Meinung

Syrien: Der Feind von gestern könnte zum Freund von morgen werden

Einmal mehr scheint sich eine alte Weisheit im Mittleren Osten zu bewahrheiten. Nirgendwo sonst können bis aufs Blut verfeindete Stämme und Länder ihre Differenzen beiseitelegen, um sich gemeinsam einem Gegner zu widmen, der bis vor kurzem ein Partner war. In Syrien könnte sich genau das bewahrheiten.
Syrien: Der Feind von gestern könnte zum Freund von morgen werdenQuelle: AFP © LOUAI BESHARA

von Zlatko Percinic

Der seit 2011 tobende Krieg in Syrien hat hunderttausenden Menschen das Leben gekostet und einen wahren Exodus von Flüchtlingen verursacht. Aus geopolitischer Rivalität haben zuerst Katar und später auch Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate im Verbund mit Großbritannien, Frankreich und den USA einen der brutalsten Kriege der Neuzeit entfacht, der unter anderem zur Entstehung des sogenannten Islamischen Staates geführt hatte und zu einem Magneten für Dschihadisten jeglicher Couleur wurde. Auch Deutschland und die Türkei hatten einen nicht zu verleugnenden Anteil an der versuchten Zerstörung der arabischen Republik Syrien, bis der Iran und vor drei Jahren auch Russland der syrischen Regierung von Baschar al-Assad zu Hilfe eilten.

Der Krieg ist untrennbar mit der Geschichte Syriens verbunden. Schon der altägyptische Pharao Ramses II. führte sein Heer im Jahr 1274 v. Chr. gegen die Hethiter nach Syrien, wo sie bei der Festung Kadesch aufeinander trafen. Im Laufe der Jahrhunderte eroberten Assyrer, Neubabylonier, Perser, Römer, Byzantiner, Muslime, Mongolen und die Türken das Land, bis im 20. Jahrhundert Briten und Franzosen auf der geopolitischen Bühne auftauchten und sich Paris schließlich ein Mandat des Völkerbundes über dieses Gebiet sicherte. Und wie der Krieg zur syrischen Geschichte gehört, gehört auch ein weiteres Merkmal zur Geschichte der gesamten Region: Feinde können viel schneller zu Freunden, und Freunde viel schneller zu Feinden werden, als man es bei uns für möglich hält.

Obwohl sich Syrien von asymmetrischen Angriffen seiner arabischen Nachbarn konfrontiert sah, der Sturz von Assad schon als sicher galt und ihm möglicherweise ein ähnliches Schicksal wie Muammar al-Gaddafi in Libyen drohte, gibt es nun Anzeichen darauf, dass es eine Art von Verständigung zwischen den Feinden von gestern gibt. Schon Anfang Oktober ließ der syrische Präsident die erstaunten Leser der Al-Shahed-Zeitung in Kuwait wissen, dass Damaskus ein "großes Verständnis" mit nicht näher genannten arabischen Regierungen getroffen habe. Daraufhin folgten Grenzöffnungen zu Jordanien und sogar Israel. Und nun soll nach Angaben der regierungsnahen Al-Masdar News sogar die Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate in Damaskus nach sechsjähriger Schließung demnächst wieder geöffnet werden, was einem geopolitischen Erdbeben gleichkommt. Auch der im Laufe des Krieges als Syrienexperte anerkannte Blogger Ehsani2 bestätigte dies durch seine Quellen:

Man ist laut Ehsani2 in Riad und Abu Dhabi zur Einsicht gelangt, dass ein stabiles und säkulares Syrien ein besseres Bollwerk gegen den Einfluss der Muslimbruderschaft ist, die in beiden Ländern als Terrororganisation eingestuft wurde. Als größte Unterstützer der Muslimbruderschaft gelten nach deren Sturz in Kairo im Jahr 2013 die Türkei und Katar. Auch Syrien betrachtet die Muslimbruderschaft als eine Bedrohung, seit sie zwischen 1976 und 1982 eine Terrorwelle gegen die Regierung des Vaters von Baschar al-Assad ausgelöst hatten und das Treiben erst mit der brutalen und blutigen Einstampfung ihrer Hochburg in Hama ein Ende fand. Es gibt also durchaus gemeinsame Positionen und Feindbilder, auf die man sich verständigen kann.

Dazu kommt, dass sich die Türkei nach dem Fall des ermordeten Journalisten und Muslimbruder-Sympathisanten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul schnell und öffentlich gegen das wahhabitische Königreich gestellt hatte. Durch dieses für Riad ungewohnte internationale Anprangern hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Zorn des Herrscherhauses der Al-Saud auf sich gezogen. Insbesondere natürlich den Zorn von Kronprinz Mohammed bin Salman, vor dem selbst der deutsche Geheimdienst BND die Bundesregierung warnte. Auch da ergeben sich für die Saudis und Assad gemeinsame Interessen. Die türkische Unterstützung für Dschihadisten in der Provinz Idlib (und vorher für den sogenannten Islamischen Staat) und selbstverständlich Ankaras Besatzung von Teilen Syriens ist ein absolut rotes Tuch für die Regierung in Damaskus. Der Lackmustest für Riad wird die Einstellung der finanziellen Unterstützung der kurdischen SDF/YPG-Kräfte sein, die in der US-Besatzungszone operieren.

Sobald die Saudis mit der Finanzierung dieser kurdischen Truppen aufhören, darf man auch gespannt auf den Jemen blicken. Der Druck aus Washington auf die Al-Sauds steigt stetig, den eigentlich verlorenen Krieg im Süden der arabischen Halbinsel zu beenden. Bis aber eine gesichtswahrende Formel für die Herrscher gefunden wurde, wird bestimmt noch einige Zeit vergehen und leider noch viele weitere Menschen ihr Leben verlieren. Denn nebst der Einsicht bezüglich der Muslimbruderschaft ist man offensichtlich auch zur Erkenntnis gelangt, dass es erst der von den Saudis und Emiratis entfachte Krieg im Jemen war, der dem Iran einen gewissen Einfluss bei den Huthi verschafft hat.

Ist dieser aber vorbei, gibt es auch keinen Grund für die Iraner mehr, die Huthi logistisch zu unterstützen, scheint die Überlegung zu lauten. Ob sich das aber auch auf Syrien übertragen lassen wird, was eindeutig ganz weit oben auf der Wunschliste nicht nur der Petromonarchen, sondern auch der US-Amerikaner und Israelis ist, ist mehr als fraglich. Das Kalkül könnte aber so aussehen: Indem der Krieg in Syrien von arabischer Seite beendet wird, bleiben die Türkei und die USA als einzige Aggressoren übrig. Stärkt man Assad den Rücken und bietet ihm andere Alternativen als Russland und Iran, gekoppelt mit Milliardenzahlungen für den Wiederaufbau, die durch die frei werdenden Ressourcen nach dem Ende des Krieges im Jemen verfügbar wären, dann könnte sich Assad dem Problem mit den Türken widmen und eventuell von den Iranern verlangen, ihre Präsenz zumindest zu minimieren.    

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