Deutschland

Finanzminister Olaf Scholz – Politik für das große Geld statt für die kleinen Leute

Acht Jahre war Wolfgang Schäuble Finanzminister – und machte konservative Finanzpolitik. Seit März 2018 ist Olaf Scholz (SPD) oberster Kassenwart des Landes. Finanzpolitik für die kleinen Leute ist bisher jedoch kaum zu erkennen – eher Streben nach Höherem.
Finanzminister Olaf Scholz – Politik für das große Geld statt für die kleinen LeuteQuelle: Reuters

Die übliche Schonfrist von 100 Tagen im Amt ist für den neuen Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz bereits seit einiger Zeit um. Nach den langen Jahren der schwäbischen Hausfrau Schäuble ist nun endlich wieder ein Sozialdemokrat Hüter der Staatsfinanzen und oberster Finanzpolitiker. Viel versprochen hatte die SPD im Wahlkampf und hart verhandelt in den Koalitionsverhandlungen. Und? Zieht man eine erste Bilanz, reibt man sich verwundert die Augen, wie etwa die Hilfsorganisation Oxfam:

Eine Gegenzentrale zum Kanzleramt wolltet ihr euch mit dem Ministerium sichern, für mehr sozialdemokratischen Einfluss im Land, deshalb habt ihr während der Koalitionsgespräche hart verhandelt.

Nicht wenige steuerpolitische Forderungen aus dem Wahlkampf scheinen in Rekordzeit in Vergessenheit oder aufs Abstellgleis geraten zu sein, weil sie nicht den Interessen der Finanzindustrie und multinationaler Konzerne entsprechen. Was ist denn da los?

Auch der Tagesspiegel stellte bereits die Frage: "Was will die SPD?" Denn je länger die Sozialdemokraten an der Seite von Kanzlerin Merkel mitregierten, umso unklarer werde, wofür sie eigentlich stünden:

Wollen sie die wachsende Spaltung in Gewinner und Verlierer der Globalisierung wirksam bekämpfen, wie es – im klassischen Selbstverständnis der Partei – ihre genuine Aufgabe ist? Oder wollen sie die Forderungen von Investoren und Konzernen bedienen, damit diese Wachstum und Jobs bringen?

"Olaf Schäuble" auf den Spuren von Gerhard Schröder

Genuin sozialdemokratische Politik ist bei der SPD allerdings schon seit der Regierung von Gerhard Schröder schwerlich erkennbar. Dieser erklärte schließlich: "Mit mir wird es keine Politik gegen die Wirtschaft geben." Schröder hielt Wort. Zur Erinnerung: SPD und Grüne entlasteten mit ihrer Steuerreform Reiche und Unternehmer um zweistellige Milliardenbeträge. Mit den Hartz-Gesetzen beförderten sie einen gewaltigen Niedriglohnsektor und einen rasanten Anstieg der Armut. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, die Privatisierungen von Wohnungen und Krankenhäusern sowie die drastischen Einsparungen an Schulen und Universitäten gehen ebenso größtenteils auf das Konto der SPD.

Bereits die Personalpolitik von Finanzminister Scholz ließ eine Fortsetzung dieser "sozialdemokratischen Politik" erkennen. Mit Jörg Kukies und Werner Gatzer holte Scholz einen Großbanker von Goldman Sachs bzw. den Architekten von Schäubles aggressiver Sparpolitik der "schwarzen Null" und der "Schuldenbremse" ins Finanzministerium. "Olaf Scholz powered by Goldman Sachs" titelten die NachDenkSeiten, und die TAZ schrieb von "Olaf Schäubles Wahlbetrug":

Scholz vermeidet es bei Auftritten sorgsam, sich von Schäuble abzusetzen. Das ist keine Nebensächlichkeit. Setzt die SPD in der EU das Altbekannte fort, wäre das eine Katastrophe – und nichts anderes als Wahlbetrug. Ihr gescheiterter Kanzlerkandidat Martin Schulz zeichnete im Wahlkampf das Bild eines solidarischen Europas. Sozialdemokraten brüsten sich damit, in den Koalitionsverhandlungen einen Kurswechsel durchgesetzt zu haben. Aber wo ist er nur?

