu keinerlei Abwägung vorgenommen wurde. Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass auch die vom Vereinsgesetz normierten Verbotsgründe nicht vorliegen", sagte sie dem nd.

Auch die öffentliche Begründung des harten Vorgehens fiel sehr bedenklich aus. So behauptete der damalige Innenminister de Maizière auf einer Pressekonferenz, bei einer Durchsuchung von Privatwohnungen, aus denen die Plattform angeblich betrieben wurde, seien Waffen gefunden worden. Doch diese Behauptung war falsch, und das Innenministerium musste sie hinterher korrigieren. Mittlerweile hatten die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und im Anschluss die meisten Medien die Meldung ungeprüft verbreitet.

Unter den bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Gegenständen war auch eine Festplatte mit verschlüsselten Daten von 25.000 Studierenden der Uni Freiburg. Zwar hat der Verfassungsschutz die Verschlüsselung anscheinend nicht knacken können, doch ist auch dieses Vorgehen rechtlich fragwürdig, meint der Rechtsanwalt Udo Kauß:

Diese Dateien sind den Sicherheitsbehörden ganz ungewollt in die Hände gelangt. Kein Gericht des Landes würde eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Dateien der VS allein mit der Begründung erlauben, es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich doch Brauchbares in diesen Dateien befinden.

Viele Beobachter kritisieren zudem den Einfluss der Politik, insbesondere einzelner Parteien, auf das Vorgehen kritischer Initiativen. Denn laut Beobachtern des Verfahrens war die Plattform nicht nur der AfD ein "Dorn im Auge, weil dort wiederholt AfD-Internas geleakt wurden", sondern es zeige sich, dass "das Vorgehen gegen sie und ihre angeblichen Betreiber von Anfang an eng mit der AfD und dem Verfassungsschutz abgestimmt war".

So wurde im Laufe des Verfahrens klar, dass Mitglieder der AfD mehrere Strafanzeigen gegen die angeblichen Betreiber gestellt hatten. Die Plattform war bekannt dafür, dass sich Autoren teils energisch gegen Rechtsextremismus positionieren.

Demnach haben sich Staatsorgane mit dieser und womöglich anderen betroffenen Parteien und ihrem Anliegen gemein gemacht, die Kritik zu unterdrücken.

Die Identifizierung der angeblichen Betreiber, so die Anwältin von zwei Beschuldigten in ihrem Gastbeitrag für netzpolitik.org, stamme aus "Behördenzeugnisse[n] des Verfassungsschutzes und Berichte[n] eines Verfassungsschutz-Spitzels". Nicht nur zeige dies das Muster, nach dem der Verfassungsschutz mit rechten und teils rechtsextremen zusammenarbeitet und die Szene mit kooperativen V-Leuten durchsetzt hat, sondern die "Beweisführung" des BMI bezüglich der Auswahl der Betroffenen beschränke sich "auf bloße nicht belegte und vor allem auch nicht überprüfbare Behauptungen". Der Verfassungsschutz habe zudem gegen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten verstoßen, indem er der Polizei geheime Hinweise lieferte.

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