Lateinamerika

Dialog ohne Einigung – Proteste in Kolumbien gegen die Regierung von Präsident Duque

Seit über einem Monat kommt es in Kolumbien zu Massenprotesten und Streiks gegen die Regierung von Präsident Iván Duque. Aus anfänglichen Protesten gegen angekündigte neoliberale Reformmaßnahmen wurden mittlerweile grundlegende Forderungen an den kolumbianischen Staat.
Dialog ohne Einigung – Proteste in Kolumbien gegen die Regierung von Präsident DuqueQuelle: Reuters © David Estrada

Am 21. November 2019 gingen Millionen Kolumbianer auf die Straßen, um gegen das "Paquetazo" getaufte Gesetzespaket der Regierung von Präsident Iván Duque zu protestieren. Die neoliberalen Maßnahmen sehen Reformen im Steuerwesen, dem Arbeitsrecht und Rentensystem sowie Erhöhungen der Strompreise vor.

Von Anfang an offenbarten die Proteste die in der kolumbianischen Bevölkerung verbreitete Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Regierung und über die historischen Versäumnisse des Staates. In fast allen Städten des Landes kam es zu Massenprotesten.

Seitdem dauern die Proteste auf einem etwas geringeren Niveau an. Die Kolumbianer versammeln sich weiterhin in Massen zu Protestmärschen, Konzerten und Treffen von sozialen Organisationen sowie anderen gemeinsamen Aktivitäten.

Die Forderungen

Der Forderungskatalog des sogenannten Nationalen Streikkomitees (Comité Nacional del Paro, CNP), das die Proteste gegen die Duque-Regierung organisiert, wendet sich im Einzelnen gegen folgende Punkte des "Paquetazo":

  • Ablehnung der Steuerreform als Maßnahme zur Steuersenkung für Unternehmen und transnationale Konzerne sowie zur Steuererhöhung für die Mittelschicht und die einfachen Arbeiter.
  • Ablehnung der Arbeitsrechtsreform als Maßnahme zur Destabilisierung der Arbeitsverhältnisse, mit einer Begrenzung des Mindestlohnes für Jugendliche auf 75 Prozent, einem regionalen Lohngefälle, Verträgen auf Stundenbasis und der Abschaffung des Mindestlohnes.
  • Ablehnung der Rentenreform als Maßnahme zur Umwandlung des öffentlichen Rentensystems Colpensiones in einen privaten Rentenfonds und der Abschaffung der Rechts auf Pension für alle Arbeiter.
  • Ablehnung des sogenannten "Tarifazo" als Maßnahme zur Erhöhung der Strompreise um bis zu 35 Prozent.
  • Ablehnung der Gründung einer staatlichen Finanzholding als Maßnahme mit negativen Auswirkungen auf 17.000 Arbeitnehmer und 16 staatliche Unternehmen.

Neben der Ablehnung dieser Punkte des Gesetzespaketes beinhaltet der Katalog des CNP Forderungen nach:

  • Bekämpfung der Korruption, durch die "jedes Jahr 50 Billionen Pesos (rund 17 Milliarden US-Dollar) gestohlen werden".
  • Anhebung des Mindestlohnes um 8,1 Prozent auf eine Million Pesos (300 US-Dollar), inklusive der Verkehrssubventionen.
  • Umsetzung der Friedensvereinbarungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der früheren Rebellenarmee Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC).
  • Abschaffung der Straffreiheit für die Mörder von Anführern sozialer Organisationen und lokalen Politikern.
  • Umsetzung der bei vorangegangenen Protesten angekündigten Versprechen gegenüber Organisationen der Indigenen, Gewerkschaften und Studenten.

Staatliche Repression und Tote

Die landesweiten Proteste waren begleitet von wiederholten Klagen über einen massiven Gewalteinsatz durch die Polizei.

Am 22. November bestätigte der Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo den Tod von drei Personen während der Proteste am Tag zuvor, demzufolge einer der Fälle auf das Vorgehen der Polizei gegen "einen Plünderungsversuch" zurückzuführen war.

