Meinung

Nicht unser Krieg – Menschen in der Ukraine kommen langsam zur Besinnung

Wie in Hitlerdeutschland gegen Kriegsende, so wächst auch in der Ukraine die Erkenntnis, dass der Konflikt gegen Russland, vom Kiewer Regime in westlichem Interesse mit dem Blut der Menschen ausgetragen, ihnen die Zukunft nimmt. Dafür sorgt das Regime sogar eigenhändig.
Nicht unser Krieg – Menschen in der Ukraine kommen langsam zur Besinnung

Von Sergei Mirkin

Seltsamer Sinn für Humor – ja, dafür ist Geschichte bekannt. So hasst man in der Maidan-Ukraine die Sowjet-Epoche – und doch ist ein Phänomen der Sowjetzeit, die Nichtrückkehrer in die UdSSR, nun auch eines der postsowjetischen Ukraine. Zur Erinnerung: Nichtrückkehrer sind Menschen, die das Vertrauen der Regierung und der Behörden genießen und deswegen, im Unterschied zu anderen, überhaupt ins Ausland reisen dürfen – und dieses Vertrauen brechen, indem sie im Ausland bleiben.

Denn aus der Ukraine fliehen Massen von professionellen Sportlern und freiwilligen Helfern.

Ein Unterschied zur Sowjetzeit offenbart sich aber auch: Um etwa unter der Legende eines freiwilligen Helfers, der im Westen zum Beispiel Medikamente oder Sonstiges für Zivilisten in Kampfgebieten oder das ukrainische Militär einkaufen fährt, ausreisen zu dürfen – ja, da zahlen Männer in der Ukraine durchaus beträchtliche Summen. Das ist nicht mehr als Schleuserwesen zu bezeichnen, sondern als Schleuserindustrie. Doch auch bei echten freiwilligen Helfern müsse man Acht geben, so Alexander Prokudin, der ukrainische Gauleiter des Gebiets Cherson: Er habe ihnen Ausreiseerlaubnisse erteilt, freiwilligen Helfern eben, die zuvor humanitäre Hilfe ins Gebiet Cherson ausgeliefert hatten. Zehn Männer kehrten nicht ins Land zurück. Nun ist der Herr Gauleiter entrüstet und fordert ein Strafverfahren gegen sie – für gesetzeswidrigen Übertritt der Staatsgrenze.

Bemerkenswert ist auch die Geschichte von Alexei Petschi – dem ukrainischen Erzpropagandisten schlechthin, gleich nach dem Namensvetter Arestowitsch. Wie die oben erwähnten freiwilligen Helfer, verließ auch er die Ukraine und beschloss, nicht mehr zurückzukehren. Interessanterweise ließ er im Informationsraum noch hanebücheneren Schwachsinn ab als Arestowitsch: Er stellte als angebliche Tatsachen hin, dass das ukrainische Militär Kämpfe um die Halbinsel Krim begonnen hätte, dass eine angebliche Entlassung des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu bevorstünde oder auch dass eine Lieferung israelischer Kampfpanzer an Kiew durchgeführt würde. Und jetzt wird er von seinen Zunftkollegen in der Ukraine nur noch verflucht: Diese verstehen, dass Männer mit Presseausweis seinetwegen künftig nicht mehr außer Landes gelassen werden. Überhaupt dürfte Selenskijs Präsidialbüro der Propagandazunft nach Petschis und Arestowitschs Eskapaden weitaus weniger Vertrauen entgegenbringen.

Kurioserweise drohte es Petschi ja nicht einmal, an die Front verfrachtet zu werden – einen Propagandisten seines Maßstabs würde man nicht behelligen wollen. Das heißt, er hat schlicht beschlossen, seine Haut zu retten: Er versteht anscheinend, dass das Regime, dem er dient, dem Untergang geweiht ist – und ebenso, dass er sich für den Informationsmüll, den er die ganze Zeit tagein, tagaus abließ, verantworten müssen wird. Vor wem? Na, vor den Menschen des Landes, die sich mit nur allzu großer Freude an sprechenden Köpfen wie ihm abreagieren wollen werden – sobald das Maidan-Regime zusammenkracht.

Denn ukrainische Propagandisten, die ihren Mitbürgern lauter Bären über einen baldigen Sieg über Russland und einen anschließenden EU-Beitritt der Ukraine ‒ mit sich sofort darauf einstellendem paradiesischen Leben ‒ aufbanden, werden nach dem Ende des Projekts "Maidan-Ukraine" zum allseitigen Hassobjekt werden.

Als eine Arbeitshypothese neben anderen sollte man allerdings auch im Hinterkopf behalten, dass Arestowitsch in die Opposition zu Selenskij und Team wechselte, weil er neue Gönner jenseits des Atlantiks fand. Nicht ausgeschlossen daher, dass Petschi bald ebenso zum erbitterten Kritiker des Selenskij-Regimes mutiert. Gut, noch versucht Pan Petschi, das Gesicht zu wahren, erklärt, in Europa an der Gestaltung und Umsetzung der ukrainischen Agenda arbeiten zu wollen. Allein: Wer in der Europäischen Union braucht seine Botschaften? Und sein unmittelbarer Chef Roman Andreiko, der Geschäftsleiter der Mediaholding Lux, erklärt Petschi bereits ohne Umschweife zum Deserteur von der Informationsfront.

