Meinung

Baerbock wechselt den Beruf

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die sich schon um volkstümliche Sagengestalten ("Kobolde") und die Präzisierung eines Richtungswechsels ("360-Grad-Wende") verdient machte, verdingt sich nun als Architektin einer neuen EU.
Baerbock wechselt den BerufQuelle: www.globallookpress.com © Bernd von Jutrczenka

Von Michael Rostowsky

Eine Nachricht aus der Kategorie "Erstaunliches in der Nähe": Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin, hat sich für eine Umschulung zur Architektin entschieden. Freuen Sie sich aber nicht zu früh für die deutsche Diplomatie, die unter dem Joch der seit Jahrzehnten unfähigsten Außenministerin leidet (eine solche Einschätzung der beruflichen Qualitäten Baerbocks haben die Deutschen in Gesprächen mit mir selbst abgegeben). Denn Frau Ministerin beschloss, Architektin zu werden, ohne ihren Regierungsposten aufzugeben.

Die deutsche Außenministerin sagte über die Notwendigkeit einer umfangreichen Erweiterung der Europäischen Union: "Die Erweiterung der Europäischen Union ist eine geopolitische Notwendigkeit. Doch zugleich ist sie auch eine geopolitische Chance für die EU ... Die Rede wird nicht davon handeln, wie die Fassade zu verschönern, sondern wie die Gebäudestruktur zu stärken ist." Ich verstehe die Logik Baerbocks. Doch möchte ich sie etwas beunruhigen: Eine starke "Gebäudestruktur" ist nicht immer eine Garantie dafür, dass das Gebäude ein langes und glückliches Leben haben wird. Und damit das nicht unbegründet bleibt, bin ich bereit, ein konkretes Beispiel zu nennen.

Im Jahre 1971 wurde in London ein riesiger Komplex von Regierungsgebäuden namens Marsham Towers in Auftrag gegeben. Doch kaum jemand nannte ihn so. Das Bauwerk wurde sofort als "die drei hässlichen Schwestern" abgestempelt. Dabei waren diese "Schwestern" in Wirklichkeit nicht nur hässlich, sondern sehr hässlich. Stellen Sie sich drei 66 Meter hohe Türme aus Glas und Beton vor, die durch einen gemeinsamen Sockel verbunden sind.

Nach dem Entwurf der Architekten sollte in jedem der Türme ein anderes Ministerium untergebracht werden: das Ministerium für Wohnungsbau und Kommunalverwaltung, das Ministerium für Verkehr und das Ministerium für öffentliche Gebäude und Arbeiten. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung waren alle diese Behörden unter dem "Dach" des riesigen Umweltministeriums vereint. Und darin lag eine schlichte Wahrheit (englisch: homespun truth): Jenes Setting um das Umweltministerium herum war für Menschen, die einen Sinn für Schönheit hatten, zutiefst deprimierend.

Der renommierte britische Kunst- und Architekturhistoriker Sir Nikolaus Pevsner, Autor des grundlegenden Werks "The Buildings of England" (zum Verständnis: dieses Werk besteht aus 46 Bänden), bezeichnete die Marsham Towers als "die Verkörperung der gesichtslosen Bürokratie". Mit dieser Bewertung waren selbst die Bürokraten einverstanden. Im Jahre 1992 schlug der damalige britische Umweltminister Michael Heseltine vor, den Hauptsitz seines Ministeriums bis auf die Grundmauern abzureißen. Keiner nannte ihn einen Spinner. Heute sind die Marsham Towers nur noch auf alten Fotos zu sehen. An der Stelle der "drei hässlichen Schwestern" steht nun ein Gebäude mit zwar moderner, aber durchaus präsentabler Fassade.

Ist mein Abstecher in die Londoner Architekturgeschichte etwas zu lang? Zugegeben, ich habe mich hinreißen lassen. Doch wie sonst kann Baerbock eingeschärft werden, dass die Worte "größer" und "besser" nicht immer Synonyme sind? Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als die Formulierung "wie in Europa" eindeutig mit einem Qualitätsmerkmal gleichgesetzt werden konnte. Die Europäische Union war ein Symbol für einen hohen Lebensstandard, ein Modell für eine gut funktionierende Wirtschaft.

Diese Zeiten sind aber vorbei. Und heute gibt es Länder wie zum Beispiel Bulgarien in der EU. Wobei die Beurteilung der EU-Mitgliedschaft in diesen Ländern alles andere als eindeutig ausfällt. Denn sie brachte unter anderem ein Phänomen wie die Deindustrialisierung mit sich. So war beispielsweise die Autoindustrie in Bulgarien einst sehr stark entwickelt. Personenkraftwagen, Busse, Lastkraftwagen, Hebebühnen – all das wurde vor Ort produziert, doch jetzt ist das nicht mehr der Fall.

Diejenigen Wirtschaftszweige, die früher den Stolz der bulgarischen Industrie dargestellt hatten, wurden von der EU vernichtet.

Die EU an sich ist heute quasi "in eins gerollt". Es gibt ein "altes Europa", das trotz aller Probleme immer noch von vielen mit dem Gütesiegel verbunden wird. Und es gibt das "neue Europa" – ärmer, in vielen Fällen aber auch schriller und aggressiver. Wenn sie von der Erweiterung der EU spricht, meint Baerbock nicht zuletzt die Ukraine. Wir dürfen konstatieren: Die Bedeutung des Begriffs "brandneues Europa" wird ziemlich eindeutig und alles andere als schmeichelhaft sein.

Auf dem Waldai-Forum vor einem Monat antwortete Wladimir Putin auf meine Frage nach der Haltung Russlands zu einem möglichen EU-Beitritt der Ukraine: "Ist die EU bereit, eine solche Wirtschaft als Mitglied aufzunehmen? Die Flagge in die Hand, und los geht's! Um aber die Lebensfähigkeit der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, die seit Beginn der postsowjetischen Periode bereits von 41 Millionen auf 19,5 Millionen geschrumpft ist, vielleicht sogar noch weniger ... Zu ernähren sind aber immer noch 19 Millionen – das ist keine leichte Aufgabe. Sind die europäischen Staaten bereit, eine solche Wirtschaft aufzunehmen? Sollen sie es doch tun. Wir waren nie dagegen – nicht vor der Eskalation dieser Krise und auch jetzt nicht".

Also, Russland ist nicht dagegen. Die andere Sache ist, dass es ziemlich schwierig sein wird, eine solche Etappe der EU-Erweiterung mit einer "edlen Fassade" zu versehen. Auch mit den "tragenden Gebäudestrukturen" wird es alles andere als vorzüglich aussehen. Das ist aber ein Merkmal von allem, was Baerbock anfasst. In der Rolle einer Architektin wirkt sie ebenso wenig überzeugend wie in der Rolle einer Ministerin.

Übersetzt aus dem Russischen.

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