Meinung

Lesermeinung: Gedanken des Balkonisten ‒ Postkarnevalistische Katerstimmung

"Früher war mehr Lametta!", ist zwar ein Ausspruch aus einem legendären Weihnachtssketch von Loriot, doch mittlerweile kann man ihn auch problemlos auf den Karneval anwenden. Das hat auch unser Balkonist erkannt und sinniert in gewohnter Manier über die fünfte Jahreszeit.
Lesermeinung: Gedanken des Balkonisten ‒ Postkarnevalistische KaterstimmungQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Hans-Juergen Bauer

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Neues vom Balkonisten – Postkarnevalistische Katerstimmung (15.02.2024)

Wie jedes Jahr in den Tagen nach Fastnacht, entspann sich ein Dialog am Frühstückstisch über die soeben beendete fünfte Jahreszeit. Während seine Frau in jüngeren Jahren sehr aktive Karnevalistin gewesen war, hatte der Balkonist auch schon vor seinem freiwilligen Exil gewisse Zweifel an der Seriosität "dieser Veranstaltung" gehegt. Oftmals, um nicht zu Kappensitzungen mitgehen zu müssen, pflegte er früher tagelange Migräneattacken.

Nunmehr im späteren Lebensabschnitt betrachtete er diese Saison lediglich abstrakt aus der Ferne, schaute sich "nur des lieben häuslichen Friedens willen" zusammen mit seiner Frau das karnevalistische Fernsehprogramm an, wobei er immer noch das halblaute Mitsingen seiner "besten Gertrude aller Zeiten" (wie er seine Frau zu nennen pflegt) ertragen musste. Man mache halt eine gute Mine zum bösen Spiel, sagte er sich unter den skeptischen Blicken des schwarzen Katers Murr III., der seine hintergründige Abneigung gegen das Närrische zu spüren schien.

Immer ab Aschermittwoch erwacht er aus diesem Halbtaumel, die Gedanken wieder klar und objektiv, dazu leicht misanthropisch gestimmt, wird die vergangene Karnevalssession morgens wie auf dem Seziertisch analysiert ‒ dies bei Kaffeegeruch und gutem Kuchen nach Hausfrauenart. Selbstverständlich darf er dabei seine Frau nicht allzu sehr foppen, denn sonst könnte sie sich womöglich, wie seinerzeit vor vielen Jahren, durch Präsentation eines ungenießbaren Pfeffer-und-Seifen-Kuchens revanchieren.

Doch dieses Jahr musste selbst Gertrude eingestehen, dass die Fernsehfastnacht es an echtem Humor und einem, dem bitteren Tagesgeschäft Paroli bietenden, Politsarkasmus hatte fehlen lassen. Besonders die Übertragung der Fastnachtssitzung aus Mainz überbot sich selbst in trocken- schnöden Reden und überschlagender politischer Korrektheit, obwohl man aus den letzten Jahren bereits so einige negative Highlights gewohnt war. Fast hätte gar Gertrude selbst den Fernseher ausgeschaltet mit den Worten "Spart euch eure Volksbevormundung!".

Ähnlich harm- und farblos kam denn auch der Mainzer Rosenmontagszug daher. Gemäß dem Motto "Bitte nur niemandem auf die Füße treten" war dann telegene Langeweile vorprogrammiert. Dem Balkonisten schoss hierbei allerdings der gehässige und sofort verlautbarte Gedanke durch den Kopf, dass "dies das neue Normal in der TätäRäTätä 20.24" sei, womit er eine Faschingszeit zu Zeiten einer wiederauferstandenen DDR bezeichnen wollte.

Während Kater Murr III. anerkennend schnurrte, warf seine Frau ihm einen abschätzigen Blick zu: "Das hoffe ich nun wirklich nicht. Du und dein ständiger Kulturpessimismus!". Ein Höhepunkt im negativen Sinne war aber der sonntägliche Umzug in ihrer Kleinstadt, der jetzt erstmals seit Menschengedenken in verkürzter Form durchgeführt werden sollte und daher nicht mehr an ihrer Straße vorbeiführte.

"Aus Sicherheitsgründen ... und um nicht die Befindlichkeiten der Anwohner zu stören" ‒ mit Anwohnern waren womöglich die mittlerweile den Großteil ihres Stadtbezirkes ausmachenden kinderreichen Familien gemeint, welche noch nicht ganz so lange hier lebten und von denen daher noch nicht verlangt werden könne, den deutschen Fastnachtshumor zu verstehen.

Zusätzlich hatte sich der lokale Karnevalsverein eine freiwillige Selbstzensur dahingehend auferlegt, dass keine Kostüme zu Themen wie Indianern, Negerkönigen oder Persiflierung verschleiernder Kopftücher geduldet werden sollten. Man dürfe ja feiern, aber nur im Rahmen des Unanstößigen und moralisch Einwandfreien.

