Meinung

Das Spiel der USA in Eurasien ist aus: Brzezińskis "Schachbrett" wird zusammengeklappt

Zbigniew Brzezińskis geostrategischer Traum von einer alleinigen US-Weltmacht und Hegemonie ist zum Scheitern verurteilt. Das hat viel mit den Entwicklungen während des Syrien-Konflikts zu tun. Doch nicht nur. Eine Analyse.
Das Spiel der USA in Eurasien ist aus: Brzezińskis "Schachbrett" wird zusammengeklappt© Mandel NGAN

von Murat Kılıç

Geradezu sinnbildlich für seine US-amerikanische Dominanz-Strategie scheint dabei der Zeitpunkt seines Todes im Mai 2017 als Russland, der Iran und die Türkei ein Memorandum zur Einrichtung von vier "Deeskalationszonen" in Syrien unterzeichneten. Das Abkommen beinhaltet nicht nur einen Friedensplan zur Beilegung des syrischen Konfliktes, es ist auch eine Antwort der drei Garantiestaaten Türkei, Iran und Russland an die fortwährend im Nahen Osten aggressiv und rücksichtslos agierende USA und ihre Verbündete.

Dieser US-geführte Atlantikbund hat sich bisher nicht gescheut, seine geostrategischen Ziele, die der verstorbenene Zbigniew Brzeziński während des Kalten Krieges definiert hat, auch auf Kosten von Millionen von Menschen durchzusetzen, indem der Konflikt in Syrien weiter aufgeheizt und in die Länge gezogen wird. Damit ist es nun vorbei. Auch die letzte Möglichkeit, eine regionale Kooperation zu sabotieren, die die etwas komplizierte Lage in Idlib dargeboten hat, wurde in Sotschi mit der Abmachung einer entmilitarisierten Zone zunichtegemacht. Vielen westlichen Beobachtern zufolge war dieser Schritt nicht abzusehen und sogar eine Überraschung, dass die Türkei und Russland ihre Differenzen zur Seite schieben und sich auf eine nachhaltige Kooperation einigen konnten. Diese vermeintlichen Experten lagen auch zuvor falsch, als sie das Astana-Abkommen für Tod erklärt und sogar eine Auseinandersetzung zwischen den Parteien prophezeiten.

Diese Entwicklung widerspricht dem Narrativ der bis heute gelebten US-amerikanischen Eurasien-Strategie. Nämlich, dass auf dem Schachbrett von Zbigniew Brzeziński der Iran, Russland und die Türkei niemals kooperieren und sich vernetzen dürfen, sonst droht den USA im geopolitischen Ringen ein Schachmatt.

Nun geht die Angst um in Washington, dass das "Große Spiel" ein tragisches Ende haben könnte. Die Arroganz der Analytiker und Geostrategen in Washington, die Staaten nur noch als Schachfiguren betrachten, hat sie berauscht. Die Macht, die die USA seit dem Kollaps der Sowjetunion errang, ließ die Strategen der US-Regierung von der tatsächlichen Dynamik am Boden abheben. Am Ende werden sie ganz den Realitätssinn verlieren. Angesichts dieses noch nie dagewesenen Grads der regionalen Kooperation zwischen Moskau, Ankara und Teheran haben die USA versucht, noch einmal kräftig zu zündeln, um Risse im Astana-Format zu provozieren.

Nur einige Stunden nach der Sotschi-Einigung zwischen Russland und der Türkei wurde ein russisches Militärflugzeug mit 15 Insassen auf kuriose Art und Weise über dem Mittelmeer abgeschossen. Einige Tage später kam es zu einem Anschlag während einer Millitärparade im iranischen Ahwaz, wobei dutzende Menschen getötet und verletzt wurden. Unterdessen kämpft die Türkei seit Monaten gegen eine Abwertung der Lira, ausgelöst von den USA, die Ankara sanktionierten und einen Handelskrieg auslösten.

Nichtsdestotrotz vertiefen sich die Beziehungen dieser drei eurasischen Akteure, die sich als Schicksalsgenossen betrachten. Zeitgleich wird der Spielraum für die Weltmacht USA in der Region immer enger. Provokationen wie zuvor in Idlib und anderen Teilen Syriens werden umgangen. Zudem wird der Einfluss der USA im eurasischen Raum unter anderem durch die seit 17 Jahren bestehende und immer attraktiver werdende Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) zurückgedrängt. Die SCO hat nicht nur das Potenzial eines starken Wirtschaftsbundes mit der Aussicht auf Kooperation in Sicherheitsfragen, die als Gegengewicht zu transatlantischen Institutionen wie die NATO und EU fungiert, sondern sie bietet den Vertragspartnern darüber hinaus die Möglichkeit, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.

