Gesellschaft

Electroheel aus Wolgograd - Entdeckungsreise mit einem musikalischen Geheimtipp

Vor etwa zwei Jahren präsentierte die Musik-Plattform "ello" in ihrer Rubrik "ello up" einen Clip der Band "Electroheel". Der Name sagte mir nichts, der Clip war auch nicht ganz neu. Er stammte aus dem Jahr 2012. Doch "Hey hey" war einfach gut gemacht.
Electroheel aus Wolgograd - Entdeckungsreise mit einem musikalischen Geheimtipp© Gert Ewen Ungar

von Gert Ewen Ungar

Ich begann mich für Electroheel zu interessieren, suchte nach weiteren Clips, stellte aber schnell fest: Das Werk war überschaubar. Electroheel produzierten offensichtlich nicht sehr regelmäßig. Dafür war alles, was an Clips vorhanden war, qualitativ ausgesprochen gut. Gut in der Ausführung, musikalisch gut, gut in der Idee. Hier das Video zu "Hey hey":

Da ist zum Beispiel auch "Spirit of the Forest". Eine Geschichte aus dem Wald, psychedelisch bebildert und unterlegt mit treibenden elektronischen Beats. Wer steckte dahinter? Wer hatte diese Ideen, wer setzte sie um?

"Wer sind Electroheel?", fragte ich mich. Wer ist verantwortlich für dieses Feuerwerk an musikalischen und grafischen Einfällen, die sich zu einer Art Gesamtkunstwerk zusammenfügen und den Rahmen eines gewöhnlichen Musikclips hinter sich lassen? 

Ich erfuhr über die Zusammensetzung der Band, Polina und Maxim hießen die Bandmitglieder, und ich erfuhr, dass die Band aus Wolgograd stammt. Schließlich wurde ich auf VKontakte fündig. Ich nahm Kontakt zur Sängerin auf. Wir schrieben hin und her, es war ein sehr angenehmer Kontakt. Sie freute sich, zu hören, dass ihre Musik es bis nach Deutschland geschafft hat.

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Polina ist völlig unprätentiös. Und sie ist eine schöne Frau. Diesen Eindruck erweckt zumindest der Clip "Novocainum" der unter dem Bandnamen N.U.Action veröffentlicht wurde. Später veröffentlichte Electroheel noch ein weiteres Video in einem ähnlichen Stil: "Flashers". Polina singt auf ausnahmsweise auf Russisch. Und es bestätigte sich auch in der filmischen Totalen: Polina ist eine schöne Frau.

Auf dem Youtube-Kanal von Maxim Galimow kann man den Werken beim Entstehen zuschauen. Da finden sich kleine Clips, Skizzen und Experimente zur späteren Verwendung - möglicherweise.

Ich wurde immer neugieriger. Wer zum Teufel waren Electroheel? Wer verfolgte da so ambitioniert und mit großer Energie das Ziel, einen bestimmten Musikstil zu pflegen und aufwendige Clips dazu zu machen? Wo war das Studio, wie sah es im Creative-Lab aus, wie groß war der tatsächliche Stab an Mitarbeitern und Helfern? Der betriebene Aufwand für die vollkommen stimmig produzierten Clips schien groß, die Reichweite jedoch im Verhältnis zum betriebenen Produktionsaufwand unglaublich klein.

Die Klickzahlen blieben immer im vierstelligen Bereich.

2017 veröffentlichten Electroheel "Winter", eine einzige großartige Metapher, einen Geniestreich über das Thema Fatalismus.

Anlässlich der Fußball-WM würde ich in Russland sein und auch Wolgograd besuchen. Ich traute mich Polina kaum zu fragen, ob Electroheel wohl Zeit finden würden für ein Treffen? Sie wären sicherlich sehr beschäftigt.

Polina willigte jedoch sofort ein. Natürlich könnten wir uns treffen, wenn ich in Wolgograd wäre. Sie würde sich freuen, schreibt sie mir.

Electroheel - Hobby einer kleinen Familie

Und schließlich ist es dann soweit. Ich bin in Wolgograd, ich schreibe Polina, sie schlägt einen Treffpunkt im Zentrum der Stadt vor. Ich bin zusammen mit meinem Freund Pawel etwas vor der Zeit da und nervös - Pawel ist ganz gelassen.

Und dann kommen Electroheel. Ich sehe und verstehe sofort: Elektroheel sind eine Familie. Polina schiebt einen Kinderwagen, Maxim führt einen Kleinen an der Hand. Ich hätte mit allem gerechnet, nur nicht damit.

