Nahost

Exklusiv-Interview: Iraner wollen keine Demokratie nach US-amerikanischem Vorbild

Seit mehr als einer Woche finden in mehreren Städten des Iran weltweit beachtete Protestkundgebungen statt. RT Deutsch sprach darüber exklusiv mit dem Iran-Experten und politischen Korrespondenten des Nahost-Nachrichtenportals al-Sura, Muhammed Husein.
Exklusiv-Interview: Iraner wollen keine Demokratie nach US-amerikanischem VorbildQuelle: Reuters

von Ali Özkök

Unter Auslandsiranern bedeutsame Persönlichkeiten wie Maryam Rajavi oder Cyrus Reza Pahlavi versuchen, die Proteste im Iran zu nutzen, um Rückenwind für ihre eigene Agenda zu erlangen. Trotz aller Anstrengungen haben sie jedoch kaum realen Einfluss auf die iranische Bevölkerung. Die Iraner wollen keine Demokratie nach US-amerikanischem Vorbild, sagt der Iran-Experte und politische Korrespondent des Nahost-Nachrichtenportals al-Sura, Muhammed Husein, im Interview mit RT Deutsch.

Was hat Ihrer Meinung nach die Proteste im Iran ausgelöst?

Meine Quellen im Iran haben betont, dass die Proteste aus wirtschaftlichen und nicht aus politischen Gründen ausgelöst wurden. Der Anstieg der Preise für die Alltagsversorgung und die Inflation sind es, was diese Proteste ausgelöst haben. Gegen solche Missstände zu demonstrieren, ist das Recht eines jeden Menschen und selbst die iranische Regierung ist sich einig, dass diese Proteste erlaubt sein sollten. Die Menschen haben echte Sorgen und Beschwerden, auf die die iranische Regierung eine Antwort geben muss. Wenn diese Proteste jedoch politisiert werden, um bestimmten Tagesordnungen zu dienen, dann wird es problematisch.

Glauben Sie, dass die Proteste ein Ausmaß annehmen könnten, wie wir es in der Vergangenheit während des Arabischen Frühlings in Libyen, Ägypten oder später in Syrien erlebt haben? Wenn nicht, was ist anders im Iran?

Ich denke nicht, dass sich die Proteste im Iran zu solchen wie in Libyen, Ägypten und Syrien entwickeln könnten, da viele dieser Proteste als politische und nicht ökonomische Aufstände anfingen. Wir hörten Gesänge wie "Al Sha'b Yureed Isqat al Nizam", was auf Deutsch "Das Volk will das Regime stürzen" bedeutet, bereits in den ersten Tagen der Proteste in diesen Ländern. Im Iran wurden diese Gesänge von einer kleinen Minderheit von Individuen gebracht. Die Mehrheit der Demonstranten skandierte Anti-Korruptions-Slogans, was bedeutet, dass der Geist der Proteste völlig anders ist. Zusätzlich sahen wir harte Reaktionen von Regierungen während des Arabischen Frühlings, während wir im Iran viele Elemente in der Regierung sahen, darunter Präsident Rohani, die die Proteste begrüßten.

Vor allem kurdische und arabisch besiedelte Gebiete im Iran, also die Regionen um Kermanschah und Ahwaz, scheinen Zentren des Protests zu sein. Was sagt das über die Art der Proteste aus?

Was diese Minderheiten angeht, so gibt es zwei Probleme. Zuerst müssen wir die Entrechtung von Minderheiten durch die Regierung anerkennen. Ihnen fehlen Rechte, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Bei großen wirtschaftlichen Problemen werden Minderheiten am härtesten getroffen, so dass viele glauben, dass sie nichts zu verlieren haben, wenn sie protestieren. Zweitens erhielten viele arabische und kurdische Regionen lange Zeit Unterstützung von Saddam Hussein und von westlichen sowie arabischen Ländern, die versuchen, die iranische Regierung zu destabilisieren.

Man muss sich daran erinnern, dass die ölreichen arabischen Gebiete im Iran einer der Hauptmotivatoren für Saddams achtjährigen Krieg mit dem Iran waren. Es gibt bezahlte und ausgebildete Elemente sowohl im kurdischen als auch im arabischen Iran, die jetzt die perfekte Chance sehen, ihren Einfluss durch Konflikte und Proteste zu bewahren und die Entrechtung durch die Regierung als Entschuldigung zu missbrauchen.

