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Wo sind wir, was erwartet uns in Europa und in Deutschland? Ein Interview mit Wolfgang Bittner

Die USA gehen über Leichen, um ihren Weltmachtstatus zu behaupten. Das erklärt der Schriftsteller Wolfgang Bittner im Interview. Die Entwicklung in Europa sei beängstigend und existenzgefährdend. Das gesellschaftliche Leben hier ersticke unter einer "verbrecherischen Politik".
Wo sind wir, was erwartet uns in Europa und in Deutschland? Ein Interview mit Wolfgang BittnerQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Emmanuele Contini

Dieses Interview mit dem deutschen Schriftsteller Wolfgang Bittner erschien zuerst am 10. Mai 2022 in dem türkischen Internet-Informationsforum Yeni Posta

Herr Bittner, ein Krieg und immer chaotischere Zustände stehen nicht mehr vor der Tür, sondern sind bereits mitten in Europa. Wohin gehen Ihrer Meinung nach das chaotisierte und entdemokratisierte Europa und an erster Stelle Deutschland? Wo sind wir, was erwartet uns in Europa und in Deutschland?

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es um Leben und Tod geht. In der Ukraine herrscht ein von den USA seit Jahren systematisch herbeigeführter Stellvertreterkrieg mit Russland, in dem das Land zerrieben wird. Sollte die NATO in diesen Krieg hineingezogen werden, wird nicht nur Europa ein atomar verseuchtes Trümmerfeld. Aber auch bei einer lokalen Begrenzung des Konflikts werden die Folgen enorm sein. Der Krieg kostet Unsummen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Sanktionen, die sowohl die Russische Föderation als auch Westeuropa treffen, insbesondere Deutschland als Exportland.

Es fehlt schon jetzt sowohl an Nahrungsmitteln als auch an Rohstoffen für die Industrie. Die armen Menschen werden noch ärmer werden, und auch der Mittelstand ist stark betroffen. Die Inflation wird steigen, die Regierungen werden die Digitalisierung, die Überwachung und Registrierung der Bevölkerung vorantreiben, es wird immer stärkere Eingriffe in die Persönlichkeits- und Bürgerrechte der Menschen geben. Was geschieht und sich weiter anbahnt, ist unverantwortlich.

Der Krieg tobt eigentlich seit Jahren auf unserer Bühne, die wir Europa nennen. Wer will diesen "plötzlich" auftauchenden Krieg? Sie schreiben wirklich seit Langem, dass die amerikanische Regierung und amerikanische Oligarchen an einem solchen Konflikt besonderes Interesse haben. Warum? Was ist ihr Ziel? Wo führt es hin?

Bereits 1999 fand in Europa ein Krieg statt, der die Zergliederung Jugoslawiens zur Folge hatte: eine typische Vorgehensweise der USA, die unter dem Motto "Teile und herrsche" nach Kriegen zerstückelte Länder zurücklassen. 2008 gab es dann in Georgien einen ebenfalls von den USA initiierten Krieg. Und dass es in der Ukraine zu diesem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland kommen würde, war seit dem Regime Change von 2014 vorherzusehen. Seinerzeit kamen nationalistische und zum Teil auch faschistische Kräfte an die Macht, die den russischsprachigen Bürgern ihre Sprache verbieten wollten und die Menschen auf der Krim und in der Ostukraine unterdrückten. Deswegen trennte sich die Krim nach einer Volksabstimmung von der Kiewer Ukraine, und die Menschen in Donezk und Lugansk verlangten nach mehr Autonomie innerhalb der Ukraine. Anstatt dem entgegenzukommen, schickte der damalige Machthaber Petro Poroschenko, eine Marionette der USA, Panzer in die Ostukraine. Damit wurde – im Einvernehmen mit den USA – ein Brandherd vor der Tür Russlands gelegt. Die Ukraine wurde mit modernsten Waffen aufgerüstet, und als Russland vergeblich Sicherheitsgarantien forderte, eskalierte der Krieg. Das war gewollt. Joseph Biden sagte schon 2014, man wolle Russland ruinieren, wenn es sich nicht den westlichen Kapitalinteressen öffne. Er kann sich jetzt die Hände reiben, denn sein Ziel und das seiner Hintermänner ist, Russland zu unterwerfen und sich die reichen Ressourcen dieses größten Landes der Welt anzueignen. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass mehr Menschen aufwachen und begreifen, was sich wirklich abspielt.