Während der Balkonist traditionell diesen kleinstädtischen Umzugssonntag auf dem Balkon Zeitung lesend verbrachte, musste sich seine Frau nun zunächst fußläufig Richtung Innenstadt bequemen, um, nurmehr moderat maskiert, zusammen mit zwei ehemaligen Schulfreundinnen diesem recht handzahmen Spektakel beizuwohnen. Dieses war offenbar so erbaulich, dass alle drei misslaunig und unerwartet rasch zurückkehrten.

Zum Glück ließ sich dieses Stimmungstief mit ein paar Gläschen Sekt binnen zweier Stunden beheben, sodass nun, zum Leidwesen unseres Balkonisten, die angeheiterten Narrelesen "Hausfastnacht" feierten. Doch zurück zu obigem Frühstücksgespräch. Kater Murr III. gemahnte nun aufbegehrend, doch etwas Positiveres aus der närrischen Zeit zu erörtern (zu diesem Zwecke strich er, hartnäckig laut miauend, nervös zwischen ihren Beinen umher).

So kam das Frühstücksgespräch auf die glücklicherweise noch etwas größere Freizügigkeit des rheinischen Karnevals. Hier wurden selbst in den Live-Fernsehübertragungen wenigstens einige herrliche karikierende Figuren auf den Umzugswagen präsentiert. Angefangen mit einem baer-gebockten Elefanten, der ungeschickt einiges Porzellan zertrampelt hatte, hin zu einem sehr durchsichtigen Kopf von "Scholzes Bub", der mitten durch den Kopf den Blick frei passieren ließ.

Allerdings kritisierte unser Balkonist, immer noch trockener Misanthrop, dass die letztjährige Darstellung einer scholzomatischen Marionettka an den Fäden eines hager-hühnenhaften weißhaarigen Puppenspielers mit einem großen "Stars-and-Stripes"-Zylinderhut der Realität spürbar näher gekommen wäre. Ein Mensch "ohne Füllung zwischen den Ohren" könne sich beim besten Willen nicht derart hartnäckig am neurotischen "Short-man-Syndrom" abarbeiten, wie eben jener Haupt-Bundesverantwortungsträger.

Gertrude warf ungewohnt gehässig, so wie sie manchmal wenig tiefgreifend über Politik räsoniert, ein, dass dieser eben doch eher Haupt-Bedenkenträger und Bremsklotz sei.

Beim beiläufigen Lesen der Tageszeitung musste der Balkonist abrupt husten und prusten, schien sich entweder an einem Satz des Redakteurs oder an seinem kalt gewordenen Kaffee verschluckt zu haben; und selbst der ansonsten meist phlegmatische schwarze Kater blickte erstaunt wie erschrocken zu ihm auf.

Nach Naseschnäuzen und Räuspern schien er sich wieder gefangen zu haben, nur um zu sagen: "Du glaubst es nicht, du glaubst es nicht, was hier steht! Morgen, am Freitagnachmittag, soll nun ein Umzug durch unsere Straße hier gehen (!), der Gesamtweg dürfte sogar länger sein als der des vergangenen Fastnachtsumzugs. Es wird aufgerufen zu einem Umzug oder einer Demonstration gegen Räääschds; alle werden eingeladen, jetzt und hier 'Haltung zu zeigen'."

Auch werden die regenbogenbunten Aktivisten eines Vereins für Gendergerechtigkeit bei der abschließenden Kundgebung auf dem Marktplatz die Versorgung mit "Speis und Trank für kleines Geld" übernehmen, freilich unterstützt von vielen Parteien und Gewerkschaften ‒ außer einer gewissen."

Hinzu kommt ein Foto der Vorbereitung dieses "Aufmarsches der Standhaften", so ein Untertitel in der Zeitung, das einige Plakatträger mitsamt ihren Slogans zeigt, wie "Solidarisch marschieren für die eine Demokratie", "Rechts neben der Mitte ist bereits reaktionär ‒ Laufen wir im Linksschritt" (unverkennbar eine Werbeparole einer Partei), "Kein Bier für Nazis" und "Freiheit im Rahmen einer guten Gesinnung".

Der Balkonist fasste abschließend den noch folgenden längeren Absatz zusammen: Wie man erkennen könne, würden hier wertneutral und moralisch gefestigt lediglich Parolen zur "Ausgrenzung von Nicht-Demokraten" und "Mikroaggressionen nur gegen Falschdenkende" dargestellt; also alles politisch korrekt und im Sinne der besten Sache und dies im bekanntlich besten Deutschland aller Zeiten.

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