Meinung

Geschichtsklitterung: Wie Angela Merkel dem Widerstand des 20. Juli huldigt

Angela Merkel gedenkt in einem Podcast-Video der Verschwörer des 20. Juli 1944, die sie als Vorbilder würdigt und indirekt als Vorbilder im Kampf gegen den Rechtsextremismus darstellt. Fast alles an den Ausführungen der Kanzlerin ist irreführend und schief.
Geschichtsklitterung: Wie Angela Merkel dem Widerstand des 20. Juli huldigt© Screenshot: www.bundeskanzlerin.de

von Andreas Richter

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrem wöchentlichen Podcast den Widerständlern des 20. Juli 1944 um Graf Stauffenberg gehuldigt. Interessant an ihrem knapp dreiminütigen Video ist vor allem, wie Merkel die historischen Ereignisse darstellt, was sie auslässt und welche Verbindungen zur Gegenwart gezogen werden. So viel vorweg: Merkel klittert sich die Geschichte ebenso zurecht wie die Gegenwart.

Sie beginnt ihre Ausführungen mit den Worten:

Am 20. Juli dieses Jahres ist der 75. Jahrestag des wohl bekanntesten Attentats auf Adolf Hitler. Die Akteure um Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurden noch in derselben Nacht hingerichtet. Dieser Tag ist uns Erinnerung – nicht nur – an die Akteure des 20. Juli, sondern an alle, die sich der Herrschaft des Nationalsozialismus entgegengestellt haben. Und glücklicherweise gab es davon viele Menschen.

Die Kanzlerin wählt also die Akteure des 20. Juli, um an alle zu erinnern, die sich dem NS-Regime entgegengestellt haben. Die Wahl ist, bei allem Respekt, die man den Verschwörern zollen muss, keine glückliche. Denn diese begannen erstens mit ihrer Verschwörung erst, als sich die deutsche Niederlage im Krieg abzeichnete, zum Zeitpunkt des Attentats konnte an dessen Ausgang kein Zweifel mehr bestehen. Jemand wie Georg Elser, der schon ganz zu Beginn des Krieges versuchte, den Führer des "Großdeutschen Reiches" zu beseitigen, wäre als Vorbild besser geeignet.

Zweitens kam der übergroße Teil der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime aus der Arbeiterbewegung, die Mehrzahl von ihnen waren Kommunisten. Insofern vermittelt die Wahl der Verschwörer des 20. Juli, die in ihrer großen Mehrheit adelige Offiziere waren, zu Repräsentanten des Widerstands an sich ein überaus schiefes Bild.

Auch Merkels Aussage, dass sich "glücklicherweise … viele Menschen" dem Regime widersetzt hätten, sollte nicht unkommentiert bleiben. In absoluten Zahlen mag dies stimmen, relativ gesehen aber widersetzte sich aktiv immer nur eine kleine Minderheit. 

Die im Video nach knapp 30 Sekunden eingeblendete Frage, warum es heute noch wichtig sei, an den Widerstand und das Attentat vom 20. Juli zu erinnern, beantwortet Merkel so:

Nur wenn wir unsere Vergangenheit verstehen, können wir auch eine gute Zukunft bauen. Natürlich leben wir heute in einem Rechtsstaat, das heißt, Staatsbürger und Staatsführung sind dem Recht und der Demokratie verpflichtet. Aber diejenigen, die am 20. Juli gehandelt haben, sind uns Vorbild. Denn sie haben gezeigt, dass sie ihrem Gewissen folgen und damit haben sie einen Teil der Geschichte Deutschlands geprägt, der ansonsten durch die Dunkelheit des Nationalsozialismus bestimmt war. Uns obliegt es heute, diesen Menschen zu danken. Denn unser Grundgesetz hätte ohne solche Taten vielleicht nicht so entstehen können. Wir können heute auf dem Mut dieser Menschen aufbauen und froh sein, dass es diesen Teil unserer Geschichte gibt.

