Meinung

Angela Merkel - Ein Nachruf

Nach den enttäuschenden Ergebnissen bei den letzten Landtagswahlen hat Angela Merkel angekündigt, doch nicht wieder für den CDU-Vorsitz zu kandidieren. Sie will darüber hinaus auch nach der Legislaturperiode für politische Ämter nicht mehr zur Verfügung stehen.
Angela Merkel - Ein NachrufQuelle: Reuters © Fabrizio Bensch

von Gert Ewen Ungar

Es droht eine Zeit der politischen Lähmung, und zwar über das ohnehin schon bedrohliche Maß von Merkels Zögerlichkeit und ihrer Taktik des Aussitzens hinaus. Grundlegende Änderungen am eingeschlagenen Kurs sind ohnehin nicht zu erwarten. Daher kann nun durchaus schon Bilanz über die Ära Merkel gezogen werden. Wie hat Merkel die Republik geprägt? Was wird sie hinterlassen?

Innenpolitisch ist unter Merkel die Spaltung der Gesellschaft immer weiter fortgeschritten. Ein Vorgang, der zwar schon unter Kohl begann, der jedoch durch die von der SPD entworfene Agenda 2010 und damit durch den von Rot-Grün zum Gesetz erhobenen Rückbau der sozialen Sicherungssysteme zum ersten Mal in hohem und breitem Maßstab exekutiert wurde.

Die Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft hat zugenommen und ist heute wieder auf demselben Stand wie vor einhundert Jahren, also zur Zeit des Kaiserreichs. Ursächlich dafür verantwortlich ist der Marktradikalismus, den Merkel nahtlos von ihrem Vorgänger Schröder übernommen hat. Obwohl Deutschland eine der stärksten Ökonomien der Welt ist, haben soziale Probleme und Armut unter Merkel weiter zugenommen. Wohnungsnot, Altersarmut, prekäre Beschäftigungsmodelle: all das hinterlässt Merkel den nachfolgenden Generationen.

Hinterlassen wird sie daneben, über die individuelle Sichtweise hinaus, auch eine marode Infrastruktur, ein marodes Gesundheitssystem und ein im Niedergang befindliches Bildungssystem. Damit werden sich ebenfalls nachfolgende Generationen auseinandersetzen müssen. Auf der Haben-Seite verbucht die CDU gerne "die schwarze Null", den ausgeglichenen Haushalt. Der Staat wurde faktisch zum Sparer. Dass unter Merkel parteiübergreifend und durch alle selbsternannten Qualitätsmedien landauf, landab darüber gejubelt wird, zeugt leider von größtmöglicher ökonomischer Inkompetenz, sowohl in den politischen Parteien als auch in den Medien des Mainstreams. Auch das vererbt Merkel. Einen makroökonomischen Diskurs in Deutschland, der ideologisch eng, einseitig und undifferenziert geführt wird, wodurch der Republik und der EU großer Schaden zugefügt wurde und weiterhin zugefügt wird.

In dieser einseitigen, dogmatischen, gegen jede Vernunft, dafür aber umso verbissener mit der Macht des Stärkeren in der EU durchgesetzten Ideologie des Marktradikalismus findet man auch jenes zentrale Moment, das die EU letztlich auseinandertreibt. Es sind ursächlich eben nicht die rechten Populisten, es sind eben keine ausländischen Mächte, es ist die reine ökonomische Ideologie, die im Kern falsch ist, aber ihre Absolutheit behauptet. Die gesamte politische Elite unter Merkel hat einfache Mechanismen der Ökonomie nicht verstanden. Im Gegenteil, sie glaubt nach eigener Aussage, als Europa-Kanzerlin in die Geschichte einzugehen. Allein der Gedanke ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Er bezeugt, dass Merkel in einer völlig eigenen Welt lebt, die mit der Realität nichts zu tun hat. Das System Merkel wird als dasjenige in die Geschichte eingehen, das die EU und die Euroländer zunächst strangulierte und mit dem Austeritätsdiktat der Union dann den ökonomischen Todesstoß versetzt hat.

Dabei wäre es ganz einfach zu verstehen: Schulden stehen immer Forderungen gegenüber. Das heißt es werden nie Schulden allein vererbt, sondern mit ihnen auch Forderungen. Unter makroökonomischen Gesichtspunkten wird also immer genau Nullkommanix vererbt. Das könnte allerdings entweder mit einer intakten Infrastruktur und mit einem intakten Bildungssystem passieren oder eben ohne. Merkel hat sich für Letzteres entschieden.

Ihre Regentschaft wurde mit ihrer makroökonomischen Unkenntnis so zu einer großen Bürde für nachfolgende Generationen, denn Deutschland und Europa fallen durch ihr Austeritätsdiktat zurück. Eine Zukunft hat Europa mit dieser Politik nicht, was inzwischen deutlich zu sehen ist. Die EU zerfällt. Der deutsche Mainstream ist mit seiner einseitigen marktradikalen Ausrichtung nicht in der Lage, das überhaupt angemessen zu diskutieren.