Beispiel Finanztransaktionssteuer: Ihre Einführung im europäischen Kontext steht im Koalitionsvertrag. "Plötzlich ist aus dem Finanzministerium nur noch von einer Steuer auf den Handel mit Aktien zu hören, alle anderen Finanzprodukte sollen verschont bleiben", stellt Oxfam fest und nennt als Profiteure dieser Politik: "Allein die Finanzindustrie, beziehungsweise Spekulanten, die mit kurzfristiger und schädlicher Zockerei enorme Gewinne einfahren."

Beispiel Bekämpfung von Steuervermeidung: In ihrem Wahlprogramm vertritt die SPD eine länderbezogene Berichtspflicht über Gewinne und darauf gezahlte Steuern für multinational agierende Unternehmen. Ein Gesetzentwurf der EU-Kommission für dieses sogenannte "country-by-country-reporting" liegt vor. Damit wären "Steueroptimierungen" von Konzernen wie Apple, Ikea oder Amazon mit Pseudo-Holdings in den Niederlanden, Irland und Luxemburg oder Briefkastenfirmen in den karibischen Operettenstaaten nachvollziehbarer und Gegenmaßnahmen leichter durchzusetzen. Das Europaparlament hat dem Vorschlag zugestimmt, doch im Ministerrat der Regierungen stockt das Verfahren, stellt der Tagesspiegel fest und zeigt auf die deutsche Bundesregierung als wichtigsten Bremser, insbesondere auf Olaf Scholz, der die Blockadehaltung von Wolfgang Schäuble fortsetzt:

Vergangene Woche hat sich nun auch sein Nachfolger Scholz dagegengestellt. Man müsse 'ein effizientes System schaffen, aber eines, das von den Unternehmen und Ländern akzeptiert wird, die wir mit an Bord haben müssen', erklärte er im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments. Im Klartext: Solange die Konzerne und ihre jeweiligen Schutzmächte das nicht wollen, ist auch der deutsche Finanzminister dagegen. De facto macht Scholz damit die Böcke zu Gärtnern. Natürlich ist es möglich, dass die Regierungen der USA und Japans nicht mitziehen. Aber wäre das nicht ein Grund mehr, mit der EU voranzugehen und einen neuen weltweiten Standard zu setzen? Den größten Binnenmarkt der Welt wird gewiss keines der betroffenen Unternehmen aufgeben, nur weil es ehrlich berichten muss. Das belegen die in der EU tätigen Banken. Denn für sie ist schon seit 2015 Pflicht, was Scholz den übrigen Unternehmen nicht zumuten mag.

Als einzig plausible Erklärung für diese Politik des Vizekanzlers betrachtet der Tagesspiegel den erklärten und in einer OECD-Umfrage dokumentierten Widerstand der deutschen Industrie, mit der es sich Olaf Scholz nicht verderben wolle – während er "für das Wahlvolk" gleichzeitig ein entschlossenes Vorgehen Europas gegen Steuerdumping fordere. Leidtragende der durch diese Politik ausbleibenden Steuereinnahmen sind all diejenigen, die auf dringend benötigte Investitionen in Gesundheit, Bildung und soziale Sicherungssysteme angewiesen sind.

