Asien

Zum Scheitern verurteiltes Projekt: USA wollen China und Russland gegeneinander ausspielen

Kissingers unerwarteter Besuch stand im Zeichen der US-Ambitionen, ihre Balancepolitik in Eurasien zu erneuern. Um die globale Vormacht zu behalten, müssen die USA eine Blockbildung in Eurasien um jeden Preis verhindern. Doch der dürfte diesmal zu hoch sein.
Zum Scheitern verurteiltes Projekt: USA wollen China und Russland gegeneinander ausspielenQuelle: AFP

von Murat Kilic

Die USA haben sich nach Monaten des Handelskrieges mit China beim jüngsten G20-Gipfel in Argentinien auf einen "Waffenstillstand" mit der Volksrepublik geeignet. Das passt gut ins Bild der transatlantischen Ordnungstheoretiker, die jegliche von Russland angeführte Blockbildung auf dem eurasischen Kontinent für eine Bedrohung der US-Vormachtstellung betrachten.

Erst im November stellte die Nationale Verteidigungsstrategiekommission der USA, bestehend aus zwölf ehemaligen Nationalen Sicherheitsberatern, einen Report vor, der feststellt, dass die Aussicht auf einen militärischen Sieg Washingtons gegen China und Russland, die immer enger zusammenarbeiten, über kurz oder lang in Frage gestellt werden müsse. Die Alarmglocken in Washington läuten.

Der renommierte russische Politikexperte des Carnegie Moscow Center, Dmitri Trenin, schlussfolgerte am 2. Dezember, dass die USA mittels des "Waffenstillstands" mit Peking den Druck auf Russland erhöhten. Er fügte hinsichtlich des US-Schachzugs hinzu:

Klug von Washington, seine Gegner zu spalten.

Bemerkenswert ist, dass diese Teile-und-Herrsche-Politik der USA eine von den jeweiligen Regierungen unabhängige Konstante darstellt, die vor allem mit einer Person in Verbindung gebracht werden kann: dem Realpolitiker Henry Kissinger, ehemaliger Außenminister und Sicherheitsberater der USA.

In seinem Buch "Weltordnung", das 2014 veröffentlicht wurde, skizziert der ehemalige Topdiplomat ein aktuelles Konzept für eine Weltordnung, die den USA nachhaltig einen Platz an der geopolitischen Spitze der Welt sichert. Seine Weltordnung beruht nach eigenen Angaben auf den sogenannten Westfälischen Prinzipien, die sich auf ein System unabhängiger Staaten mit wechselseitigen Ambitionen stützen, die aber durch ein gezieltes Kräftegleichgewicht von außen unter Kontrolle gehalten werden. Da dieses historische Gleichgewicht zunehmend aus den Fugen gerät, fordert Kissinger:

Die heutigen Herausforderungen bei der Weiterentwicklung der Weltordnung würden bedeuten, dass das Westfälische System modernisiert und an neue Realitäten angepasst werden muss.

Gegen die Westfälischen Prinzipien, die nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 entwickelt wurden, gibt es zunächst einmal nichts einzuwenden. Denn sie garantieren die Souveränität eines Staates nach innen und außen. Sie erkennen nur ein einziges Gewaltmonopol an, nämlich das des Staates. Problematisch wird es, wenn man eine externe Kraft als sogenannten "Offshore-Balancer" installiert, um die Ordnung und das kreierte Kräftegleichgewicht zu erhalten, gegen "aufstrebende Mächte" vorzugehen und diese kleinzuhalten.

Den Ursprung dieser "Weltordnung" und ihre feste Etablierung kann man auf die Zeit zwischen dem "Westfälischen Frieden" (1648) und dem Wiener Kongress (1814/15) zurückführen. Am Ende dieses Zeitabschnittes, der in der Gründung der künftigen Weltmacht USA gipfelte, während Europa noch von den Folgen der französischen Revolution geprägt ist, steht der Aufstieg des britischen Imperiums und seines globalen Kolonialismus.

Das Konzept setzte sich dauerhaft 1713 nach dem Spanischen Erbfolgekrieg durch, als eine von England geführte Allianz den Hegemonieanspruch Frankreichs durchkreuzte. Außerdem sicherten die Ergebnisse des Siebenjährigen Krieges, des sogenannten Großen Nordischen Krieges und der Türkenkriege zunächst Großbritanniens Rolle als "Offshore-Balancer".

