Gesellschaft

Kulturschock: Eine Nacht mit deutschen Moskau-Touristen

Die russische Hauptstadt ist so modern geworden, dass manche Touristen sich darüber wundern werden. Vor allem ein neuer Park mitten in Moskau lädt Touristen ebenso wie Stadtbewohner zum Entspannen und Erholen ein.
Kulturschock: Eine Nacht mit deutschen Moskau-TouristenQuelle: RT © Ulrich Heyden

von Ulrich Heyden, Moskau

Mitten in Moskau in Sichtweite des Kreml gibt es den neuen, 13 Hektar großen Park Sarjadje. Bei gutem Wetter kommen viele Menschen, um dort spazieren zu gehen und sich von der Hektik der Stadt auszuruhen. Von weitem hat das neue Areal nichts Besonderes. Man sieht, wie sich junge Birken im Wind wiegen. „Ich verstehe nicht, warum die Leute alle in diesen Park rennen und Fotos vor Birken machen,“ sagte mir neulich ein Bekannter, der jeden Morgen zur Arbeit an dem Park vorbeifährt. Vor einigen Tagen habe ich mir selbst den Park angeguckt und war begeistert. An welcher Ecke des großen Geländes man auch steht, überall ergeben sich überraschende Aussichten.

Das Besondere an dem Park: Auf dem Gelände wurden Gewächse und Bäume aus verschiedenen Landschaften Russlands, Tundra, Steppe, Wald und Moor, gepflanzt. Als es bei der Eröffnung im September 2017 einen großen Besucherandrang gab und seltene Gewächse und Moose zertrampelt wurden, machte das Schlagzeilen in den russischen Medien. Nun sind die Besucher vorsichtiger geworden.

In dem neuen Park, der in Zusammenarbeit mit dem in New York ansässigen Architektur-Büro Diller Scofidio + Renfro entstand, gibt es auch einige außergewöhnliche Bauwerke, eine Aussichtsplattform, die sich wie ein Pfeil bis weit hinaus auf den Moskwa-Fluss erstreckt. Und dann gibt es da noch eine große Grasfläche mit Rhododendron-Büschen und Amphitheater, über das sich eine riesige Glaskuppel wölbt. Außerdem gibt es eine vereiste Grotte mit einer Temperatur von minus 15 Grad Celsius. Besucher sollen sich dort nicht länger als 15 Minuten aufhalten.

Seinen Namen hat der Park Sarjadje von dem Gebiet, in dem er liegt. Dort gab es im 14. Jahrhundert einen großen Markt. Die Stände der Händler waren in Reihen (Rjady) aufgebaut. Sarjadje heißt so viel wie „hinter den Reihen“.

Das legendäre Hotel Rossija ist verschwunden

Bis 2006 stand auf dem Platz, wo sich jetzt der Park befindet, das Hotel Rossija. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn man das Hotel nicht abgerissen hätte. Das riesige Gebäude mit seinen fast 3.000 Zimmer wurde 1964 – also in der Chruschtschow-Zeit – gebaut.

Es sah zwar sehr massiv aus, aber es war ein Gebäude mit einem interessanten inneren Leben und einer besonderen Geschichte. Hier stiegen Hunderttausende von Touristen aus „den sozialistischen Bruderländern“ und Parteitagsdelegierte ab. Auch nach dem Ende der Sowjetunion schätzten viele Touristen das in einem Quadrat gebaute Hotel wegen seiner zentralen Lage.

Eigentlich sollte an Stelle des abgerissenen Hotels – es war das größte in Europa – ein supermoderner Komplex mit mehreren neuen Hotels und Konzerthallen gebaut werden. Ein Investor war auch schon gefunden. Doch dann kam im Jahr 2008 die Finanzkrise und es gab einen Rechtsstreit der Stadt mit dem Investor. Die Freifläche neben dem Kreml verschwand für Jahre hinter einem Sichtschutz, ohne dass sich etwas tat. Die Arbeiten für den neuen Park begannen dann im Jahr 2014.

Tanz auf dem Tisch

Ich erinnere mich an einen Morgen im Hotel Rossija. Es war im Juni 2000. Die ganze Nacht hatten wir im Restaurant in der vierten Etage des Hotels gesessen. Die Fenster waren riesig groß und wenn man die Tüll-Vorhänge ein bisschen zur Seite schob, hatte man einen wunderbaren Blick auf den Kreml.

Meine Bekannten, Künstler aus Berlin, hatten gut getrunken. Jemand versuchte auf dem Tisch zu Tanzen. Das würden auch die Russen so machen, wurde ich belehrt. Dann wurde entschieden, auf den Roten Platz zu gehen. Es war sechs Uhr morgens. Trotz meiner Warnung setzten sich einige aus der Reise-Gruppe zu einer Art Sit-in auf das Kopfsteinpflaster. Wollten sie gegen den gerade gewählten Präsidenten Putin prostieren? Keine Ahnung. Die Aktion dauerte nur etwa 45 Sekunden. Denn ein herbeigeeilter Beamter in Zivil hatte mit ruhiger Stimme erklärt, dass man hier nicht Sitzen dürfe.

Mit diesen Deutschen war es überhaupt schwierig. Sie hielten sich für besonders fortgeschrittene Künstler und Moskau ohne Provokationen zu besuchen, wäre für sie offenbar eine Schande gewesen.

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Beim Besuch des Mausoleums kam es zum nächsten Zwischenfall. Eine junge Frau aus der Gruppe hatte ein Taschentuch mitgebracht, welches sie zuvor mit ihren roten Lippen geküsst hatte. Dieses Taschentuch legte sie nun auf den schwarzen Marmor, direkt vor die Füße von Lenin. Doch das „Geschenk“ lag dort nur Sekunden. Ein uniformierter Wächter entfernte es schweigend.

„Warum steht hier alles nur auf Russisch?“

Mit der Künstler-Gruppe aus Berlin besuchten wir mehrere der neuen Galerien in der Stadt und fuhren viel mit der U-Bahn. Während dieser Fahrten fragte mich ein Kultur-Kritiker einer angesehenen Berliner Zeitung, der auch zu der Reisegruppe gehörte, immer wieder beharrlich, warum die Namen der U-Bahn-Stationen nicht auf Englisch geschrieben werden. Dass ich nicht in seinen Protest einstimmen wollte, machte den Kultur-Kritiker richtig ärgerlich. Verdächtigte er mich etwa der Kumpanei mit dem Putin? Still dachte ich für mich, ´soll er doch vor der Reise wenigstens die russischen Buchstaben lernen, damit er sich in der U-Bahn zurechtfindet´. Doch ich sagte es nicht laut, denn ich ahnte, dass es sich nicht lohnt, mit diesem Kultur-Kritiker zu streiten.

Inzwischen gibt es in allen Moskauer U-Bahn-Wagen eine russisch-englische Beschriftung und Wifi. Jedes Jahr werden neue U-Bahnstationen gebaut und seit 2017 gibt es eine völlig neue Ring-S-Bahn mit Waggons einer deutschen Firma.

Ich frage mich, was der Kultur-Kritiker sagen wird, wenn er Moskau wieder besucht, den Sarjadje-Park sieht, sich ohne Russisch-Kenntnisse in der U-Bahn orientieren und bei der Fahrt unter der Erde chatten kann. Ich fürchte, er wird wieder etwas finden, was ihm nicht gefällt.

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