Von Breivik zu Pegida - "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch"

Vor vier Jahren, am 22. Juli 2011, starben bei Terrorakten eines norwegischen Rechtsextremisten 77 Menschen. Noch heute sind die politischen Vorstellungen, die Anders Breivik zum Töten motivierten, mainstreamtauglich und werden systematisch verharmlost. Breiviks Ideologie zieht sich wie ein roter Faden bis zum Entstehen von Pegida. Derartige Bewegungen verbreiteten nicht nur Hass, sie haben auch die Aufgabe, Anti-Establishment-Proteste zu neutralisieren und zu diskreditieren.
Von Breivik zu Pegida - "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch"

Vor vier Jahren ermordete der islamfeindliche Norweger Anders Breivik in Oslo und Utoya insgesamt 77 Menschen, um, wie seinem 1.500-seitigen Manifest zu entnehmen war, Europa bezüglich der angeblichen Gefahr einer "Islamisierung" aufzurütteln.

Es war der bislang folgenschwerste Terrorakt aus den Reihen einer seit Mitte der 2000er Jahre immer stärker präsent gewordenen Bewegung der extremen Rechten, die sich von der alten Rechten, wie man sie etwa in Form der Republikaner oder DVU in Deutschland, dem MSI in Italien oder dem Front National unter Jean-Marie Le Pen kannte, stark unterschied.

Im Unterschied zur alten Rechten, die eher von antiwestlichen Ideen, einem revisionistischen Geschichtsbild und einer Zielgruppe gekennzeichnet war, die gesellschaftlich marginalisiert war, geben sich die neuen "Islamkritiker" als prowestlich und bürgerlich. Sie orientieren sich an neokonservativen Vorstellungen aus den USA, solidarisieren sich demonstrativ mit Israel und bilden eine "emanzipatorische" Querfront mit radikalen Etatisten von ganz links bis in die politische Mitte. Ihre rassistische Einstellung gegenüber Einwanderern aus muslimischen Ländern wird vor allem damit begründet, dass diese die "Errungenschaften der Aufklärung" gefährden würden.

Diese "islamkritische" Bewegung verfügte bald über eine stark präsente, europaweit vernetzte Bloglandschaft, wobei die Finanzierung der damit zusammenhängenden Projekte von Beginn an intransparent blieb. Gleichzeitig ist seit jeher jedoch eine starke Orientierung an Vorbildern aus den USA zu erkennen, die die These Samuel P. Huntingtons vom "Kampf der Kulturen" aus den 1990er Jahren weiter ausbauten und die Kriege US-geführter Koalitionen in Afghanistan und im Irak ebenso wie die militärischen Offensiven der israelischen Armee gegen den Gazastreifen als Notwendigkeiten im "Kampf um die westliche Zivilisation" verteidigten. Beispielhaft dafür stehen Blogger wie Robert Spencer oder Pamela Geller.

Auch wurde pauschal gegen den Islam als Religion und Einwanderer aus muslimischen Ländern agitiert, wobei nicht selten Thesen und Parolen, die man aus europäischen antijüdischen Pamphleten des 19. und 20. Jahrhunderts kannte, teilweise 1:1 übernommen wurden, nur dass statt Juden nun Muslime Zielscheibe des Hasses sind. Breiviks Taten sind, wenn man die ideologischen Postulate der "Islamkritiker" konsequent zu Ende denkt, keine kriminellen Fehltritte einer ansonsten progressiven Bewegung, sondern nur die logische Weiterentwicklung der apokalyptischen "Wir-gegen-die"-Szenarien im Zuge des beschworenen "Endkampfes" um die "Rettung der westlichen Zivilisation".

Die "islamkritische" Bewegung ist das klassische Beispiel einer Pseudo-Protestbewegung, die das Ziel hat, angesichts von Unmut und Ängsten in der Bevölkerung, ein Feindbild zu schaffen. Der Volkszorn richtet sich so nicht gegen die Herrschenden. Jegliche Systemkritik, jede Frage nach den Ursachen von Armut, Vertreibung und Flucht bleibt aus und macht einer simplen "Der Moslem ist schuld"-Denkart Platz.

