Afrika

Die "Mohren" – Ein verdrängter Teil europäischer Geschichte

Zuletzt erhitzte die Debatte um die Bezeichnung "Mohren-Apotheke" die Gemüter. Doch was hat es mit den Mohren auf sich, welche Rolle spielten sie in der Geschichte, auch Europas? Beim aktuellen Bild des Mohren handelt es sich um einen gravierenden Fall europäischen Geschichtsrevisionismus.
Die "Mohren" – Ein verdrängter Teil europäischer Geschichte

Die aktuelle Diskussion begann mit einer Initiative der kommunalen Ausländervertretung, in Frankfurt zwei Apotheken mit dem Namen "Mohren-Apotheke" umzubenennen. Das Medienecho war groß, trifft die Debatte doch einen Nerv der Zeit.

Dabei ist es eigentlich nicht schwer zu verstehen. Wohl die meisten dunkelhäutigen Menschen werden beim Anblick der typischen Darstellung eines Mohren, wie etwa bei den Logos der „Mohren-Apotheken“, an eine weitere stereotype Darstellung schwarzer Menschen denken. Die meisten hellhäutigen Menschen werden sich entweder nicht mit der Darstellung beschäftigen oder diese wird oft klischeehafte Bilder des schwarzen, exotischen Afrikaners wecken.

Beide Fraktionen sind in gewisser Weise Opfer eines umfassenden europäischen Geschichtsrevisionismus und die nicht kontextualisierte Nutzung des Namens „Mohren-Apotheke“ damit in der Tat nicht mehr zeitgemäß. Der Begriff selbst erfuhr im Laufe der Jahrhunderte eine immer negativer behaftete Nutzung und die nunmehr unterschwellig oder direkt abwertende Konnotation des Begriffs kann nicht geleugnet werden.

Doch die Debatte ist nur ein kleiner Teil der Geschichte.

Mehr zum Thema: Rassismusvorwurf: Mohren-Apotheken in Frankfurt sollen ihren Namen ändern

Hin und wieder begegnet er einem: Shakespeares Othello ist nur ein Beispiel. Gerade die Apotheken, die das umstrittene Bildnis des Mohren als Markenzeichen verwenden, sind dabei auch ein Tor zu einem Teil europäischer Geschichte, der nicht nur in Vergessenheit geriet, sondern verfälscht und in sein Gegenteil verkehrt wurde.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte erklärte Thomas Kirchner, integrationspolitische Sprecher der Frankfurter CDU-Fraktion, dass der teils seit dem Mittelalter gebräuchliche Name „höchstwahrscheinlich auf den kulturellen Austausch mit der maurischen Bevölkerung“, zurückzuführen sei. Der Begriff stehe also weniger für Rassismus als vielmehr „für die medizinische Überlegenheit der Mauren gegenüber den Mitteleuropäern". Eine wenig empathische, aber historisch korrekte Auskunft.

Zumindest etwas Licht in dieses Kapitel europäischer und nordafrikanischer Geschichte bringen die noch etwa einhundert "Mohren-Apotheken" die auf dem gesamten Bundesgebiet existieren. Nicht selten handelt es sich um die ältesten der Stadt. Wie etwa die Nürnberger Mohren-Apotheke zu St. Lorenz,  die demnach im Jahr 1442 erstmals erwähnt wurde, und somit die älteste Apotheke in Nürnberg“ ist. Auch zu jener Zeit existierten Vorurteile unter den Menschen. Heute für viele unvorstellbar, waren diese jedoch nicht vor allem eine Frage der Hautfarbe, sondern regional motiviert.

„Maurus“ ist eine ursprünglich lateinisches Wort, das die Bewohner der römischen nordwestafrikanischen Provinz Mauretanien bezeichnete. Experten vermuten eine Wortherkunft aus dem griechischen Wort „Moros“ für dunkel oder schwarz. Die dann später so bezeichneten islamischen Mauren beherrschten vom 8. bis ins 15. Jahrhundert Arabien, Nordafrika und weite Teile des heutigen Spanien. Im Schlepptau eine Fülle zu jener Zeit fortschrittlichen Wissens etwa im Bereich der Medizin und Pharmazie.

