Lateinamerika

Uruguay: Gesetzesentwurf gegen Wahlkampflügen im Internet

Ein Senator der progressiven Regierungskoalition schlägt Alarm: Auch Uruguay sei von Fake-News-Kampagnen durch sogenannte Bots betroffen. Dabei ist das bewusste Verbreiten von Lügen in dem Land seit dem Ende der Diktatur eine Straftat.
Uruguay: Gesetzesentwurf gegen Wahlkampflügen im InternetQuelle: Reuters © Reuters

von Maria Müller

Die Regierungspartei Uruguays, die Frente Amplio (FA - Breite Front), reagiert auf die zum Teil roboterisierten Lügenkampagnen im Netz zur Wahlbeeinflussung. Die Demokratie und der Rechtsstaat seien in akuter Gefahr, warnen FA-Vertreter. Derzeit kommen Kandidaten mit radikaler neoliberaler Ideologie auf dem amerikanischen Kontinent auf diese Weise an die Regierungsmacht, rechtsextreme Kräfte konnten ihren gesellschaftlichen Einfluss damit stärken.

Marcos Otheguy, Senator der Frente Amplio, präsentierte vor kurzem einen Gesetzesentwurf gegen Fake-Kampagnen bei Wahlen. In seinem Entwurf fordert er eine Haftstrafe von zwei bis vier Jahren für diese Straftat im Bereich des Wahlrechts. Die neuen Paragraphen sollen in das bestehende Wahlgesetz integriert werden. Der Straftatbestand erstreckt sich auf jede Art von Fake-News, sei es in schriftlicher Form, als Lieder, Symbole, Bilder, Aufzeichnungen oder Videos, die die Nutzer bewusst irreführen.

Die Angst vor den Lügenkampagnen bei Wahlen und die Sorge um die Demokratie sind sicher berechtigt. Bereits 2012 soll sich der frühere Präsident Barack Obama vor der Stichwahl dieser Methoden bedient haben. Im Jahr 2016 raubte die britische Firma "Cambridge Analytica" aus 83 Millionen Facebook-Konten persönliche Daten für die Kampagne von Donald Trump. 

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Bei der Volksabstimmung über den Friedensvertrag in Kolumbien im gleichen Jahr arbeiteten zwei Marketingfirmen mit Falschmeldungen für das "Nein". Auch bei der Wahl in Ecuador 2017 setzte die Opposition erfolgreich die Methode ein. In Chile trug sie 2017 zum Wahlsieg von Präsident Sebastian Piñera bei und in Brasilien brachten massive Lügenkampagnen vor kurzem den Rassisten Jairo Bolsonaro ans Ruder.

Die Grundlagen der Demokratie seien in Gefahr, warnt der Senator Marcos Otheguy.

"Unsrer Meinung nach gibt es gegenwärtig keine relevantere Aufgabe, als sich für die Verteidigung von Politik und Demokratie zu engagieren: Es ist klar, dass beide in der Region und in der Welt bedroht sind", äußerte sich der linke Senator vor der Presse.

Schon im alten Griechenland sei das Recht, öffentlich zu sprechen, als Grundlage der Demokratie anerkannt worden. Doch auch die Pflicht zur Wahrheit gehörte untrennbar dazu, sowie der Mut, die Lüge zu entlarven, argumentierte Otheguy in seinem Beitrag in der Zeitung La Diaria vom 22. November. 

Nach dem Ende der Diktatur in Uruguay: Verbot von Medienlügen

Bereits kurz nach dem Ende der Diktatur wurde 1989 in dem kleinen Land ein Gesetz verabschiedet, das das bewusste Verbreiten von Lügen in Schrift, Ton und Bild verbietet. Die Wirkung von gesteuerten Falschmeldungen in den Medien, mit denen das Regime brutale Repressionsmaßnahmen rechtfertigte, waren als zentrales Element einer Diktatur und ihrer Kriminalität verstanden worden.

Darauf bezieht sich der Volksvertreter. Seine Initiative würde nicht an dem bisher gültigen Mediengesetz rütteln, denn sie konzentriere sich auf die neuen Entwicklungen im digitalen Bereich, die damals undenkbar waren. Die neuen Technologien, das Internet, haben eine Dimension eröffnet, die die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch den Menschen massiv manipulieren könne.

Die Abhängigkeit vom Smartphone

Eine neue Generation von Wählern ist herangewachsen, die ihre politischen Ansichten in erster Linie aus Kurznachrichten und Video-Clips auf Facebook, WhatsApp und Twitter beziehen. Es sieht fast schon nach einem Suchtverhalten aus, wenn z. B. 80 Prozent der Nutzer in öffentlichen Verkehrsmitteln in Uruguay unentwegt auf ihr Smartphone blicken. Auch im Straßenbild wiederholt sich der Eindruck.