Anders als die NATO beruht die Organisation streng auf der Garantie des gegenseitigen Vorteils (win-win), wo Entwicklung als Gemeinschaftsprojekt begriffen wird. Desweiteren betont die SCO die Respektierung der unterschiedlichen Religionen und Kulturen. Das sind Werte, die über die veralteten Konzepte des "Westens" wie die Huntingtonsche These vom Kampf der Kulturen oder plumpe Methoden des Kalten Krieges wie Handelskriege und die Nullsummen-Mentalität hinausgehen. Die SCO repräsentiert heute fast die Hälfte der Erdbevölkerung und umfasst große Energievorkommen und wichtige Handelswege, dazu kommt das Zukunftsprojekt: Die neue Seidenstraßen-Initiative.

Man kann eine Machtverlagerung vom Atlantik Richtung "Pivot Area" und "Rimland", wie die 'alte Welt' also Afro-Eurasien von Brzezińskis Meistern Spykman und Mackinder bezeichnet wurden, beobachten. Interessant ist auch, dass neben dem NATO-Staat Türkei neuerdings auch Indien trotz US-Drohungen einen Vertrag über eine Lieferung von fünf S400-Luftabwehrsystemen mit Russland unterzeichnet hat. Turkstaaten in Zentralasien und am Kaspischen Meer kooperieren zwar seit zwei Jahrzehnten, doch in den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit intensiviert. Usbekistan z. B. strebt nach Jahren der Abschottung nach einer engen bilateralen Beziehung mit der Türkei.

Bei der letzten Sitzung des Kooperationsrates der türkischsprachigen Länder betonte der ungarische Ministerpräsident Orbán die turkstämmige Vergangenheit Ungarns. Man stellt hierbei fest, dass selbst für mittel- und osteuropäische Staaten die eurasische Zusammenarbeit in jeglicher Form eine Alternative gegenüber dem "Westen" darbietet. Während man bei der EU die nationale Souveränität an die europäischen Instanzen abgibt, man kann schon fast von einem Föderalismus sprechen, bleiben die Verbündeten der SCO souveräne, unabhängige Nationalstaaten.

Passend dazu wurde im August dieses Jahres der Streit um den Status des Kaspischen Meeres nach jahrzehntelangen Verhandlungen beigelegt und weitgehend geregelt. Die gesamte Region wird davon profitieren, aber auch Europa, das ebenso Abseits der USA nach neuen Partnern umschaut. Vor allem die turkmenischen Energievorkommen könnten über die transkaspische und die neugebaute transanatolische (TANAP) Pipeline über Aserbaidschan und Türkei nach Südosteuropa geliefert werden. Ein weiterer Schlag ins Gesicht der US-Regierung ist das russisch-türkische "Turkish Stream"-Pipeline-Projekt, das wiederum Europa mit Energie versorgen wird. Neue energiepolitische Lösungen führen dazu, dass neue Wirtschaftsräume in Zukunft entstehen, die nicht mehr exklusiv unter US- oder EU-Kontrolle stehen.

Viele Balkanstaaten sehen diese Entwicklungen auch als Chance für ihre eigene Stabilität. Die positiven türkisch-russischen Beziehungen der letzten Jahre könnten dieser Region, die vom "Westen" immer demütigend als "Unruheherd" bezeichnet wird – nicht umsonst wird der Begriff "Balkanisierung" als Synonym für Chaos, Rückständigkeit und Instabilität gebraucht –, eine Chance darbieten sich unabhängig von transatlantischen Interessen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang bleibt zu betonen, dass jegliche Krisen der letzten Jahrzehnte im Balkan, die die wirtschaftliche und demografische Entwicklung der Region negativ beeinflusst haben, ein Resultat der "räuberischen Geopolitik" eben jener transatlantischen Akteure sind, die ansonsten Destruktivität Russland vorwerfen. In Mazedonien hat zuletzt diese Geopolitik eine herbe Niederlage einstecken müssen. Das Aufzwingen der Namensänderung hat die Bevölkerung so nicht hingenommen. Generell werden jegliche Aktionen die von der EU und NATO "gesponsert" werden, bei der Bevölkerung mit Argwohn betrachtet.

Auch Deutschland "ärgert" seinen Atlantikpartner mit dem Nord Stream 2 Projekt. Der Handelskrieg mit den USA zwingt Deutschland, auch pragmatischer zu handeln. Deswegen sucht es auch immer wieder nach Dialog und Gespräch mit den "schwierigen Partnern", darunter vor allem die Türkei und Russland. Eine "blinde" Verfolgung 'atlantischer Interessen' würde negative Folgen für deutsche Wirtschaftsinteressen in Südosteuropa, im Nahen Osten, Afrika und Zentralasien mit sich tragen.

Nun scheint auch die Vision von den USA als "die einzige Weltmacht", wie seine Buchveröffentlichung noch im Jahr 1997 unterstrich, zusammen mit Herrn Brzeziński ins Grab hinabzusteigen.

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