Ist Deutschland als eine "geoökonomische Macht" (Hans Kundnani) nicht in der Lage, gegen eine solche Kriegsfalle Widerstand zu leisten? Es ist klar, dass die Fallensteller aus der transatlantischen Welt stammen. Sind sie aber so stark, dass Berlin sich im Endeffekt beugen musste? (Olaf Scholz hat zwar zu Panzerlieferungen im Endeffekt Ja gesagt, aber ...)

Durch geschickte Intrigen und Maßnahmen der USA, ihrer Geheimdienste und ihrer Netzwerke wurde die Europäische Union, insbesondere aber Deutschland, in den Ukraine-Krieg einbezogen. Inzwischen wundern sich gar nicht so wenige Menschen über diese wahnsinnigen Aggressionen gegen Russland und fragen sich, warum die deutsche Regierung daran maßgeblich teilnimmt. Dazu muss man wissen, dass Deutschland seit 1945 und bis heute nicht nur ein Einflussgebiet, sondern ein besetztes Land ist – ein Land, das unter Vormundschaft der ehemaligen Alliierten, insbesondere der USA steht.

Nach der Teilung des bis 1945 bestehenden Deutschen Reiches und der Annexion der Ostgebiete durch Polen wurde und wird ein Friedensvertrag verweigert. Seit 1918 und 1945 hat Deutschland etwa ein Drittel seines Staatsgebietes verloren, Reparationen für den Ersten Weltkrieg mussten aufgrund des Versailler Vertrages noch bis 2010 gezahlt werden. Wir leben also im Status eines Waffenstillstands mit den USA, Großbritannien und Frankreich, aber auch mit Russland, das 1990 eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten ermöglicht hat und einen Friedensvertrag befürwortet hatte (seinerzeit noch die Sowjetunion). Offensichtlich ist das vielen der Politikerinnen und Politiker, die eifrig gegen Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin in beispielloser Weise hetzen, nicht bekannt.

Ebenso unbekannt ist wohl auch, dass Deutschland nach den Artikeln 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen de jure immer noch ein Feindstaat im Verhältnis zu den Gegnern im Zweiten Weltkrieg ist. Angeblich hat das keine Bewandtnis mehr, aber wenn dem so wäre, hätte dieser Passus schon lange gestrichen werden können. Die sogenannte Feindstaatenklausel besagt, dass Zwangsmaßnahmen ohne besondere Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat verhängt werden könnten, falls Deutschland erneut eine aggressive Politik verfolgen würde, was gegebenenfalls militärische Interventionen einschließt. Zwar wurde Deutschland durch den Vereinigungsvertrag von 1990 (Zwei-plus-Vier-Vertrag) "volle Souveränität" zugesprochen, aber diese Vereinbarung wurde durch Zusatzverträge, zum Beispiel über Truppenstationierungen und militärische Zusammenarbeit, wieder relativiert.

Wenn man diese Tatsachen hinsichtlich der geopolitischen Situation, in der wir uns befinden, in Rechnung stellt, wird vieles klarer: Washington hat erhebliche Möglichkeiten, Druck auszuüben und auf Entscheidungen der deutschen Regierung einzuwirken, was ständig zu beobachten ist. In ein anderes Licht gerät dann auch die von Deutschland mitgetragene Aggressionspolitik gegen China, Syrien, Venezuela, Iran und weitere Länder, die auf der Interventions- und Sanktionsliste der USA stehen. Allerdings erklärt das nicht die Bösartigkeit von Politikerinnen und Politikern wie Annalena Baerbock, Christine Lambrecht, Norbert Röttgen oder Ursula von der Leyen, die jede Gelegenheit zu hasserfüllten Tiraden gegen Russland nutzen.

Können wir heute mitten im Ukraine-Krieg von einer Gleichschaltung der Medien sprechen? Warum?

Für Deutschland lässt sich zweifellos feststellen, dass wir keine Debattenkultur mehr haben. Das hat sich sehr deutlich schon während der COVID-19-Pandemie gezeigt und zeigt sich noch deutlicher hinsichtlich der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine. In Politik und Medien kommt ausschließlich noch eine Seite zu Wort: die der Ukraine, unterstützt von den Service-Agenturen der CIA, des Weißen Hauses und der NATO. Die Medien, die eigentlich gegensteuern müssten, sind gleichgerichtet, sodass gegen den Einfluss der USA kaum noch anzukommen ist. Da die Medien überwiegend in Privathand sind und Deutschland seit 1945 mit mehr als hundert US-gesteuerten Netzwerken überzogen wurde, die auf alle gesellschaftlichen Bereiche und Institutionen einwirken, dominiert die eine, gewünschte und gebilligte Meinung. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien bilden schon lange keine Ausnahme mehr. Zurzeit sind zur besten Sendezeit in der ARD-Tagesschau zehn von fünfzehn Minuten völlig einseitige Kriegsberichterstattung, mit der die Bevölkerung indoktriniert – man kann schon sagen: verhetzt – und in einen Panik-Modus versetzt wird.