Geopolitisch gesehen, wurden die Vormachtsvisionen der Geostrategen Mackinder und später Spykman umgesetzt. Dabei steht die Prämisse im Vordergrund, eine geopolitische Zusammenkunft Eurasiens zu verhindern, das in ein sogenanntes Rimland bzw. Heartland aufgeteilt wurde. Nur wenn beide Komponenten kooperieren, lässt sich das volle geopolitische Potenzial Eurasiens entwickeln. Die Spaltung Eurasiens wiederum machte den Aufstieg von Seemächten zu globalen Weltmächten erst möglich.

Besonders deutlich wurde die britische Umsetzung dieser aggressiven Balancepolitik während der Russisch-Osmanischen Kriege, wo sich London auf die Seite der Türken schlug. Während man Russland auf Distanz hielt, riss sich London als Gegenleistung die strategisch wichtige Insel Zypern unter den Nagel. Wenige Jahrzehnte später stellte sich Großbritannien aus anderem Anlass im Rahmen der sogenannten Triple Entente wiederum auf die Seite seines ehemaligen Gegners Russland. Ein konstruktives Verhältnis zwischen Russland, das das Heartland Eurasiens verkörpert, und einem Rimland wie dem Osmanischen Reich oder Deutschland und seinen Verbündeten in Zentraleuropa hätte geopolitisch zur Folge, dass ein Inselstaat wie Großbritannien oder später die USA, die jenseits der alten Welt zwischen zwei großen Ozeanen liegen, kaum realistische Chancen hätte, sich als Großmacht zu etablieren.

Um es deutlicher auszudrücken: Im 17. und 18. Jahrhundert war Frankreich, abgesehen von der napoleonischen Periode, als führende Macht im alten Europa hoch verschuldet und wurde nach der Revolution und dem Wiener Kongress schließlich der neuen Weltordnung "angepasst". Das Osmanische Reich im Osten wurde militärisch in Mehrfrontenkriege verwickelt, innenpolitisch wie wirtschaftlich geschwächt und schließlich im Ersten Weltkrieg komplett aufgeteilt. Noch gravierender für Eurasien als Machtpol war es, die beiden eurasischen Großstaaten Russland und das Osmanische Reich stets gegeneinander auszuspielen und deren Konflikt auszunutzen. Im 20. Jahrhundert fokussierten sich schließlich die USA, die die Seemachtsdominanz von London erbten, ausschließlich auf die Isolation Moskaus in Eurasien.

Die räuberische Geopolitik, die auf der Ausbeutung der Westfälischen Prinzipien basiert, wird unter anderem durch die neu gewonnene russisch-türkische Zusammenarbeit unterminiert. Turkish Stream und die Kooperation im Syrien-Konflikt, die auch den Iran mit ins Boot bringt, können inzwischen als regionale Integrationsinitiativen verstanden werden.

Auch wenn die Türkei zunehmend aus dem westlichen Orbit ausbricht, haben die USA ihre Balancepolitik nicht aufgegeben und versuchen, andere Karten ins Feld zu führen. Dazu zählt China, das in den letzten Jahren jedoch selbst innige Beziehungen zu Russland aufbauen konnte, nachdem sich Moskau im Zuge der Ukraine-Krise von Westeuropa abwendete. Das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten soll noch dieses Jahr auf einhundert Milliarden US-Dollar ansteigen.

Sinnbild für die noch immer verfolgte Balance-Doktrin der USA ist das jüngste Treffen des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping am 8. November. Zeitgleich trafen sich die jeweiligen Außen- und Verteidigungsminister in Washington, obwohl sich Kriegsschiffe beider Länder im Südchinesischen Meer regelmäßig gefährlich nahekommen. Wie bereits Dmitri Trenin andeutete, wollen die USA China als Rimland in Ostasien ähnlich wie Europa verstärkt zu einer Eindämmungspolitik gegenüber Moskau überreden. Dabei lockt die Trump-Administration mit neuen Handelsoptionen.

Der Preis, den die USA zahlen müssten, um Peking aus dem eurasischen Raum herauszureißen, dürfte allerdings inzwischen zu hoch sein. Die "Neue Seidenstraße" ist das wichtigste außenpolitische Großprojekt der Volksrepublik, das Peking über Asien mit Europa verbinden soll. Für China ist das Projekt vor allem auch ein Mittel, die Abhängigkeit vom Seehandel zu reduzieren, den die US-Marine kontrolliert. In dieser Frage sind die chinesischen Ambitionen deckungsgleich mit denen Russlands.

Versuche, Kissingers Doktrin umzusetzen, sind zum Scheitern verurteilt. Die Weltordnung einer einzigen Supermacht USA, die in den 1990er-Jahre nach dem Kollaps der Sowjetunion ihren Siegesmarsch begann, geht allmählich in einer multipolaren Neuordnung auf.

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