Konnte man nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hasserfüllte Pamphlete wie "Die Wut und der Stolz" von Oriana Fallaci noch als Schriften betrachten, die unter dem Eindruck der zahlreichen Opfer der Attentate entstanden waren und sich deshalb im Ton vergriffen, traten wenige Jahre später noch weitere medial offensiv begleitete Bestrebungen auf den Plan, die sich einer aggressiven Agitation gegen den Islam verschrieben hatten und aus den Reihen gesellschaftlich angesehener Persönlichkeiten kamen.

Beispielhaft dafür standen etwa die Erfolge des niederländischen Politikers Pim Fortuyn sowie der Hype um zweifelhafte Kronzeugen wie die Schriftstellerin und Politikerin Ayaan Hirsi Ali. Auch die Pöbeleien des später ermordeten Theo van Gogh wurden in westlichen Leitmedien nicht etwa unter dem Gesichtspunkt ihrer kulturrassistischen Grundhaltung, sondern unter jenem der Meinungsfreiheit diskutiert – die gleichzeitig mit Blick auf "islamistische Hassprediger" eingeschränkt werden sollte.

2004 wurden mit den Blogs "Achse des Guten" um den zionistischen Agitator Henryk M. Broder und "Politically Incorrect" (PI) die ersten Kristallisationspunkte einer künftigen islamfeindlichen Parallelwelt ins Leben gerufen. Am 29. August 2005 trafen Blogger aus dem PI- und Achse-Umfeld und Journalisten des Axel-Springer-Verlages bei einem "prowestlichen Heimatabend" auf dem Münchner Nockherberg zu einem offenbar sehr fruchtbaren Gedankenaustausch zusammen.

Fortan wurde aggressive, pauschalisierende Agitation gegen den Islam und muslimische Einwanderer nicht mehr nur auf randständigen Blogs, sondern besonders offensiv auch in etablierten Leitmedien artikuliert. Hochglanz-Magazine präsentierten panikmachende Titelblätter mit islamfeindlichem Unterton, Leitartikel dämonisierten muslimische Communities, Talkshows waren voll von "islamkritischen" Persönlichkeiten. Hinzu kamen durchsichtige Kampagnen wie die Solidaritätskampagne mit "Marco W.". 2007 wurde eine "Wir-gegen-die"-Atmosphäre mit Blick auf die türkische Community geschaffen und 2010 gelang dem Ex-Finanzsenator und Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin mit "Deutschland schafft sich ab" ein Publikums- und Verkaufserfolg.

In den zehn Jahren, die seit dem "Heimatabend" vergangen waren, radikalisierte sich dabei sowohl das "verrohte Bürgertum", das sich eher in etablierten Kreisen bewegte, als auch das "Lumpenproletariat", das über Blogs wie PI seine islamfeindlichen Meme festigte.

In mehreren Ländern Europas bildeten sich Ende der 2000er auch diverse "Defense Leagues", die neben traditionell rechtsextremen Fußtruppen auch Akteure aus der Hooliganszene vereinigten und die gewaltsame Konfrontationen auf den Straßen suchten, gleichsam als "Fasci di Combattimento" der bürgerlichen "Islamkritik". Der Nährboden der späteren Pegida-Bewegung entstand.

Stephen Lennon, der bis 2012 Führer der englischen EDL war und bei der illegalen Einreise in die USA verhaftet wurde, wollte etwa eine Konferenz der US-amerikanischen Islamhasser Pamela Geller und Robert Spencer besuchen und dabei als Vorstandsmitglied Instruktionen über das weitere Vorgehen erhalten. Der für die politische Ausrichtung der EDL verantwortliche Exponent war, wie Lennon nach seinem Ausstieg verkündete, ein gewisser "Alan See", sein richtiger Name lautete Alan Ayling.