Wie können wir diese Demokratie definieren, in der die freie und vom Mainstream abweichende Meinungsäußerung so dämonisiert wird? Wie betrachten Sie die Entwicklung als ein Autor, der auch über die Abschaffung der Demokratie ein Buch geschrieben hat.

Kritische Beobachter und Analysten der Politik leiden schon seit Längerem darunter, dass in den Mainstream-Medien, die zu System-Medien geworden sind, kaum noch Publikationsmöglichkeiten vorhanden sind. Die Entwicklung, wie ich sie auch in meinen politischen Büchern beschrieben habe, ist eine schiefe Bahn in Richtung eines neuen Faschismus. Was sich abspielt, ist beängstigend und hat mit Demokratie kaum noch zu tun. Vielfach herrscht in der Gesellschaft eine Blockwart-Mentalität; Denunziation und Bevormundung bis hin zu Diffamierung und Sanktionierung von Andersdenkenden sind gang und gäbe. Selbsternannte Autoritäten spielen sich auf, angefangen bei führenden Politikern bis hin zur Beamtenschaft in unteren Behörden und zur Polizei.

Die Frage ist, wie dem begegnet werden kann. Aber das dürfte schwierig sein, wie sich schlaglichtartig in der COVID-19-Pandemie erwiesen hat. Nicht das Parlament hat anfangs die Aussetzung der Grundrechte beschlossen, sondern die Regierung, allen voran die Kanzlerin, haben auf dem Verordnungswege, das heißt rechtswidrig, essenzielle, unveräußerliche Bürgerrechte außer Kraft gesetzt. Die Ordnungsbehörden und die Polizei verfolgen bis heute Abweichler, die sich auf die Grundrechte berufen, die weisungsgebundenen Staatsanwälte ermitteln nicht wegen der Rechtsbeugung der Regierung, und die Gerichte, die angeblich unabhängig sind, urteilen entsprechend den Vorgaben der Regierung. Da also nicht nur die Legislative und die Exekutive, sondern auch die Judikative versagen, leben wir mittlerweile in Deutschland in einem rechtsfreien Raum. Das ist die Situation, in der bewusste Menschen immer mehr in die Enge getrieben werden.

Was bedeuten das Chaos und die Entdemokratisierung im entwickelten Westen? Wer braucht sowas?

Kultur, Wissenschaft, soziale Belange, die Erhaltung der Infrastruktur und selbst die Wirtschaft geraten mehr und mehr ins Hintertreffen. Einzelne Wirtschaftszweige stehen bereits vor dem Ruin. Wenn die dreisten Aufforderungen der Ukraine, Polens und der baltischen Staaten, Deutschland solle auf Gas und Öl aus Russland verzichten, von deutschen Politikerinnen und Politikern beflissen übernommen werden, zeugt das von absoluter Missachtung der Interessen der eigenen Bevölkerung. Es ist ein Bruch des Amtseides, den diese "Volksvertreter" geleistet haben, der lautet, dem Wohle der Bevölkerung zu dienen und Schaden von ihr abzuwenden.

Offensichtlich liegt diese Chaotisierung Europas, insbesondere Deutschlands, im Interesse der USA, die aufgrund ihres unipolaren Anspruchs die ganze Welt chaotisieren. "America first!" ist ja nicht erst zu einem Wahlkampfslogan von Donald Trump geworden. Vielmehr ist das ein Prinzip, das mit einer Langzeitstrategie fast schon seit Bestehen der Vereinigten Staaten von Amerika weltweit durchgesetzt wird.

Sie schreiben seit Jahren, dass, wenn es weiter so geht, ein Krieg mit Russland immer näher und unvermeidlich ist. Jetzt, wo er in unserem Haus tobt, fragen wir: Wer ist schuld daran und was kann man dagegen tun?