Sprich, der Propagandist hat verstanden: Das ist nicht sein Krieg. Ebenso wenig wie es der Krieg von Millionen Männern und Frauen in der Ukraine ist. Geradezu als ein Paradebeispiel für Letzteres zeigt dieses Videomaterial, wie Frauen auf einem Markt in der Ukraine einen Mann aus den Händen von Menschenjägern im Dienst der ukrainischen Wehrämter freigeprügelt haben – und dabei schrien, diese sollen gefälligst selber in den Krieg ziehen und nicht den Frauen ihre Männer wegnehmen. Ähnliches gab es in Odessa: Im November blockierte die Ehefrau eines Bürgers, den die "Freiwilligenrekrutierer" geschnappt hatten, zusammen mit anderen Frauen dem Wagen, in dem dieser weggefahren werden sollte, die Ausfahrt. Bloß, dass dieser Mann nicht mehr gerettet werden konnte.

Dergleichen Meutereien im Kleinen gegen das System wird es noch viele geben – und eingangs werden gerade Frauen bei ihnen die Hauptrolle spielen. Denn noch können Frauen nicht zum Militärdienst eingezogen werden – noch nicht –, und einfach auf sie dreinzuprügeln würde sich dann doch ein wenig genierlich gestalten, zumal bei dutzenden Smartphones mit laufenden Kameras in ihren Händen. Obwohl es Fälle harten Umgangs mit Frauen bereits gegeben hat – zum Beispiel ebenfalls in Odessa, als Rekrutierer eine Bürgerin umherschubsten und ihr Telefon kaputtschlugen, als sie ihren Ehemann zu schützen versuchte.

Eine weitere Parallele zur Sowjetzeit sind sogenannte Weiberaufstände, wie Michail Scholochow sie in "Neuland unterm Pflug" beschrieb. Besser noch, diese Parallele kann man auch zum späten Nazi-Deutschland ziehen – im Jahre 1943 in Berlin ereignete sich Folgendes: Deutsche Frauen schafften es damals, ihre jüdischen Ehemänner zu befreien, die festgenommen wurden und in Konzentrationslager verschleppt werden sollten. Jene Proteste dauerten länger als eine Woche an – und die Berliner entwickelten Mitgefühl mit diesen Frauen. Selbst das Hitler-Regime war in diesem Fall zum Zurückrudern gezwungen. Weiberaufstände sollte man also keineswegs unterbewerten.

Alles – die immerzu wachsende Zahl der Nichtrückkehrer, die spontanen Proteste gegen das Mobilmachungsprogramm und dergleichen mehr – alles sagt uns, dass immer mehr Bürger der Ukraine begreifen: Dies ist nicht ihr Krieg. Und vor diesem Hintergrund ereignete sich nun das Folgende.

Selenskij erklärte bei einer Pressekonferenz, seine Familie befinde sich in der Ukraine. Allerdings glaubte ihm anscheinend kaum jemand – zumindest, wenn man nach dem ukrainischen Internet urteilt. Und dann erklärt Verteidigungsminister Rustem Umerow im Interview an die Bild, Kiew beabsichtige, ukrainische Staatsbürger im Ausland zum Kriegsdienst einzuziehen – woraufhin sich bald herausstellte, dass Verwandte des Ministers in den USA leben und die dortige Staatsbürgerschaft haben. Im ukrainischen Internet brach ein Skandal epischer Ausmaße los, und das ukrainische Verteidigungsministerium sah sich zum Kommentar gezwungen, dessen Leiter sei falsch verstanden worden.

Immer mehr Einwohner der Ukraine verstehen, dass sie den Konflikt mit Russland absolut nicht gebrauchen können.

Dass ukrainische Soldaten bloß für die Interessen Selenskijs, Jermaks oder auch Umerows im Krieg kämpfen und sterben – deren eigene Familien aber weit von der Ukraine leben und in Sicherheit sind. Für die Interessen liberaler Finanzgruppen, die nichts sehnlicher wünschen, als dass ihr Frontmann – der greise Joe Biden – zum zweiten Mal den Präsidentensessel besteige. Die Ukrainer verstehen, dass in ihrem Lande ein absolut drakonisches Mobilmachungsgesetz verabschiedet werden soll – und ein weiteres, das ukrainische Männer zur Rückkehr aus dem Ausland und zum Kriegsdienst zwingen soll.

Wenn sie aber das verstehen, dann kann Selenskijs Propaganda den Menschen nicht mehr die Köpfe vernebeln wie früher. Die Realität ist dabei, die Oberhand über die Mythen zu gewinnen.

Natürlich ist diese Tendenz für Selenskijs Regime eine üble Sache, und natürlich wird es als Reaktion darauf die Mobilmachung sowie die Repressionen auf immer härtere Tour durchziehen. Doch der objektive Prozess ist damit nicht aufzuhalten: Sobald die Mehrheit der ukrainischen Bürger sich selbst eingesteht, dass der Konflikt mit Russland ihren Interessen fremd ist und die Zukunft ihrer Kinder zerstört – ja, dann wird das Selenskij-Regime fallen und das Projekt "Maidan-Ukraine" wandert auf die Müllhalde der Geschichte.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad. 

Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk mit Spezialisierung auf geschichtlichen und politischen Themen.

Mehr zum Thema – Washington Post: Ukrainer wollen nicht für "korrupte Regierung" kämpfen

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