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Lettland: Als "prorussisch" titulierte Partei Saskaņa gewinnt Wahlen, wird aber ausgegrenzt

In Lettland waren die Wähler am 6. Oktober aufgefordert, ihre Stimmen für die Parlamentswahlen abzugeben. 54 Prozent von ihnen haben sich in dem 1,9 Millionen Einwohner zählenden baltischen Staat dazu durchgerungen. Doch der eigentliche Wahlgewinner geht leer aus.
Lettland: Als "prorussisch" titulierte Partei Saskaņa gewinnt Wahlen, wird aber ausgegrenztQuelle: AFP

von Pierre Lèvy

Die scheidende Regierung brüstet sich damit, die von der Europäischen Union gewünschten Reformen treu umgesetzt zu haben (im Steuerwesen, Gesundheitswesen usw.). Das hat dazu beigetragen, eine latente soziale Unzufriedenheit zu steigern, so dass noch immer viele, vor allem junge Menschen insbesondere in englischsprachige Länder auswandern. Mehrere Korruptionsskandale – unter anderem der, an dem der Chef der Zentralbank beteiligt war – haben sich ebenfalls auf die Wahlkampagne in Lettland ausgewirkt, was schon dazu führte, dass Riga manchmal auch als „die europäische Hauptstadt der Geldwäsche“ bezeichnet wird.

Und schließlich bleibt auch die sprachliche und auch soziale Diskriminierung der etwa 40 Prozent Menschen nicht-lettischer, insbesondere russischsprachiger Herkunft ein großes politisches Problem.

Zum vierten Mal in Folge erringt die als „prorussisch“ eingeordnete Partei Saskaņa („Eintracht“, „Harmony“ in Englisch) mit 19,9 Prozent die meisten Wählerstimmen (3,1 Prozent weniger als bei den letzten Wahlen). Neu ist jedoch der Aufstieg einer als populistisch beschriebenen jungen Partei, der KPV („Wem gehört der Staat?“), die mit 14,2 Prozent der Stimmen aus dem Stand auf dem zweiten Platz landete.

Doch die KPV hat im Gegensatz zu allen etablierten Parteien noch nie ein parlamentarisches Bündnis mit Saskaņa ausgeschlossen. Bisher wurde Saskaņa, obwohl sie die meisten Wählerstimmen auf sich vereinte, stets unter dem Vorwurf, Moskau zu nahe zu stehen, von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen.

Tatsächlich aber tritt Saskaņa als eine Partei mit sozialdemokratischer Orientierung auf. Sicher ist sie historisch in der russischsprachigen Bevölkerung verankert, zieht aber vor allem aufgrund der von ihr geforderten Sozialmaßnahmen auch Bürger „echter“ lettischer Herkunft an. In diesem Wahlkampf hatte sie vor allem vorgeschlagen, den Verteidigungshaushalt zugunsten von Bildungs- und Wohnungsbaumaßnahmen zu beschneiden. Für die derzeit regierenden Parteien, für die es erklärte Ehrensache ist, die von der NATO verordneten Ausgaben für den Militärhaushalt zu erreichen oder gar zu übertreffen, gleicht das einer Affenschande.

An der scheidenden Regierungskoalition waren fünf Parteien beteiligt, von denen drei zu den Hauptparteien gehören, geführt vom rechten Bündnis der "Grünen" und "Bauern". Dieses Bündnis der Grünen und der Bauern fällt von zuletzt 19,5 Prozent nun auf nur 9,9 Prozent der Wählerstimmen. Sein Regierungspartner Nationale Allianz (NA) schneidet mit 11 Prozent der Stimmen im Vergleich zu 16,6 Prozent vor vier Jahren kaum besser ab. Die Nationale Allianz ist eine der extremsten Parteien, insbesondere wenn es um die Einschränkung des Gebrauchs der russischen Sprache geht. Der dritte Partner in der scheidenden Regierungskoalition, die Vienotība (Einigkeit), kommt auf nur 6,7 Prozent, nachdem diese Partei 2014 noch satte 21,9 Prozent erreicht hatte.

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Neben der KPV profitieren zwei weitere Parteien von der Pleite der bisherigen Regierungsparteien: die ‚Neuen Konservativen‘, die von 0,7 Prozent auf 13,6 Prozent sprangen, sowie das erst unlängst gegründete Neue liberale Wahlbündnis „Für die Entwicklung! Dafür!“, das 12 Prozent der Stimmen errang. Man muss zugeben, dass es in Lettland keine wirkliche, lange verankerte politische Kultur gibt und Parteien ebenso schnell wieder verschwinden wie sie neu gegründet werden. Die ideologischen Grenzen verschwimmen dabei häufig. Die Opposition gegen Russland und die russischsprachigen Einwohner Lettlands sowie die Treue zur NATO und zur EU bilden jedoch bisher eine feste, gemeinsame Grundlage der Regierungsparteien.

Das hatte den aus dem Bündnis der Grünen und Bauern hervorgegangenen Ministerpräsidenten dazu veranlasst, die Wähler vor dem Urnengang zu warnen: „Die euro-atlantische Linie bildet den grundsätzlichen Rahmen unseres Handelns und ich werde keine Abweichung von dieser Linie akzeptieren.“ Nun ist es an ihm, eine Person zu finden, die eine zukünftige Mehrheit in einem Parlament würde bilden müssen, das in sieben parlamentarische Gruppen gespalten ist.

Saskaņa und die KPV verfügen insgesamt über 39 Sitze (jeweils 24 und 15); das wäre also die plausibelste Alternative zur gegenwärtigen Regierungskoalition. Das reicht aber andererseits nicht für die absolute Mehrheit in dem aus 100 Abgeordneten bestehenden Parlament.

Saskaņas Vorsitzender, der gleichzeitig Bürgermeister der Hauptstadt Riga ist, hat jedoch verkündet, dass ohne seine Partei „keine stabile und regierungsfähige Koalition möglich ist.“ Und er bezog sich auf die Konservativen und das Neue liberale Wahlbündnis, als er fortfuhr:

Denn sonst könnten Sie eine Koalition aus ausländerfeindlichen Personen und Verfechtern der Rechte Homosexueller haben, und eine solche Regierung würde nur zwei oder drei Wochen überleben.

Es deutet jedoch alles darauf hin, dass die etablierten Eliten schon eine Möglichkeit finden werden, um eine „Koalition aus Kreml-Nahen und Populisten“ auszuschließen, die ihnen zufolge eine Häresie darstellen würde. Besonders in diesem Land, dessen führende Politiker seit fast dreißig Jahren davon überzeugt sind (oder zumindest so tun, als seien sie es), dass die russischen Truppen kurz vor dem Einmarsch stehen. Die gleichen Politiker zeigen sich bemerkenswert nachsichtig, wenn es um die in diesem Land florierende Verehrung Nazi-Deutschlands geht.

Es bleibt jedoch eine Tatsache, dass die lettischen Wähler - und nicht nur die russischsprachigen - ihnen gerade eine schallende Ohrfeige verpasst haben, vor allem aufgrund der zunehmenden sozialen Unzufriedenheit. Doch in Brüssel zählt ja nur Eines: Dass Lettland sich nicht in die Riege der Länder einreiht, die von den „Populisten“ bedroht sind...

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