Vor allem die eurozentristisch geprägte Wissenschaft war ab dem 19. Jahrhundert und im Zuge des Kolonialismus bestrebt, sowohl die Erinnerungsspuren an die eigenständige Geschichte der Afrikaner im historischen Bewusstsein als auch die Existenz afrikanischer Zivilisationen zu löschen, gleichzeitig die universelle Geschichte umzudeuten und neu zu schreiben. Das neue Narrativ des primitven Schwarzen bildete die notwendige Legitimation für die bis heute anhaltende Ausbeutung des Kontinents. So schrieb eine der Autoritäten der europäischen Philosophie, Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinen "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" im Jahr 1837 über „Afrika“:

Afrika ist, soweit die Geschichte zurückgeht, für den Zusammenhang mit der übrigen Welt verschlossen geblieben, es ist das in sich gedrungen bleibende Goldland, das Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist [...]. Dieser Zustand ist keiner Entwicklung und Bildung fähig und wie wir sie heute sehen, so sind sie immer gewesen [...] Dasselbe melden die ältesten Nachrichten über diesen Weltteil; er hat keine Geschichte.

Damit setzte er den Standard für die bis heute vorherrschende Sicht auf den Nachbarkontinent. Jeder Eindruck, Afrika hätte in Ansätzen etwas mit menschlicher Kultur zu tun, war und ist zu vermeiden. Aus diesem Grund liegen auch der Maghreb und das Nildelta nur noch geographisch in Afrika. In dieser Lesart ist der Maure per se ein hellhäutiger Berber oder Araber, der Mohr ein dunkelhäutiger "Schwarzafrikaner".

Hegels Sicht auf "Afrika" deckt sich jedoch nicht im Geringsten mit der zeitgenössischer Reisender. So bereiste etwa der arabische Gelehrte Ibn-Batutta das sagenumwobene mittelalteriche Reich Mali. Heute ein Synonym für Armut, Chaos und Gewalt, galt Mali im Mittelalter als Zentrum der Bildung und Wissenschaft. Im Jahr 1352 erreichte Ibn Battuta die malische Hauptstadt Timbuktu und zeigte sich, trotz einer Abneigung gegen den König selbst, tief beeindruckt von den Menschen und der Organisation des Reichs:

Die Malier, so der Gelehrte "hassen Ungerechtigkeit mehr, als alle anderen Menschen [...] Es herrscht absolute Sicherheit im Land. Weder Reisende noch Einwohner müssen sich im Geringsten vor Räubern oder Gewalttätern fürchten."

Doch selbst Menschen, die sich ansonsten womöglich zu Recht einer differenzierten und kritischen Weltsicht rühmen, können sich beim Gedanken an „Afrika“ mittlerweile nicht von den reproduzierten Zerrbildern  und Stereotypen à la Hegel lösen. Die geschichtliche Wandlung in der Wahrnehmung dunkelhäutiger Afrikaner fasste unter anderem Peter Martins im Jahr 1993 in seinem Standartwerk "Schwarze Teufel, edle Mohren" zusammen. Er zeigt auf, wie:

Aus dem orientalisch kultivierten "Äthiopier" [...] im Zusammenhang mit dem transatlantischen Sklavenhandel und tiefgreifenden ökonomischen, sozialen und psychologischen Wandlungsprozessen in der deutschen Gesellschaft erstmals ein „primitiver Neger“ wurde.

Ist der Schleier erst einmal gelüftet, öffnet sich ein neuer Blick auf einen Teil der mittelalterlichen Geschichte Afrikas und Europas.

Im Zuge der Ausbreitung des Islam kamen Schwarzafrikaner gemeinsam mit Arabern ab dem Jahr 711 über Nordafrika nach Spanien, das damalige Al-Andalus, und schließlich auch andere Regionen Europas. Nordafrika selbst wurde erst im siebten Jahrundert islamisiert. Dabei ist hervorzuheben, dass Nordafrika nicht nur islamisiert wurde, sondern der Islam auch afrikanisiert wurde. Darauf legen etwa die Bewohner Malis noch heute großen Wert.