Auch das zeichnet die Ära Merkel aus.

Das, was sich selbst das Etikett “Qualitätsjournalismus” aufgeklebt hat, ist im Kern zur PR-Abteilung der Bundesregierung verkommen. Auch das ist wie vor hundert Jahren. Journalismus als biedermeierliche Hofberichterstattung, die den Deutschen ein Gefühl der Überlegenheit suggeriert, das allerdings immer weniger mit den Fakten korrespondiert. Der heutige Journalismus in Deutschland hat ein massives, strukturelles Problem. Er ist nicht in der Lage, seine gern proklamierte, für das Funktionieren einer Demokratie elementare Aufgabe zu erfüllen. Er ist nicht mehr in der Lage, Pluralität und eine Vielfalt der Meinungen abzubilden. Er ist in ein transatlantisches und wirtschaftsideologisches Korsett geschnürt. Er dient damit im Hinblick auf die großen Themen nicht mehr der Meinungsbildung, sondern der nicht mehr hinterfragten Vermittlung dieses ideologischen Programms.

Merkel ist das darüber hinaus das Kunststück gelungen, sich insbesondere in der Flüchtlingskrise - trotz ihrer reaktionären, durchweg neoliberalen Wirtschaftspolitik, welche soziale Errungenschaften schleift und die Gesellschaft unter Druck setzt - ein vermeintlich linkes, humanes Image zu verschaffen. So entstand trotz rechter Wirtschaftspolitik ein politischer Freiraum rechts von der CDU, der von der AfD dankbar eingenommen werden konnte. Das Paradox ist, dass die Parteienlandschaft dadurch lediglich um eine weitere neoliberale Partei erweitert wurde, der Mainstream das aber nicht wahrhaben will und anerkennen kann. Die AfD hat ein Wirtschaftsprogramm, das sich im Kern nicht von dem der CDU, der SPD, der FDP und den Grünen unterscheidet. Dadurch bleibt sowohl beim Stimmenfang als auch in der Auseinandersetzung nur die eigentlich völlig sekundäre Migrationsdebatte. Durch diese Verfehlung des Themas aber wird Gesellschaft weiter gespalten, weil das zugrundeliegende Thema der sozio-ökonomischen Ungleichheit nicht aufgegriffen werden kann oder gar nicht benannt werden soll.

Natürlich kann man in einer Situation der Not eine große Zahl von Menschen aufnehmen, man muss dafür allerdings die ökonomischen Voraussetzungen schaffen, mit denen man den Prozess gestaltet. Das kostet Geld. Dieses Geld wurde schlicht nicht zur Verfügung gestellt. Keine Sozialarbeiter vor Ort, die den Prozess der Integration moderieren, keine Gelder für die Quartiere, um Menschen zusammenzubringen, damit "wir" Integration tatsächlich schaffen. Stattdessen mediale Beschimpfung durch den Mainstream wenn Bürger vor Ort äußern, sie fühlten sich verunsichert und allein gelassen. Dabei sind es genau diese Bürger, die Integration letztlich bewerkstelligen müssen, nicht die in gut geheizten Redaktionsstuben sitzenden Qualitätsjournalisten.

So bestand das Arbeitsmarktprogramm der Bundesregierung für Flüchtlinge in der Schaffung von Ein-Euro-Jobs. Dass dieses Programm gescheitert ist, verwundert niemanden außer diejenigen Politiker der Großen Koalition, die es sich ausgedacht hatten. Die Integrationskurse sind nach wie vor finanziell katastrophal ausgestattet. Zu Beginn der Flüchtlingskrise suchte die Stadt Berlin unter dem Motto “Hundert erste Worte Deutsch” ehrenamtliche Sprachmittler. Integration darf hochgradig unprofessionell sein, vor allem kosten darf sie nichts. Mit einer "Schwarzen Null" als ideologische Leitplanke schaffen wir es eben nicht, auch das nicht. 

Unter Merkel wurde aus dem Hilfeinstrument Asyl ein geopolitisches Steuerungsinstrument gemacht, das deutsche und "westliche" machtpolitische Interessen in der Welt durchzusetzen soll. Es ging und geht Angela Merkel nicht nicht um Schutz, nicht um Humanität, es geht Merkel mit dieser Art Asylpolitik um die Umsetzung geopolitischer Interessen, wozu auch Geflüchtete benutzt werden. So ist die Asymmetrie zu erklären, welchem Flüchtling wir Schutz gewähren wollen und welchem nicht. Das hat absolut nichts mit dessen tatsächlicher Situation zu tun, sondern mit dessen Herkunft und wie dieser Ort der Herkunft sich in der deutsche Außenpolitik "bewertet" wird. Afghanistan nein, Syrien ja. Russland ja, USA nein. Dieser Aspekt der Instrumentalisierung wurde bisher kaum diskutiert, obwohl er offen zutage liegt. Im Gegenteil ist die sich als links verstehende Welcome-Refugees-Bewegung in die Falle getappt und macht sich zum Instrument der Umsetzung eines durchweg neoliberalen, reaktionären Programms.