Beispiel Einführung einer Digitalsteuer für Unternehmen wie Google und Apple: Laut einem Papier aus dem Leitungsstab des Finanzministeriums lehnt das Bundesfinanzministerium die Einführung einer Digitalsteuer für Unternehmen wie Google und Apple ab, berichtet der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, Sven Giegold. Womit Olaf Scholz den französischen Präsidenten düpiere, den sozialdemokratischen EU-Kommissar Moscovici brüskiere und den europäischen Sozialdemokraten insgesamt in den Rücken falle. "Olaf Scholz ist der Sensor für die Gerechtigkeit abhandengekommen", so Giegold:

Der Finanzminister schützt die Falschen. Digitalunternehmen wie Google zahlen in der EU durchschnittlich nur 9,5 Prozent Steuern auf ihre Gewinne, andere Unternehmen dagegen 23,2 Prozent. Das Finanzministerium rechnet mit falschen Zahlen. Die Schieflage bei den Steuerbeiträgen von Digitalunternehmen besteht nach wie vor. Google und Co sollen nicht dämonisiert, sondern zu ihrem fairen Steuerbeitrag verpflichtet werden. Der unfaire Wettbewerb zwischen lokal verwurzeltem Einzelhandel und Digitalkonzernen muss beendet werden.

Beispiel Großbanken: Im Koalitionsvertrag heißt es: "Risiko und Haftung gehören zusammen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollen nicht mehr für die Risiken des Finanzsektors einstehen müssen." Nunmehr berichtet die Financial Times:

Scholz (...) hat immer wieder betont, dass die deutsche Wirtschaft starke und global wettbewerbsfähige Banken braucht, um ihre exportorientierte Wirtschaft zu unterstützen (...) Berlin bereitet sich auf die Idee vor, die Deutsche und die Commerzbank schließlich zu fusionieren.

Lehren aus der Finanzkrise?

Nicht zuletzt anlässlich des sich jährenden Ausbruchs der Finanzkrise durch den Kollaps von Lehman Brothers drängt sich angesichts solcher Pläne die Frage geradezu auf, inwieweit tatsächlich Lehren aus der Bankenkrise gezogen werden (beachtenswert hierzu die aktuellen Dokumentationen vom WDR und vom ZDF, sowie die Stellungnahme der Fraktion Die Linke im Bundestag). Also daraus, dass Banken "too big to fail" sind, worüber sie über ein entsprechendes Erpressungspotenzial und eine implizite Staatsgarantie zu "ihrer Rettung" verfügen (Erhellendes zum derzeitigen Zustand des Finanzsystems sowie auch zu Scholz' Finanz- und Personalpolitik findet sich etwa auf den NachDenkSeiten). Auf Kosten der Steuerzahler und der Allgemeinheit wird so eine Bankenkrise bewusst in eine Staatsschuldenkrise verwandelt, die in einen Teufelskreis mündet: Die gezielt herbeigeführte Verschuldung begründet vermeintliche "Sachzwänge" der "leeren Kassen" und des "über seine Verhältnisse leben", die wiederum den willkommenen Vorwand für weitere "alternativlose" neoliberale Reformen und Kürzungen der öffentlichen Ausgaben liefern. Eine Politik, die im Ergebnis der Finanzsektor für sich selbst macht, als Förderprogramm für Privatisierungen und den eigenen Hunger nach Rendite und Wachstum.

Ein Finanzsektor jenseits seiner nützlichen Größe und Rolle beginnt dem Land, das ihn beherbergt, Schaden zuzufügen. Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen, die im Finanzsektor erwirtschaftet werden, stehen viel größere Schäden gegenüber, die durch ihn in anderen Teilen der Wirtschaft und Gesellschaft in einer komplexen Bandbreite von Bereichen entstehen: zu große Banken, Abwanderung von Fachkräften aus anderen Produktionssektoren, das finanzielle Äquivalent der Holländischen Krankheit (wo das lokale Preisniveau steigt und andere Sektoren verdrängt werden), die Ausrichtung maßgeblicher gesellschaftlicher Macht und Interessen auf Finanzinteressen, die Umwandlung der Finanzierung weg von ihrer nützlichen, vermögensbildenden Rolle zu einer profitableren, vermögensbildenden Rolle, zunehmende soziale Ungleichheit und vieles mehr.