Dieser ist ein wohlhabender Geschäftsmann, fanatisch antimuslimisch und hat enge Verbindungen zur Organisation SION (Stop the Islamization of Our Nation), die Geller und Spencer ins Leben gerufen hatten. Lennon zufolge hatte dieser die EDL mit der ausdrücklichen Absicht gegründet, sie als Marionettenarmee auf die Straßen zu bringen, um die direkte Konfrontation mit den Muslimen und in weiterer Folge bürgerkriegsähnliche Zustände zu erreichen, die eine organisierte staatliche Offensive gegen muslimische Einwanderer mit dem Ziel einer ethnischen Säuberung zum Ziel haben sollte. Aylings Freundin Roberta Moore leitet die "jüdische Abteilung der EDL", die sich in erster Linie aus Anhängern der rassistischen und in Israel verbotenen Bewegung "Kach" zusammensetzte.

Breivik selbst erklärt in seinem Manifest, er habe mehr als 600 EDL-Mitglieder als Facebook-Freunde gehabt und mit zahlreichen EDL-Mitgliedern und Führern gesprochen. "Tatsächlich war ich einer derjenigen, die sie ganz am Anfang mit aufbereitetem ideologischem Material (einschließlich rhetorischer Strategien) versorgt haben", erklärte der spätere Rechtsterrorist in seiner Deklaration.

In Deutschland versuchten Gleichgesinnte, die German Defence League (GDL) als militante islamfeindliche Schlägertruppe aufzubauen. Diese suchte ebenfalls den Schulterschluss mit der "Jewish Defence League", die als politischer Arm der "Kach" gilt. Insbesondere für deutsche Rechtsradikale waren "Islamkritik" und die demonstrative Israelsolidarität willkommene Werkzeuge, um einerseits am rassistisch motivierten Hass gegen Einwanderer aus muslimischen Ländern festzuhalten, gleichzeitig jedoch Anschluss an die gesellschaftliche Mitte zu finden.

Auch wenn die GDL in Deutschland ebenso scheiterte wie Versuche, im Zusammenhang mit dem Erfolg des Sarrazin-Buches die Partei "Die Freiheit" oder die "Pro-Bewegung" in Deutschland als islamfeindliche Partei nach Vorbild der niederländischen PVV zu verankern, gelang es den "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) im Winter 2014/15, hauptsächlich in Dresden bis zu 25.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Das erklärte Pegida-Ziel, die Verteidigung der "christlich-jüdischen Kultur des Abendlandes" und der Kampf gegen dessen "Islamisierung" gliedert sich passgenau in die oben beschriebenen Bestrebungen ein, eine derartige Massenbewegung aufzubauen.

Mittlerweile ist auch Pegida in sich zusammengebrochen. Dass der in den Medien präsente Kopf der Bewegung, Lutz Bachmann, kürzlich ankündigte, die Bewegung wolle künftig unter ihrem eigenen Namen Kandidaten für überregionale Wahlen aufstellen, dürfte ebenso wenig zur Wiederbelebung der Aufmärsche beitragen, wie der jüngste Aufruf zum "Kaufstreik" seitens der gescheiterten Pegida-Kandidaten bei den Dresdner Oberbürgermeisterwahlen, Tatjana Festerling.

In einer Zeit, da in Deutschland Flüchtlingsheime brennen und in Städten wie Freital ein pöbelnder Mob

Menschen bedroht, die gerade erst mit Mühen und unter Strapazen aus vom Krieg zerbombten Städten und vor den Schlächtern des "Islamischen Staates" entkommen waren, bleiben jedoch die Fragen höchst aktuell: Wer steht hinter Protestbewegungen dieser Art, wer steuert sie und welchen Zweck erfüllen sie?

Eine Art Probelauf für die späteren Pegida-Auftritte waren zweifellos die "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa)-Aufmärsche, deren Idee im Spätsommer des Jahres 2014 geboren wurde und die schwerpunktmäßig im Oktober und November in Westdeutschland stattfanden. Hogesa verlor jedoch rasch an Energie, da sich nicht wirklich ein Publikum unter diesem Banner versammelte, das in der bürgerlichen Mitte als anschlussfähig galt.

