Meinung

USA: Wieso gelten wir plötzlich weltweit als die bösen Jungs?

Seit US-Truppen aus Nordsyrien abgezogen wurden, um den türkischen Vormarsch zu ermöglichen, hagelt es von überall Kritik am Vorgehen der US-Regierung. Washington habe die Kurden verraten, lautet der Vorwurf. Dabei haben die USA durchaus Erfahrung mit Verrat.
USA: Wieso gelten wir plötzlich weltweit als die bösen Jungs?Quelle: AFP © Kevin Larkin

von Zlatko Percinic

Richard Engel ist Chef-Auslandskorrespondent des US-TV-Senders NBC News. Seine Worte werden in Millionen Haushalte der Vereinigten Staaten von Amerika und über Kabel bzw. Satellit auch ins Ausland ausgestrahlt. Auf Twitter folgen ihm derzeit über 376.000 Menschen. Zuvor war er im Nahen Osten als Korrespondent stationiert und berichtete über die Kriege im Irak und in Syrien, wofür er mit der James Foley Medill Medal for Courage in Journalism ausgezeichnet wurde. Wenn Engel also etwas zu einem außenpolitischen Thema zu sagen hat, dann hat das durchaus Gewicht im öffentlichen Diskurs.

Ein oft geteilter Tweet von ihm hat nun eine kontroverse Debatte in den USA ausgelöst. Die einen sehen in diesen Worten eine Bestätigung der Kritik an der Entscheidung, US-Truppen aus Nordsyrien abzuziehen – nur um sie dann für die Besatzung von Ölfeldern zu benutzen –, während die anderen darin bestenfalls eine ignorante Haltung und schlimmstenfalls völlige Unkenntnis der US-Geschichte erkennen. Was hat der Chef-Auslandskorrespondent also gesagt, das die Gemüter so erhitzt?

Je öfter ich mit Quellen darüber spreche, desto öfter höre ich, dass Amerikas Verrat an den Kurden und die Erniedrigung und 'frauenfeindliche' 'Zerquetschung' der US-Botschafterin in der Ukraine aus politischen Motiven die Menschen dazu bringt, zu denken, dass wir Amerikaner die 'bösen Jungs' geworden sind. Das zu hören, war wie ein Schlag (in die Magengrube).  

Ob Ignoranz oder Unkenntnis, beides speist sich aus derselben Quelle, die Engel hier eher unfreiwillig preisgibt. Er war offensichtlich zutiefst vom Mythos der Einzigartigkeit der USA überzeugt, vom Mythos, dass sein Land die "good guys" sind. Die "bad guys", oder die bösen Jungs, sind dabei stets die anderen. Deshalb zeigt er sich so überrascht, dass nun die Vereinigten Staaten plötzlich die "Bösen" sein sollen. Das Brennan Center for Justice hat sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass die Aufteilung der Welt nach diesem Schema dazu dient, eine objektive Bewertung des US-Vorgehens im sogenannten Krieg gegen den Terror unmöglich zu machen. 

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Stephen Kinzer, ein ehemaliger Fachkollege Engels bei der New York Times und gegenwärtiger Kolumnist für den Boston Globe, fasste dessen Erkenntnis sehr gut zusammen:

Wenn es ein 'Schlag in die Magengrube' für dich ist zu realisieren, dass viele in der Welt die USA nicht als 'die Guten' betrachten, hast du die vergangenen Generationen verschlafen. Frage deine 'Quellen' in Guatemala, im Iran, im Irak, in Chile, in El Salvador, im Kongo, in Argentinien, Indonesien, Vietnam, Libyen, Nicaragua, etc.

Dabei haben die USA im aktuellen Fall gar keinen Verrat begangen, wie es nun so oft behauptet wird. Die US-Truppen in Syrien waren selbst illegale Besatzungstruppen, die lediglich die Herrschaft der kurdischen Partei der Demokratischen Union PYD und deren Miliz YPG über dieses Gebiet absicherten. Dabei hat Washington keinerlei Versprechen abgegeben, den Kurden ein eigenes Staatengebilde zu ermöglichen. Was hier auf unschöne Art und Weise ans Tageslicht kam, war, dass die USA die Kurden lediglich als Stellvertreter (proxies) für den Kampf gegen den IS benutzt haben. Das ist aber weder neu noch einzigartig, sondern entspricht der Praxis der Vereinigten Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Verrat an den Schiiten im Irak 1991

Tatsächlich verraten haben die USA hingegen die Schiiten im Irak. Kurz nach Beginn der Operation Desert Storm, der groß angelegten Koalition zur Vertreibung der irakischen Truppen aus dem besetzten Kuwait, rief US-Präsident George H. W. Bush die Schiiten des Landes dazu auf, sich gegen den damaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein zu erheben. Und tatsächlich wagten die Schiiten den Aufstand, als am 3. März ein aus Kuwait zurückkehrender Panzerkommandeur mit einer seiner Panzergranaten auf dem Hauptplatz in Basra das überlebensgroße Porträt des "Hitler von Bagdad" zerfetzte, wie die US-Regierung den irakischen Diktator bezeichnete. Sie hofften auf die Unterstützung der USA, nachdem Bush sie ja dazu aufgerufen hatte und die Operation Desert Storm noch in vollem Gang war.

Doch Hilfe für die Schiiten blieb aus. Nachdem der Vormarsch der Koalitionstruppen auf Bagdad kurz vor der Hauptstadt gestoppt und entgegen aller Erwartungen Saddam Hussein an der Macht gelassen wurde, war klar, dass die Schiat Ali auf sich allein gestellt blieb. Und es sollte noch viel schlimmer kommen.

Das US Central Command (CENTCOM) unter Leitung des nun als Kriegsheld verehrten Generals Norman Schwarzkopf Jr. erlaubte es Husseins Vetter, dem im Westen als "Chemie-Ali" berüchtigten General Ali Hasan al-Madschid und seine Republikanische Garde, den schiitischen Aufstand brutal niederzuschlagen. In Nadschaf und Kerbela richteten seine Truppen ein Blutbad an, zerstörten die heiligen Stätten und entweihten den größten Friedhof der Welt. Mit Panzern wurden Schneisen in den seit dem siebten Jahrhundert benutzten Friedhof Wadi as-Salam (Tal des Friedens) geschlagen, um die dort in die Enge getriebenen Aufständischen vollständig zu vernichten. Die Amerikaner schauten auch weg, als Madschid Kampfhubschrauber aufsteigen ließ und sie gegen spärlich bewaffnete Aufständische im Süden des Irak einsetzte.

Das von der irakischen Armee verursachte Blutbad an den Schiiten kostete verschiedenen Schätzungen zufolge etwa 100.000 Menschen das Leben, wie der ehemalige US-Diplomat Peter W. Galbraith festhielt. Ohne den Aufruf des US-Präsidenten wäre es aber nie zu diesem Aufstand gekommen. Und obwohl die USA also eine indirekte Verantwortung für dieses von Saddam Hussein begangene Verbrechen tragen, feierte man am 11. Juni 1991 mit der größten Militärparade seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Rückkehr des "Helden" Norman Schwarzkopf Jr. an der Spitze eines Militärzuges der Operation Desert Storm auf dem Broadway in New York. Fünf Millionen Menschen jubelten der Parade zu, die einer modernen Version eines römischen Triumphzuges glich.  

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