All dies wird auch Olaf Scholz wissen. Auch, dass diese staatliche Zwangsdiät und Politik der Entstaatlichung im Zeichen der "schwarzen Null" zu keinem Zeitpunkt alternativlos war, wie es der Freitag auf den Punkt bringt:

Der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge kann entweder über Kreditkarte oder höhere Steuern finanziert werden. Politisch einfacher vermittelbar sind Steuererhöhungen. Schulden gelten republikweit als Teufelszeug. Hier haben neoliberale und konservative Denkfabriken ganze Arbeit geleistet. Deswegen spricht viel dafür, die politische Auseinandersetzung auf die Stärkung der staatlichen Einnahmeseite zu konzentrieren.

Um sodann Olaf Scholz an das Programm einer tatsächlich sozialdemokratischen Finanzpolitik zu erinnern:

Die größte Herausforderung der heimischen Finanzpolitik besteht aktuell darin, einen höheren Ausgaben- und Investitionspfad einzuschlagen, unabhängig von der Drehzahl des deutschen Konjunktur- und Wachstumsmotors. Eine Finanzpolitik nach Kassenlage ist damit überfordert.

Folglich müsste ein roter Kassenwart darauf hinarbeiten, Schuldenbremse und Fiskalpakt die Giftzähne zu ziehen. Dafür sollten zunächst Investitionen von Schuldenbremse und Fiskalpakt ausgenommen werden. Gleichzeitig muss der öffentliche Diskurs über Staatsfinanzen wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Ein SPD-Finanzminister sollte öffentlich für die ökonomische Sinnhaftigkeit von kreditfinanzierten Investitionen werben und sich gleichzeitig für eine Stärkung der staatlichen Einnahmeseite einsetzen. Die öffentliche Armut kann durch eine höhere steuerliche Belastung des privaten Reichtums überwunden werden.

Eine solche umverteilende Steuerpolitik ist auch in einer global vernetzten Wirtschaft möglich. Das Kapital ist kein scheues Reh. Investitionsentscheidungen sind nicht allein abhängig von der Steuerlast. Überdies erleichtert die verbesserte Transparenz internationaler Kapitalströme – weniger Steueroasen, automatischer Informationsaustausch, etc. – eine stärkere Besteuerung von Gewinnen, hohen Einkommen und Vermögen.

Solide Politik – oder Karriereplanung?

Zwar redet Olaf Scholz vom Sozialstaat als bestem Schutz gegen Rechts, von besseren Kitas, mehr Unterstützung zum Erwerb von Wohneigentum, mehr Bundesmitteln für den öffentlichen Nahverkehr oder Steuersenkungen für Familien, davon, dass dies alles das Land Stück für Stück gerechter und den Sozialstaat damit verlässlicher mache. So fasst das Handelsblatt die Rede des Finanzministers im Bundestag zusammen. Doch gleichzeitig erinnert Scholz an die Finanzkrise und fordert, dass sich eine solche "Schuldenorgie" nicht noch einmal wiederholen dürfe. Und rechtfertigt damit seine Politik des "Olaf Schäuble". Wie "solide" ist eine solche Haushaltspolitik? Wenn sie einerseits den Ausbau sozialer Leistungen für den Zusammenhalt des Landes und Politik für die kleinen Leute verspricht, doch andererseits dafür weder das im Wahlkampf versprochene Programm in der Steuer- und Finanzpolitik umsetzt, noch die Politik der "schwarzen Null" und der fortschreitenden Entstaatlichung revidiert – sondern stattdessen direkt Politik "für Deutsche Bank & Co" macht, was ihm Fabio De Masi von der Linkspartei im Bundestag vorhielt?

Wie solide ist eine solche Politik der Doppelstrategie, bei der Olaf Scholz in der Finanzpolitik den konservativen Kassenwart gibt und bei Themen, die nicht in die Zuständigkeit seines Hauses fallen, auf "SPD pur" setzt, möchte man da mit dem Handelsblatt fragen und sich dessen Antwort etwa mit Blick auf Scholz' Rentenpläne anschließen: sie sollen ihm den Weg ins Kanzleramt ebnen.

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