Die Attentäter um Stauffenberg werden von der Kanzlerin also als Vorläufer der Bundesrepublik und deren Grundgesetz dargestellt. Das ist abenteuerlich, denn die Verschwörer waren überzeugte Antidemokraten und überwiegend Anhänger einer autoritären ständischen Ordnung; nicht nur nach heutigen Maßstäben würden sie als stramm rechts gelten. Diese Feststellung soll nicht als pauschale Kritik an ihnen verstanden werden; jede historische Persönlichkeit muss im Kontext ihrer Zeit gesehen werden – genau das tut Merkel nicht.

Richtig absurd wird es im dritten Teil des Merkel-Videos, der mit dieser Frage eingeleitet wird:

Wie wichtig ist für die Bundesregierung die Bekämpfung des Rechtsextremismus?

Als Antwort schlägt die Kanzlerin einen gewagten Bogen von der Bekämpfung des Rechtsextremismus, den Mord an Walter Lübcke über die Digitalisierung bis hin zur Justiz und zur Zivilgesellschaft:

Auch wir sind heute verpflichtet, uns allen Tendenzen entgegenzustellen, die die Demokratie zerstören wollen. Dazu gehört der Rechtsextremismus. Die Zahl derer, die dem rechtsextremistischen Lager zugeordnet werden, steigt leider. Der schreckliche Mord an Walter Lübcke – dem Kasseler Regierungspräsidenten – führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, diejenigen zu unterstützen, die auf der lokalen Ebene oder auf anderen Ebenen politische Verantwortung übernehmen. Egal, ob als Politiker oder aber in den Nichtregierungsorganisationen und in der gesamten Gesellschaft. Hier braucht es ein deutliches Zeichen aller!

Auf der einen Seite müssen wir natürlich unsere Sicherheitsorgane gut ausstatten. Wir zeigen dies, indem wir die Personalausstattung aller Behörden vergrößern. Wir zeigen dies in dem Pakt für den Rechtsstaat, um die Digitalisierung auch unserer Gerichte und der Staatsanwaltschaften voranzubringen. Und wir müssen darüber hinaus natürlich die Zivilgesellschaft stärken. Da gibt es eine Präventionsstrategie gegen Extremismus, die die Bundesregierung verabschiedet hat. Da gibt es wichtige Programme, wie zum Beispiel das Programm "Demokratie leben!" und jeder ist eingeladen, sich in unserer Gesellschaft dafür einzusetzen, dass die Demokratie stark ist, dass die Zivilgesellschaft stark ist und dass Rechtsextremisten keine Chance haben.

Natürlich bleiben bei diesen Ausführungen viele Fragen offen, vieles bleibt schwammig und wirr. Feststellen lässt sich wohl, dass sich Merkel selbst als "Kämpferin gegen den Rechtsextremismus" stilisiert und dabei eine Kontinuität zu den Widerständlern herstellt. 

Aufhorchen lässt, dass die Kanzlerin von der Gesellschaft pauschal Unterstützung für Politiker und NGOs fordert, die "Verantwortung übernehmen". Das klingt nicht nur nach "Wer nicht hüpft, ist ein Nazi", es ist wahrscheinlich auch so gemeint. Merkel redet zwar immer von Demokratie, aber an keiner Stelle redet sie von einem Wettstreit von Ideen und Programmen, alles wirkt statisch und autoritär. Immerhin decken sich ihre Worte mit ihrem Vorgehen beim Fällen von wichtigen politischen Entscheidungen. 

Das Bild, das Merkel in ihrem Podcast von der Gegenwart zeichnet, ist also ebenso schief wie das der Vergangenheit, bei dem ihre Darstellung vollkommen wirklichkeitsfern und unhistorisch ist. Vielleicht weiß sie es nicht besser, wahrscheinlich aber bedient sie sich nur wieder einmal bedenkenlos im Fundus der NS-Geschichte, um ihre tagespolitischen Ziele zu befördern.

Warum die Kanzlerin in ihr Video auch noch das Thema Digitalisierung einbaute, bleibt rätselhaft. Wahrscheinlich muss der Zuschauer dankbar sein, dass sie die Verschwörer von 1944 nicht auch noch für den sogenannten Klimaschutz und die EU bemühte. Nimmt man Merkel mit ihrer Aussage beim Wort, dass nur eine gute Zukunft bauen könne, wer die Vergangenheit versteht, dann kann man sich um die Zukunft des Landes unter ihrer Führung durchaus Sorgen machen.

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