Für besonderen Aufruhr sorgte der Tod eines Jugendlichen am 25. November, zwei Tage nachdem er von Einsatzkräften des Spezialkommandos Escuadrón Móvil Antidisturbios (ESMAD) während eines Protests in der Hauptstadt Bogotá angegriffen wurde.

Der Autopsie zufolge handelte es sich um eine gewaltsame Tötung. Der 18-Jährige wurde von einer Patrone getroffen, wie sie typischerweise in den Waffen der ESMAD zum Einsatz kommt.

Bei einer anderen Aktion der ESMAD gegen Proteste vor der Universität Bogotás verlor ein Student ein Auge als Folge der dabei erlittenen Verletzungen.

Außerdem eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen der Verhaftung zweier Jugendlicher bei den Protesten durch die Sicherheitskräfte, die die Festgenommenen in nicht identifizierbaren Fahrzeugen abtransportierten.

Gespräche

Angesichts dieser Forderungen und des wachsenden Unmuts der demonstrierenden Massen stimmte die Regierung einem Dialog zu. An der sogenannten Gran Conversación Nacional (Großes Nationales Gespräch) sollen verschiedene Teile der Gesellschaft teilnehmen, unter anderem auch die Unternehmerschaft.

Die Vertreter der Sozialproteste bestanden auf einer eigenen Gesprächs- und Verhandlungsrunde mit der Regierung, auf die sich diese nach einer fast zweiwöchigen Diskussion schließlich einließ.

Die Gespräche liefen allerdings bisher ohne nennenswerte Fortschritte. Zu Verhandlungsbeginn übergab das CNP eine Petition, die neben den ursprünglichen Forderungen zusätzlich die Überprüfung der Polizeiaktionen und die Auflösung der Spezialeinheit ESMAD umfasste.

In der vergangenen Woche wurde der Forderungskatalog weiter präzisiert. Die Organisatoren der Proteste übergaben der Regierung ein Dokument mit 104 Verhandlungspunkten. Der Verhandlungskatalog beinhaltet Forderungen wie die komplette Verstaatlichung des Öl- und Gaskonzerns Ecopetrol, das Verbot von "Fracking" zur Erdölgewinnung, die Abschaffung des Einsatzes von Glyphosat zur Unkrautvernichtung in der Landwirtschaft, die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Rebellenorganisation Ejército de Liberación Nacional (ELN) und die Neuausrichtung der nationalen Militärdoktrin sowie Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Der Generalsektretär des Präsidialamts und Verhandlungsbeauftragter für die Regierung, Diego Molano, sagte, dass einige Punkte der Forderungen den "Rahmen der Verfassung" überschreiten, und stellte klar, dass "man hier nicht mit dem Staat verhandeln kann".

Der Dialog, der in der vergangenen Woche in die sechste Verhandlungsrunde ging, verlief bisher ohne Ergebnisse.

Der "Paquetazo" schreitet voran

Die Regierung hat einige der Forderungen der Protestierenden übergangen und die Umsetzung ihres geplanten politischen Programms weiter betrieben.

So gründete die Exekutive per Dekret am 25. November wie geplant die staatliche Finanzholding unter dem Namen Grupo Bicentenario.

Außerdem verabschiedete das Parlament in einer Nachtsitzung am 20. Dezember die angekündigte Steuerreform, entgegen der breiten sozialen Ablehnung der Maßnahme. Im Zentrum der Kritik stehen dabei die großzügigen Steuervergünstigungen für Kapitalvermögen bei gleichzeitigen Belastungen und spärlichen Vergütungen für normale Arbeitnehmer.

Auf der anderen Seite steht als bisherige gute Nachricht für die Demonstranten, dass aus Parlamentskreisen ein Gesetzentwurf zur Auflösung der Polizeieinheit ESMAD angekündigt wurde. Allerdings handelt es sich dabei derzeit lediglich um einen Entwurf ohne nähere Details.

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