Erfolgreicher war da der Freundeskreis des Dresdener PR-Agenturbetreibers Lutz Bachmann, der schon zuvor berufliche Kontakte zum Axel Springer Verlag hatte. Nicht wenige Personen von Bachmanns Umfeld pflegten intensive Kontakte zur Fußballhooliganszene oder ins kriminelle Milieu – was Masse für potenzielle Aufmärsche verschaffte.

In einer Stadt wie Dresden, deren unterschwellig auch von der Politik gepflegter Opfermythos eine gewisse Grundempfänglichkeit für nationalistische Ressentiments geschaffen hat, und in der sich 2009 der erste offen islamfeindliche Mord in der Bundesrepublik Deutschland ereignet hatte, wirkt die Fremden- und Islamfeindlichkeit bis weit in die Reihen der CDU und FDP hinein. Wer derart wenig Akzeptanzprobleme vorfindet, vermag es dann auch rasch, eine zunehmend größer werdende Teilnehmerzahl zu den Pegida-Demonstrationen zu locken.

Dass Studien zufolge nicht alle Teilnehmer der Aufmärsche ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild aufwiesen, viele aus völlig anderen Gründen als Ausländer- und Islamfeindlichkeit an den Demonstrationen teilnahmen und Pegida es über einige Zeit hinweg auch verstand, eine allgemeine Proteststimmung zu kanalisieren, trug zum vorübergehenden Erfolg der Bewegung bei. Die Reaktion seitens der Politik war, ungeachtet des obligatorischen Tadels, ungewohnt wohlwollend und neben AfD-Politikern gaben sich auch solche aus CDU und sogar SPD ein Stelldichein.

In ihrer Spätphase wurde die Pegida-Bewegung jedoch immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt bekannter rechtsextremer Agitatoren aus dem Umfeld bekannter Anti-Islam-Blogs, aus Akteuren von Parteien wie der NPD oder Pro Deutschland und radikalen AfD-Aktivisten, die selbst der eigenen Partei nicht mehr als tragbar erschienen. Außerhalb Dresdens waren vor allem sie es, die versuchten, die Bewegung auf andere Städte als Dresden zu übertragen und sogar international auszuweiten. Dazu kamen Selbstdarsteller wie der Verleger Jürgen Elsässer, der in Pegida offenbar eine willkommene Gelegenheit erblickte, die Abonnentenzahl seines Compact-Magazins zu steigern.

Kritiker hatten hinter Pegida von Beginn an einen Versuch gesehen, vorhandene Proteststimmungen gegen die Ukrainepolitik der Bundesregierung, gegen die Berichterstattung der Mainstreammedien und gegen Kriegstreiberei im Interesse der Eliten zu neutralisieren. Durch das Überstülpen islamfeindlicher und rassistischer Inhalte wurde jeder Ablehnung des Status Quo ein hässliches Gesicht gegeben. So nutzte der Pegida-Begriff "Lügenpresse" letztendlich auch den angegriffenen Mainstream-Medien selbst, die fortan jede konstruktive und überfällige Kritik an ihrem Handeln als hysterisches Gepöbel abtun konnten.

Dass am Ende der niederländische Islamhasser Geert Wilders von Pegida als Stargast eingeflogen wurde, der im Islam eine Gefahr für die "westlichen Werte" sieht und neben betont nationalhedonistischen Positionen vor allem für seine Nähe zu US-amerikanischen Neokonservativen und zur radikalen Rechten in Israel bekannt ist, schloss den ideologischen Kreis von Breivik zu den "Patriotischen Europäern".

Im Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014 findet Pegida nicht einmal am Rande Erwähnung – im Unterschied etwa zur linken Tageszeitung "junge welt", zur "Marxistischen Plattform", der "Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí" und den "Montagsmahnwachen für den Frieden", die der Berliner Lars Mährholz im gleichen Jahr ins Leben rief. Insgesamt ergibt sich bei Abwägung aller Faktoren ein recht deutlicher Eindruck dahingehend, dass die Pegida-Bewegung den Eliten nie auch nur annähernd Kopfzerbrechen bereitete, sondern aus den oben beschriebenen Gründen diesen eher willkommen war.

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