Meinung

China, der neue "Bad Boy" des westlichen Mainstreams

Vom Partner zum Regime ist es im westlichen Mainstream oft nur ein kurzer Weg. Schon bemüht man für Hongkong historisch Unvergleichbares wie Tian’anmen, um Dramatik und Druck auf China zu steigern. Ausgeblendet wird dabei die eigene Brutalität bei ähnlichen Protesten.
China, der neue "Bad Boy" des westlichen MainstreamsQuelle: AFP © Manan VATSYAYANA

von Zlatko Percinic

Die Proteste in Hongkong füllen gerade die Nachrichtenseiten unserer Medien wie kein zweites Thema. Der Großteil der Artikel stellt das, was in der chinesischen Finanzmetropole derzeit geschieht, als einen Kampf von tapferen und friedlichen Demonstranten gegen eine repressive Staatsmacht dar, die ihnen ihre Rechte wegnehmen möchte. Manche Artikel werden sogar so dargestellt, dass der Eindruck entstehen könnte, dass China Hongkong irgendwie überfallen möchte, ganz so, als ob es sich bei der Stadt um ein extraterritoriales Staatsgebiet handelt. Erst im allerletzten Absatz wird dann noch in einem kurzen Satz erwähnt, dass Hongkong eigentlich seit 1997 doch wieder zu China gehört.

Und wie bei anderen Ländern, mit deren Politik man nicht einverstanden ist, wird die chinesische Regierung in Peking plötzlich als "Regime" bezeichnet. Damit wird eine künstliche Grenze zwischen Gut und Böse geschaffen – auch ohne das noch explizit überhaupt so benennen zu müssen. Merke: Regierungen sind die Guten, Regimes die Bösen.

Dieses Schubladendenken zeigt sich auch in der Bewertung dessen, worum es in Hongkong angeblich gehen soll. Sucht man beispielsweise bei Zeit Online etwas zum Thema, erscheint als oberstes Banner folgende Erklärung:

Der Kampf um Demokratie also. Damit sind die Grenzen ebenfalls gesteckt. Die Demonstranten sind die Guten, weil sie für die Demokratie kämpfen. Und das chinesische "Regime" ist das Böse, weil es nicht nur diese Demokratie bekämpft, sondern auch die Helden der Saga bedroht.

Was aber bei den meisten dieser Berichte fehlt, sind die Hintergrundinformationen. Was hatte es beispielsweise mit dem auf Eis gelegten Auslieferungsgesetz zwischen Hongkong und Peking auf sich? Wie sieht es eigentlich tatsächlich mit der Demokratie in Hongkong aus? Diese zentralen Informationen werden den Leserinnen und Lesern vorenthalten und verzerren – beabsichtigt oder nicht – das Gesamtbild.

Während die Chinesen in Hongkong in der Tat über viele Freiheiten und Rechte verfügen, die ihren Landsleuten in der Volksrepublik in dieser Form verwehrt bleiben, gab es dort nie – und gibt es auch nach wie vor keine – Demokratie nach westlichem Verständnis. Eineinhalb Jahrhunderte lang war Hongkong eine britische Kolonie, mit einem britischen Gouverneur an der Spitze, der die Geschicke der Kolonie und der kolonisierten Bevölkerung lenkte und Weisungen aus London umzusetzen hatte.

Was – wenn überhaupt – als Zeichen der Demokratie gewertet wird, ist der Legislativrat der Sonderverwaltungszone Hongkong. Allerdings können nur 35 der 70 Parlamentssitze von den Wählern direkt gewählt werden, die andere Hälfte wird von "funktionalen Wahlkreisen" bestimmt, die aus Berufsgruppen wie Lehrern, Anwälten, Architekten oder Ingenieuren bestehen und meistens loyal zur Zentralregierung in Peking stehen. Bei den letzten Wahlen 2016 ergab sich daher auch eine 60:40 Verteilung für das Pro-Peking-Lager im Parlament.

Doch über die tatsächliche politische Macht in Hongkong verfügt der Generaldirektor der Sonderverwaltungszone, im aktuellen Fall eine Frau: Carrie Lam. Der Generaldirektor wird von einem "Wahlkomitee" von 1.200 Mitgliedern vorgeschlagen und von Peking überprüft, bevor der oder die Kandidatin gewählt wird.

Ein weiterer kritischer Punkt bei der westlichen Berichterstattung und den bisherigen Reaktionen einiger Regierungen ist, dass zweierlei Maß angewendet wird. Während das Vorgehen der Polizei gegen die alles andere als friedlichen Proteste als "brutal" und "unangemessen" verurteilt und andererseits die extreme Gewalttätigkeit einiger der Protestler einfach ignoriert wird, gibt es keine ähnlichen Verurteilungen von Polizeigewalt beispielsweise in Frankreich oder den USA.

Seit bereits 40 Wochen finden in Frankreich allwöchentlich Proteste gegen die Regierung von Emmanuel Macron statt, bei denen die Polizei äußert brutal gegen die Demonstranten vorgeht. Dabei wurden hunderte Menschen zum Teil schwer verletzt, zwei Menschen starben als unmittelbare Folge der Polizeigewalt. Davon berichten aber die Medien so gut wie gar nichts, weder in Deutschland noch in Großbritannien oder den USA. Als es in Ferguson im US-Bundesstaat Missouri zu Rassenunruhen nach dem Mord an dem Afroamerikaner Michael Brown kam, ging die Polizei ebenfalls äußert brutal gegen die Protestler vor. Der Gouverneur ließ sogar die Nationalgarde auffahren, um die Situation in den Griff zu bekommen.

Und es wäre ein gefährlicher Trugschluss zu glauben, dass irgendeine europäische oder US-Regierung tatenlos zuschauen würde, wenn bei Protesten – aus welchen Gründen auch immer – ein wichtiger Flughafen besetzt würde. Auch die deutsche Polizei ging bei den Ausschreitungen während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg nicht gerade zimperlich gegen die Randalierer vor. Eine Besetzung des Hamburger Flughafens hätte genauso einen massiven Polizeieinsatz ausgelöst, bei dem sicherlich nicht nur Nettigkeiten ausgetauscht worden wären. Von der Hongkonger Regierung wird aber verlangt, ihrer Pflicht, für Gesetz und Ordnung zu sorgen, nicht nachzukommen.

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