Auch auf den sonstigen Feldern sieht die Bilanz Merkels dürftig aus. Unter der hochgelobten Klimaschutz-Kanzlerin verfehlt Deutschland die Klimaziele. Der Internetausbau (unser "Neuland") ist hoffentlich noch dem einiger Entwicklungsländer würdig, die Korruption grassiert, wovon Diesel-Skandal und die großen Bauvorhaben dieser Republik Zeugnis ablegen, große Konzerne sind durch völlig legale, von der Politik ganz absichtlich installierte Steuerschlupflöcher praktisch steuerfrei gestellt. Diese Auflistung ließe sich leider noch fortsetzen.

Ein Aspekt der Ära Merkel soll jedoch noch besonders gewürdigt werden, denn er ist für die Bürger Europas von besonderem Belang. Wie unter keiner vorherigen Regierung hat unter Merkel das Verhältnis zu Russland Schaden genommen. Merkel ist treibender Motor im Hinblick auf die Verhängung und Aufrechterhaltung von Sanktionen sowie die Sabotage etablierter Formate der Verständigung.

Sie trägt den Einstieg Deutschlands in eine vom Westen provozierte Phase neuerlicher Aufrüstung mit. Die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA als gegenwärtiger Gipfel der Konfrontation ist für Europa enorm gefährlich, denn sie macht gerade Europa "in mittlerer Reichweite" im Ernstfall zu einem nuklearen Schlachtfeld. Lapidar heißt es von dort in einer Pressemitteilung: "Die Bundesregierung bedauert den angekündigten Rückzug". Die Bundesregierung fasste den Mut zu einem besonders starken Signal an den transatlantischen Partner und wählte das Wort "bedauern", möchte man zynisch kommentieren. Den Versuch Russlands, diesen Ausstieg der USA vor der UN-Generalversammlung zu diskutieren, dagegen lehnte auch Deutschland (unter anderen Willigen) souverän ab.

In nicht mehr ferner Zeit wird allein Deutschlands Rüstungsetat größer sein als derjenige der Russischen Föderation - eine völlig absurde Situation angesichts der geographischen Lage und Größe Deutschlands und des ohnehin schon exorbitanten Etats der NATO als Ganzes.

In der Ukrainekrise hat sich Deutschland von den USA vorführen lassen müssen. Ganz unabhängig von der medial gepflegten Erzählung über die Ukraine, ist es in keinesfalls in deutschem oder im europäischen Interesse, vor der Haustür der EU einen gescheiterten Staat zu alimentieren. Genau solch ein gescheiterter Staat ist aber durch Betreiben des Westens aus der Ukraine geworden. Das mag US-amerikanischen Machtinteressen dienen, wie ja auch die Zerstörungen Libyens und des Irak den Einfluss der USA in jener Region stabil halten. Deutschen und europäischen Interessen dient das jedoch absolut nicht, im Gegenteil. Die deutsche Regierung, der vom Mainstream gern bescheinigt wird, außenpolitisch wieder immer wichtiger zu werden, musste sich vorführen lassen. Der Vasallenstatus der Republik wurde deutlich, denn es wurde deutlich, wer hier der Hegemon ist.

Dabei ist inzwischen völlig offenkundig und unstrittig, dass weltpolitisch die US-Hegemonie gebrochen ist. Es wäre dringend notwendig, den Umbau hin zu einer multipolaren Welt auch im Interesse Deutschlands und Europas aktiv mitzugestalten. Stattdessen hinterlässt uns Merkel ein in Ost und West gespaltenes Europa, eine zerfallende EU und eine tief gespaltene deutsche Gesellschaft. Eine schockierende Bilanz.

Innenpolitisch: Spaltung der Gesellschaft weiter fortgeschritten. Deutsche Korruption, Flüchtingskrise ohne entsprechende Konjukturprogramme, die solches ermöglichen, Klimaziele weit verfehlt, Internetausbau katastrophal, stattdessen zunehmende Zensur und medial flankierte Einengung der Meinungen

Europapolitik: Austerität zerstört die EU. Offensichtlich keine Einsicht in die selbst verschuldeten Fehler, ein offenkundig ideologisch geprägter Beraterstab, keine Vielfalt.

Außenpolitisch: Verhältnis zu Russland liegt am Boden, Ukraine auf katastrophalem Kurs zum gescheiterten Staat.

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