Meinung

Slavoj Žižek: Die demokratische Linke kann Trump besiegen – nicht das liberale Establishment

Amerikas liberale Elite ist sowohl einerseits entsetzt über Donald Trump als auch andererseits unfähig, ihn vernichtend zu schlagen. Stattdessen wäre ein tiefgreifender und machtvoller Linksruck nötig, angeführt von vielen neuen Gesichtern.
Slavoj Žižek: Die demokratische Linke kann Trump besiegen – nicht das liberale Establishment Quelle: AFP

Von Slavoj Žižek

Nun, da eine weitere Woche der hektischen Aktivitäten von Präsident Trump sicher hinter uns liegt und sich langsam in die Erinnerung zurückzieht, können wir über die chaotische Ödnis nachdenken, die seine Auslands-Rundreise hinterlassen hat.

Der US-Präsident besuchte drei Orte: Brüssel - wo er mit den wichtigsten europäischen Staats- und Regierungschefs zusammentraf, London - um Theresa May und die Königin zu sehen, sowie Helsinki - wo er ein Gipfeltreffen mit Wladimir Putin abhielt.

Während die meisten Experten staunen, dass Trump viel freundlicher zu Feinden der USA (also diejenigen, die als solche wahrgenommen werden) als zu ihren traditionellen Freunden war, sollte uns das nicht zu sehr überraschen. Stattdessen sollten wir unsere Aufmerksamkeit in eine andere Richtung lenken. Wie so oft bei Trump, sind Reaktionen auf seine Taten oft wichtiger als das, was er selbst tatsächlich getan oder gesagt hat.

Verschiedene Ansichten

Lassen Sie uns damit beginnen, das von Trump Gesagte mit dem zu vergleichen, was seine Partner gesagt haben. Als Trump und May von einem Journalisten gefragt wurden, was sie über den Zustrom von Einwanderern nach Europa denken, hat Trump seine populistische Anti-Migrations-Position brutal und ehrlich wiedergegeben: Einwanderer sind eine Bedrohung für die europäische Lebensweise; sie destabilisieren die Sicherheit unserer Länder und bringen Gewalt und Intoleranz. Also sollten wir sie fernhalten.

Ein aufmerksamer Zuhörer könnte leicht feststellen, dass Theresa May genau das Gleiche gesagt hat, nur auf eine diplomatischere und "zivilisiertere" Weise: Einwanderer bringen Vielfalt, sie tragen zu unserem Wohlergehen bei, aber wir sollten sorgfältig prüfen, wen wir hereinlassen. So erhielten wir einen klaren Geschmack der Wahl, die immer mehr die einzige ist, die uns präsentiert wird: direkte populistische Barbarei oder eine zivilisiertere Version derselben Politik, Barbarei mit menschlichem Antlitz.

Im Allgemeinen fokussierten sich sämtliche Reaktionen auf Trump, global und aus dem gesamten Spektrum von Republikanern bis Demokraten in den USA, auf einen Tenor: Angst und Schrecken. Was manchmal an blanke Panik grenzt. Wir haben bereits gehört, dass Trump unzuverlässig ist und Chaos bringt.

So warf er Deutschland zunächst vor, sich auf russisches Gas zu verlassen und damit verwundbar zu werden, verwundbar durch den vermeintlichen Erzfeind der NATO. Doch Tage später lobte er die guten Beziehungen zu Putin.

Dann sind da noch seine Manieren: Als er die Königin traf, hat er gegen das Protokoll verstoßen, also gegen die Verhaltensregeln in Gegenwart eines Monarchen! Und er hört nicht wirklich auf seine demokratischen Partner, während er gleichzeitig viel offener für den Charme von Putin ist, der heute als der große Feind Amerikas gilt.

Zu freundlich

Tatsächlich stellte sein Verhalten bei der Pressekonferenz mit Putin in Helsinki nicht nur eine offenbar unerhörte Demütigung dar (man denke nur daran - er benahm sich nicht wie Putins Meister!), und einige seiner Aussagen konnten sogar, wie wir im Anschluss erklärt bekamen, als Verrat aufgefasst werden.