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Wir gehen in einem nahegelegenen Park spazieren. Polina und Max freuen sich, das man sich für ihre Musik interessiert. Electroheel wird bei einem kleinen Label vertrieben, erklärt mir Polina. Ein Problem sei, dass sie auf Englisch singen würden. Aber sie mag die englische Sprache, findet, das Englische klinge besser als Russisch, ließe sich auch besser musikalisch umsetzen.  

Ursprünglich seien sie aus Jekaterinburg. Dort sei es im Winter jedoch sehr kalt. Maxim erklärt, was der Grund war, nach Wolgograd zu ziehen: "Wir haben einfach nach einer größeren Stadt mit einer guten Jahresdurchschnittstemperatur gesucht und das war Wolgograd." So leicht können Entscheidungen getroffen werden. Allerdings erklärt mir Maxim, sei die Musikszene in Jekaterinburg interessanter. Wolgograd lebe von seinem Ruhm, den es in der Schlacht von Stalingrad erworben habe. Mehr sei hier leider nicht. Kaum Clubs, keine alternative Szene. Aber das Klima sei hier besser. Im Moment sind es deutlich über dreißig Grad, die Sonne scheint.

Maxim arbeitet als Zeichner für ein Unternehmen, das Computerspiele produziert. Beide, Maxim und Polina, haben ursprünglich Pädagogik studiert und auch einige Jahre als Pädagogen gearbeitet.

Ich möchte wissen, wie Elektroheel arbeiten, denke immer noch an ein Studio und einen kleinen Stab von Helfern und Mitarbeitern.

Die Werke entstehen in den Morgenstunden

Maxim erklärt mir, in Wolgograd geht im Sommer die Sonne sehr früh auf. Man könne nicht mehr schlafen, aber auch nicht wirklich etwas unternehmen. In dieser Zeit entstehen die Werke von Elektroheel, Skizzen, Studien und Kompositionen.

Fast alles passiert zu Hause, finanziell trage sich das Projekt nicht. Wenn beispielsweise Ello nachfrage, ob sie einen Clip veröffentlichen könnten, dann sei das alles für Ruhm und Ehre. Geld fließe hier keines.

Die große Bühne, den finanziellen Erfolg suchen die beiden nicht. Sie freuen sich, wenn ihre Arbeit jemandem gefällt und sie Anerkennung in Form von Rückmeldung und Lob bekommen, erklärt Polina. So wie das bei mir eben war.

Jetzt verstehe ich auch das Unprätentiöse, das mich die ganze Zeit so fasziniert hat. Es ist alles absolut echt, nichts zielt auf Wirkung und Marketing. Kein Wort und kein Satz versucht irgendein Band-Image zu erzeugen.

Ihre Clips seien im Grunde Metaphern, erklärt Maxim. Bis auf "Hey hey", das sei einfach ein Fluss aus Bildern.

Ich verstehe, was er meint. "Horses", das war mir auf den ersten Blick klar, ist eine einzige, bis ins Detail ausgearbeitete Metapher über Freiheit.

Mit welcher Software sie denn arbeiten würden, frage ich. Das sei doch alles sehr teuer. Maxim grinst und meint: "Torrent". Ich verstehe. Er habe mal nachgefragt, nach Rabatt. Da habe man ihm gesagt, er könne eine eingeschränkte Version für einen horrenden Betrag haben. Er habe geantwortet, "Na gut, dann eben über Torrent."

Das könne er nicht tun, das sei illegal, wurde ihm daraufhin gesagt.

"Was wollen sie machen?", fragt mich Maxim. Ich zucke mit den Schultern.

Was als nächstes kommt, möchte ich wissen.

Der nächste Clip wird erotisch, sagt Maxim und lacht. Wann er veröffentlicht wird, ist noch nicht klar.

Die Sonne senkt sich, es wird Zeit zu gehen, die Kinder müssen ins Bett. Wir verabschieden uns. Es war eine schöne Begegnung mit zwei wundervoll begabten Menschen, die vor Kreativität überfließen. Ich weiß nicht, ob sie von ihrem Talent wissen. Sie kehren es auf jeden Fall nicht heraus. Wir umarmen uns. Polina hakt sich bei Maxim unter und sie schieben ihren Kinderwagen nach Hause. Am Tag darauf wird es wieder sehr früh hell werden.

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