Inzwischen haben sich ausländische Organisationen oder sogar Persönlichkeiten wie Maryam Rajavi und Cyrus Reza Pahlavi mit den Protesten solidarisiert. Glauben Sie, dass diese Persönlichkeiten eine echte Unterstützung in der Bevölkerung genießen, oder wollen sie die Proteste nur vereinnahmen?

Dass Rajavi und Pahlavi gar keine Unterstützung haben, wäre falsch. Der größte Teil dieser Unterstützung kommt jedoch von so genannten Auslandsiranern, die während der Revolution von 1979 entrechtet wurden. Das ist ähnlich wie bei den Baathisten im Irak.

In der Regel haben diese Leute eine hohe Kaufkraft und können in die Verbreitung von Nachrichten investieren, die nur ihrer Position dienen. Sie verlieren mehr, wenn das gegenwärtige System intakt bleibt, also nutzen sie ihre wirtschaftlichen Vorteile gegen die Regierung. Ähnlich ist es mit Einzelpersonen wie Rajavi und Pahlavi. Sie docken an diese Protestwelle an, um sich in der iranischen Politik wieder relevant zu machen.

In Wirklichkeit will die große Mehrheit der Iraner keinen Regimewechsel. Sie wollen, dass die Politik effizienter arbeitet und die wirtschaftlichen Grundbedürfnisse erfüllt. Viele von denen, die protestieren, wollen auch keine Demokratie nach US-amerikanischem Vorbild. Sie haben den westlichen Stil der Demokratie-Bildung im benachbarten Irak und Syrien beobachten dürfen. Sie sind nicht bereit, ihr Land dafür zu opfern.

Laut iranischen Medienberichten befeuerten vor allem die USA die Demonstrationen. Wie glaubwürdig ist das Ihrer Meinung nach?

Der Iran ist ein Land, das an politische Umwälzungen und externe Interventionen gewöhnt ist. In 1958 wurde Mohammed Mossadeghs Regierung durch eine Reihe von Protesten gestürzt, die vom US-Auslandsgeheimdienst CIA forciert wurden. Die Regierung hatte es unter Kontrolle, aber die massive Intervention der CIA zu Gunsten bestimmter Elemente innerhalb war das, was den Sturz des demokratisch gewählten Staatsführers Mossadegh verursacht hat.

Auch diesmal haben die USA zu einem gewissen Grad die Demonstranten beflügelt, sei es durch Tweets von Präsident Trump oder durch die massive Menge an Propaganda und negativer Rhetorik, die verbreitet werden.

Das Ziel war es, die Proteste zu führen, um externen oder persönlichen Interessen zu dienen. Betrachtet man die Reaktionen weltweit, so sind die einzigen Länder, die die Proteste unterstützen, die typischen antiiranischen Länder. Wenn sie wirklich versuchten, den demokratischen Wandel zu unterstützen, dann hätten sie in den letzten Jahren keinen Krieg mit dem Iran gefordert. Statt direkter ausländischer Intervention halten diese Länder es vorerst offenbar für sicherer, Risse in der iranischen Gesellschaft zu fördern. Das ist weit kosteneffektiver als direkte Intervention.

Inwieweit könnten die Proteste die iranische Außenpolitik im Irak und in Syrien beeinflussen, wo Teheran einer der wichtigsten geopolitischen Akteure ist?

Ich glaube nicht, dass diese Proteste die iranische Außenpolitik wirklich beeinflussen werden. Es gibt viele Beispiele, in denen es innerhalb eines Landes politische Unruhen gibt, aber diese Unruhen haben keinen Einfluss auf die Außenpolitik. In den USA zum Beispiel gibt es ständig soziale Proteste, aber diese wirken sich nur selten auf die Außenpolitik aus. Die Außenpolitik ist vom politischen Prozess im Allgemeinen losgelöst, da es unterschiedliche Ziele und Ressourcen gibt, die speziell für die Außenpolitik vorgesehen sind.

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