Wieder tauchten Gerüchte darüber auf, dass Trump als Putins Marionette agiert, weil sein russischer Amtskollege irgend etwas gegen ihn in der Hand haben muss (die berüchtigten angeblichen Fotos von Prostituierten, die in Moskau urinieren?), und auch gegen Teile des US-Establishments. Demokraten und einige Republikaner dachten sogleich über ein Amtsenthebungsverfahren nach, selbst angesichts der Aussicht auf Mike Pence als Alternative für Trump.

Insgesamt war die Schlussfolgerung einfach, dass der Präsident der USA nicht mehr der Anführer der freien Welt sei. Aber war der Präsident der USA wirklich jemals ein solcher Anführer? Hier sollte unser Gegenangriff beginnen.

Lassen Sie uns zunächst feststellen, dass trotz allgemeiner Verwirrtheit einiger Äußerungen von Trump hier und da ein Körnchen Wahrheit enthalten ist: Hatte er nicht in gewissem Sinne Recht, als er sagte, dass es in unserem Interesse ist, gute Beziehungen zu Russland und China zu haben, um Krieg zu verhindern? War es nicht teilweise richtig, seinen Handelskrieg mit Einfuhrzöllen auch als Schutz der Interessen von US-Arbeitern darzustellen?

Tatsache ist, dass die bestehende Ordnung für internationalen Handel und Finanzen bei weitem nicht gerecht ist und dass das europäische Establishment über den Schaden durch die Maßnahmen Trumps nicht die eigenen Sünden vergessen sollte. Haben wir schon vergessen, wie die bestehenden Finanz- und Handelsregeln, welche die starken europäischen Staaten - insbesondere Deutschland - privilegieren, Griechenland verwüstet haben?

Für einen Tango man braucht zwei

Was Putin betrifft: Ja, ich persönlich glaube, dass die Russen sich wahrscheinlich in die US-Wahlen eingemischt haben. Aber wurde Putin dabei erwischt.... und wobei genau? Bei genau dem, was die USA selbst regelmäßig und massiv tun – nur in ihrem Fall nennen sie es die "Verteidigung der Demokratie". Also ja, Trump ist ein Monster, und wenn er sich selbst als "stabiles Genie" bezeichnet, sollten wir dies als eine direkte Umkehrung der Wahrheit verstehen: er ist ein "instabiler Idiot", der das Establishment stört. Aber als solcher ist er ein Symptom, ein Effekt dessen, was mit dem Establishment selbst nicht stimmt. Und das wahre Monster ist das Establishment, das von Trumps Taten schockiert ist.

Die panischen Reaktionen auf Trumps jüngste Aktionen zeigen, dass er das politische Establishment der USA und dessen Ideologie untergräbt und destabilisiert. Unser Fazit sollte also lauten: Ja, die Situation ist gefährlich, es gibt Unsicherheit und Chaos in den internationalen Beziehungen. Aber hier sollten wir uns an Maos altes Motto erinnern: "Es gibt große UNOrdnung unter dem Himmel, also ist die Situation ausgezeichnet!"

Lass uns also nicht die Nerven verlieren. Stattdessen könnten wir die Verwirrung nutzen, indem wir systematisch eine weitere Anti-Establishment-Front von links organisieren. Die Zeichen sind hier klar: der überraschende Wahlsieg von Alexandria Ocasio-Cortez, einer selbsternannten demokratischen Sozialistin, gegen den Amtsinhaber Joe Crowley bei den Vorwahlen zum  New Yorker Kongress war hoffentlich der erste von einer Reihe von Schocks, die die Demokratische Partei verändern werden. Leute wie sie, und nicht die bekannten und müden Gesichter aus dem liberalen Establishment, sollten unsere Antwort auf Trump sein.

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