Nahost

Sorge vor der Türkei bei Arabern und Israelis gleichermaßen

Die Geschichte im Nahen Osten treibt manchmal seltsame Blüten. Allianzen kommen und gehen, wer gestern noch ein Feind war, kann heute bereits ein Freund sein und umgedreht. Ausgerechnet der Tempelberg eint Araber und Israelis für einen kurzen Moment auf einer Seite.
Sorge vor der Türkei bei Arabern und Israelis gleichermaßenQuelle: Reuters © Umit Bektas

Es gehört zum Nahen Osten wie ein Fondue zur Schweiz. Nichts ist in dieser Region so stetig wie der Wechsel von Allianzen und das Buhlen um den vermeintlich stärksten Partner. Jeder versucht, jeden irgendwie hinters Licht zu führen und vorzuführen, ein perfektioniertes Nullsummenspiel in historischer Kulisse.

Es ist kein Geheimnis, dass viele regionale arabische Staaten die Sache der Palästinenser ausnutzen, um von eigenen internen Problemen abzulenken. Die Unterstützung bleibt aber lediglich Rhetorik, weil keine Hilfe ohne die Zustimmung Israels möglich ist. Die Türkei, als einer der stärksten Konkurrenten Israels im Nahen Osten, ist ein klassisches Beispiel dafür.

Als "Terroristen" bezeichnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und beschuldigte Israel, ein "Terrorstaat" zu sein, der einen "Genozid" an den Palästinensern betreibe. Eigentlich müsste man meinen, dass die Palästinenser in Erdoğan eine Art Führungsfigur sehen, der sie nach solchen Worten aus ihrer Unterdrückung eines Tages herausholen würde. Doch sie haben gelernt, zwischen Rhetorik und Realität zu unterscheiden.

Schon einmal haben sie einem charismatischen Führer Glauben und Hoffnung geschenkt, der die Palästinenser aber nur in ein noch größeres Unglück schickte: Gamal Abdel Nasser.

Und dabei war Nasser ein arabischer Nationalist. Es erscheint mehr als fragwürdig, dass sich ein türkisches Staatsoberhaupt wie Erdoğan als ein akzeptierter Anführer für die palästinensische Sache aufschwingen kann; Rhetorik hin oder her. Die Fremdherrschaft der Osmanen hängt auch ein Jahrhundert später noch wie ein dunstiger Nebel über den ehemaligen Beherrschten.

Erdoğans Fühler reichen bis zum Tempelberg in Jerusalem

Ganz merkwürdig wird es, wenn sich plötzlich Palästinenser und andere arabische Staaten hinter Israel scharen, um gemeinsame Sache zu machen. Und wenn das israelische Sicherheitskabinett sogar auf deren Druck tagte, spätestens dann sollte man sich die Frage stellen, was da eigentlich los ist.

Stein des Anstoßes ist der immer größer werdende Einfluss der Türkei auf islamistische Kreise und Organisationen in Israel/Palästina. Und damit auch indirekt auf den Tempelberg, dem al-ḥaram aš-šarīf, auf dem sich auch das weltberühmte und älteste Heiligtum des Islams befindet: der Felsendom. Zusammen mit der al-Aqsa-Moschee gelten diese Sakralbauten auf dem Tempelberg als die drittwichtigsten Heiligtümer des Islams. Von hier aus soll der islamischen Überlieferung nach auch der Prophet Mohammed mit Buraq, einem pferdeähnlichen Reittier mit Flügeln und menschlichem Antlitz, zum Himmel und zurück geflogen sein. 

Der türkische Einfluss macht sich auch im Straßenbild bemerkbar. Die Zahl von Besuchern aus der Türkei steigt, die mit geführten Reisegruppen nach Jerusalem reisen. Türkische Fahnen sieht man das erste Mal seit der Zeit der Osmanen wieder in Palästina, ob es bei Protesten im Gazastreifen oder in Souvenirgeschäften und Restaurants in Ostjerusalem ist. Auch der im letzten Jahrhundert so verschmähte türkische Tarbusch, der vom traditionellen arabischen Kufiya als Zeichen des aufsteigenden arabischen Nationalismus verdrängt wurde, erlebt wieder ein Revival.

Was aber die Israelis, Palästinenser und andere arabische Regierungen alarmiert, ist der Versuch der Türkei, im islamisch-politischen System in Palästina Fuß zu fassen. Durch Erwerb von Immobilien und Gründung von türkische Kulturhäusern, über Finanzierung und Organisation von Veranstaltungen auf dem Tempelberg. Obwohl diese Veranstaltungen genehmigt wurden, haben sie immer wieder zu Spannungen zwischen radikalen Zionisten und orthodoxen Juden auf der einen und den türkischen Pilgern auf der anderen Seite geführt.

Insbesondere TIKA, die türkische Kooperations- und Koordinationsbehörde, steht dabei im Visier der israelischen Regierung und Sicherheitskräfte. Mit Büros hauptsächlich in der islamischen Welt – Kolumbien als einzige Ausnahme im "Westen" – leistet diese Behörde offiziell Aufbau- und Entwicklungsarbeit in 170 Ländern. Als staatliche Behörde mit besonderer Nähe zum türkischen Staatspräsidenten wird die Befürchtung gehegt, dass TIKA auch radikale Parteien und Organisationen in Palästina unterstützen könnte.

Während Israel also eher einen sicherheitsrelevanten Aspekt sieht, sorgen sich insbesondere Jordanien und Marokko über ihren Status in Jerusalem. Es geht dabei um Prestige in der islamischen Welt, Geld und natürlich auch Macht. Jordanien wurde nach dem Friedensvertrag mit Israel 1994 eine hohe Priorität bei den Verhandlungen über den permanenten Status aufgrund der historischen Rolle Jordaniens sowie die aktuelle "Spezialstellung des Haschemitischen Königreichs von Jordanien über die muslimischen Heiligtümer in Jerusalem" gewährt.

Marokkos König Mohammed VI. sieht sich ebenfalls als Hüter der Heiligtümer in Jerusalem, weil sein Stammbaum direkt zum Propheten Mohammed führen soll. Die Palästinenser befürchten, dass sie im Falle eines zu starken türkischen Einflusses wieder aus der großen Arena der Verhandlungen ausgeschlossen werden und ihnen die Druckmittel gegenüber Israel und den USA abhandenkommen. Sie alle eint die Angst vor einem neuen türkischen Sultan, der sich im Mantel des "Hüters des Tempelbergs" präsentiert.

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