Die Araber vermischten sich im Zuge der islamischen Expansion mit der lokalen Bevölkerung – was sich noch heute in der Region anhand der Bevölkerungsstruktur nachvollziehen lässt. Ein großer Irrglaube liegt dabei in der Annahme begründet, dass schwarze Menschen den Arabern zu jener Zeit vor allem als Sklaven dienten. Es handelte sich vielmehr um eine heterogene Gesellschaft, die die Bewohner der Region nicht nach Hautfarben hierachisierte.

Die kollektive Umschreibung dieses Teils afrikanischer Geschichte macht plausibel, was die Nürnberger Apotheke auf ihrer Webseite feststellt:

Sucht man jedoch nach Versuchen, das Auftauchen jenes Mohrenkopfes zu hintergründen, ergibt sich letztlich, dass weder seitens der Nürnberger noch der Fachleute offenbar ein gesteigertes Bedürfnis nach Antworten bestand. Selbst in der Fachliteratur finden sich keine eindeutigen Hinweise zur Klärung.

Die Nürnberger verweisen bei ihrem Versuch, konkretere Informationen zur Verfügung zu stellen, auf einen aufschlussreichen Text des Apothekers und Schriftstellers Hans Richard Schittny. Dieser verweist mit einem Zitat auf die erst im Jahr 1722 erfolgte Benennung der Apotheke in Glatz:

Der Apotheker Hieronymus Reinisch gibt jetzt der alten Glatzer Apotheke auch einen Namen. [...] Er nennt sie "Apotheke zum schwarzen Mohren". Er wählt diesen Namen mit bedacht, weiß er doch, dass der Mohr, nach alter Tradition, die Apothekerkunst symbolisiert [...] Diese Mohren hatten das beste Wissen um heilkräftige Spezies und Drogen.

Besonders die Kunst des Mittelalters ist für das unverfälschte Verständnis der damaligen Beziehungen zwischen "schwarz" und "weiß" von entscheidender Bedeutung:

Von einem wie auch immer gearteten rassistischen Widerwillen der Weißen gegen den Mohren findet sich zum Beispiel auf Bildern von Albrecht Dürer, Matthias Grünewald und Hans Baldung Grien und anderen nicht das geringste.

Dennoch stand "der Mohr" auch stets für die Gefahr, das Exotische und Fremde. Auf mittelalterlichen Wappen wimmelt es nur so von Mohren. Darunter die Wappen Benedikts des XIV, Friedrich III., der Fugger, Freisings und vieler anderer wie Korsika und Sardinien. Bereits alte spanische Chroniken berichten, dass Peter I. in der Schlacht von Acoraz vier schwarze Könige enthaupten ließ. Entweder er selbst oder sein Nachfolger ließen diese Köpfe demnach als Symbol für die Rückeroberung vier ehemals maurischer Gebiete in ihr Wappenschild aufnehmen.

Das Landeswappen der italienischen Insel Sardinien zeigt wie das aragonische Wappen vier maurische Köpfe. Auch an kruden Theorien, die Darstellungen umzudeuten mangelt es allerdings nicht. So verweist Wikipedia beim "gekrönten Mohr von Freising" aus dem 13. Jahrhundert auf folgende Theorie:

Nach einer verbreiteten Interpretation entstand der Mohr aber aus der Fehldeutung einer Darstellung, auf der eigentlich einfach ein gekröntes Haupt dargestellt war, mit dem Bischof Emicho die Reichsunmittelbarkeit seines Gebiets anzeigen wollte.

Worauf auch immer die Ursprünge der sogenannten „Mohren-Apotheken“ zurückzuführen sind, sie sind ein allgegenwärtiger und dennoch unsichtbarer Verweis auf eine Präsenz, gemessen an der heutigen Wahrnehmung, als „schwarz“ zu bezeichnender Menschen in der Geschichte Europas, die wesentlich älter und vielschichtiger war, als es wohl den meisten bewusst ist. Tatsächlich reicht sie bis in die Antike.

Auch im Fall Afrikas lohnt es sich, herkömmliche Nachrichten, Informationen und eigene Denkschablonen zu hinterfragen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Politik, Wirtschaft oder eben Geschichte handelt. Nach den entsprechenden Informationen muss allerdings trotz vielfältiger Verfügbarkeit gesucht werden. Wie so oft, wenn man nicht nur einer Perspektive auf das Weltgeschehen Glauben schenken mag.

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