Otheguy argumentiert gegenüber der Presse:

Vertreter der internationalen Institutionen, der Internet-Plattformen, Fachleute der technischen Gemeinschaft und aus dem Bereich des Journalismus sowie viele Organisationen der Zivilgesellschaft sind sich darin einig, dass Falschinformationen besonders im Bereich der Wahlprozesse ein großes Problem sind. Sie bedrohen das Funktionieren der Demokratie und des Rechtsstaates.

Der uruguayischen Regulierungsbehörde für Kommunikationsdienste (URSEC) soll nun eine besondere Verantwortung für die Überwachung und Kontrolle der digitalen Internetplattformen der globalen Kommunikation übertragen werden.

Opposition fordert überparteilichen Ethik-Pakt

Die Kritik am Vorschlag des Senators kam umgehend. Die oppositionelle Nationalpartei sprach von Zensur. Ihr Abgeordneter Rodrigo Goñi präsentierte einen Gegenvorschlag. Nach seinen Vorstellungen sollte es einen "Digitalen Ethik-Pakt zwischen allen Parteien" geben, um Lügennachrichten und Verwirrungskampagnen zu bekämpfen. Der Schritt des Kollegen aus der Regierungspartei wurde niedergemacht:

Es handelt sich um eine undemokratische Initiative, die die Meinungsfreiheit einschränkt, weil sie einen Straftatbestand für die Bürger schafft. Das führt zu Zensur oder Selbstzensur

Nach Meinung von Goñi müsste man gegen die Fake-News mit einem breit gefächerten Ansatz vorgehen: die Selbstregulierung sollte Vorrang haben, das Bewusstsein der Bürger sei zu schärfen, eine Bestrafung nicht machbar. Denn es habe sich erfahrungsgemäß herausgestellt, dass die Medizin schlimmer sei als die Krankheit.  

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte fordert gesetzliche Definitionen

Dagegen verwehrt sich der Autor des neuen Gesetzestextes. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte habe (gemäß Gutachten Nr. 5/85) zwar eindeutig erklärt, dass jede vorbeugende Maßnahme oder "Zensur im Vorfeld" zur Folge hat, dass die Meinungsfreiheit missachtet wird.

Gleichzeitig stellte er jedoch Kriterien auf, um einen Straftatbestand in diesem Bereich rechtsgültig feststellen zu können. So müssten laut Gericht mehrere Anforderungen erfüllt sein: 

a. dass die Haftungsgründe zuvor klar definiert wurden,

b. dass sie per Gesetz festgeschrieben sind,

c. dass die Ziele legitim sind, die mit einer solchen Gesetzesnorm erreicht werden sollen (z. B. korrekte Wahlen) und

d. dass die Haftungsgründe "notwendig sind, um die genannten (legitimen) Ziele zu erreichen". 

Nach Otheguys Projekt soll kein Verbot im Vorfeld einer Information oder Meinungsdarstellung stattfinden, sondern erst im Nachhinein, bei "bewusster, vollendeter Tat", wie es auch im Sinne des bisherigen Mediengesetzes (Nr.16.099) in Uruguay gehandhabt werde. Sein Text sei verfassungsgemäß und stehe mit der Interamerikanischen Menschenrechtserklärung von 1969 in Einklang. 

Laut Gesetz sind mediale Lügen in Uruguay ein Straftatbestand

Außerdem sei in diesem Gesetz "über die Presse- und Meinungsfreiheit" bereits verankert, dass es sich bei der wissentlichen Verbreitung falscher Nachrichten, die zu einer ernsthaften Störung des öffentlichen Friedens oder zu einem ernsthaften Schaden für die wirtschaftlichen Interessen des Staates oder seines Ansehens im Ausland führen, um einen Straftatbestand handele. Er wird mit einer Haft zwischen drei Monaten und zwei Jahren geahndet. Bis heute habe sich niemand gegen das Gesetz ausgesprochen. Auch habe bisher niemand reklamiert, es würde die Meinungs- und Gedankenfreiheit einschränken.

Drittens schaffe das neue Gesetz einen genaueren Maßstab, da das strafbare Verhalten absichtlich geschehen muss. Außerdem sei nun zusätzlich erforderlich, dass die inkriminierten Mittel für den Zweck funktional sind (z. B. Manipulationen, um Wahlergebnisse zu verändern). Erst dann würden sie als Straftat eingestuft werden. 

Als vierter Punkt nennt der Senator, dass das Delikt nur bei Nutzung von digitalen Internetplattformen der globalen Kommunikation begangen werden kann, oder mit Hilfe eines Informatiksystems oder Technologien der Datenübertragung. Delikte im Bereich der klassischen Medien würden wie bisher vom Mediengesetz behandelt.

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