Die USA wollen zu ihrem Vorteil Weltmacht Nummer eins bleiben, und dafür gehen sie im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Der ehemalige Direktor des einflussreichen US-Thinktanks Stratfor, George Friedman, hat das auf den Punkt gebracht. In einem Vortrag, den er 2015 in Chicago gehalten hat, nannte er als die Hauptsorge der Vereinigten Staaten, dass sich deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft verbänden. Das wäre wirtschaftlich wie militärisch eine Konkurrenz, die die USA seit einem Jahrhundert zu verhindern suchten. Deswegen hätten sie eine Grenzlinie zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer gezogen und einen "Sicherheitsgürtel", einen "Cordon Sanitaire", um Russland herum aufgebaut. Das entlarvt das aggressive Vorgehen und die Absichten der USA auf dem eurasischen Kontinent.

Russland und China stellen sich dem Führungsanspruch der USA entgegen. Sie sind dabei, ein eigenes Banken- und Zahlungssystem aufzubauen, wodurch der Dollar als Weltleitwährung ersetzt werden könnte. Das erscheint mir wesentlich, denn damit würde den USA ein Unterdrückungs- und Direktionsinstrument genommen werden. Dazu kommt die Belt-and-Road-Initiative, auch Neue Seidenstraße genannt, womit neue Wege des Welthandels beschritten werden. Wirtschafts- und Finanzanalysen halten das für das größte Infrastruktur-Programm der neueren Geschichte. Dazu gehört die verkehrsmäßige und wirtschaftliche Erschließung bisher peripherer Regionen mit ihren Ressourcen von Wladiwostok über China und Sibirien bis an den Atlantik. Einbezogen sind auch Teile von Vorderasien und Afrika.

Gelingt dies, würde unabhängig von den Flugzeugträgern der USA auf dem Pazifik und Atlantik ein riesiger Binnenmarkt auf der größten zusammenhängenden Landfläche der Welt entstehen mit der Folge, dass die Vereinigten Staaten nur noch eine übermäßig hochgerüstete Regionalmacht auf ihrem Kontinent zwischen den Weltmeeren wären. Die USA versuchen dieses Projekt mit allen Mitteln zu hintertreiben, unter anderem durch die allein dem eigenen Vorteil dienende Abspaltung der EU von Russland sowie durch Entziehung von Wirtschaftskraft. Das scheint vielen der heute agierenden europäischen Politikerinnen und Politikern überhaupt nicht klar zu sein – zum Schaden ihrer Nationen. Auch Europa müsste sich dringend so bald wie möglich aus der Vormundschaft der USA befreien, denn falls es weiterhin den Planungen und Direktiven aus Washington folgt, wird es als geoökonomische Macht in der Bedeutungslosigkeit enden.

Wie verhält sich die deutsche Intelligenzija gegenüber dem chaotisierenden und entdemokratisierenden Angriff auf Deutschland und die westeuropäischen Staaten?

Es gibt Appelle deutscher Intellektueller, Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler, die in der Hauptsache zur Beendigung des Krieges in der Ukraine aufrufen und vor einem Atomkrieg warnen. Mir scheint, dass vielen der Unterzeichner – und es sind weit über hunderttausend – die Kenntnis der Ursachen und Hintergründe des aktuellen Geschehens fehlt. Insofern verlaufen diese Proteste und Petitionen im Sande. Die Regierenden machen im Einvernehmen mit den Hardlinern der USA, die auch unsere Politik bestimmen, was sie wollen. Wie wenig Reflexionsvermögen unter deutschen Intellektuellen vorhanden ist, zeigt sich in den kulturellen Organisationen, die überwiegend der massiven Indoktrination erlegen sind und russlandfeindlich agieren. Zurzeit erlebe ich das in einem Konflikt mit dem Präsidium des ursprünglich einmal renommierten PEN-Clubs.

Mögen Sie darauf vielleicht etwas näher eingehen?

Ja, gern, zumal es mich seit einigen Wochen in meiner publizistischen und schriftstellerischen Arbeit behindert. Das Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland hat sich wegen meiner politischen Veröffentlichungen Anfang April "in aller Form" von mir in einer Pressemitteilung distanziert. In der Erklärung, die über Facebook veröffentlicht wurde, heißt es unter anderem, ich würde "Putins gnadenlosen Angriffskrieg" verteidigen und hätte einen "irren Propagandafeldzug gegen Russland" vermutet. Das sei nicht vereinbar mit der PEN-Charta, wonach sich die PEN-Mitglieder verpflichtet haben, sich "mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass" einzusetzen.

Was da über mich verbreitet wird, ist nichts als üble Nachrede. Ich setze mich seit Jahrzehnten mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass und für Frieden ein. Den Krieg in der Ukraine habe ich nicht verteidigt, wie mir unterstellt wird, vielmehr bin ich den Ursachen und den realen Verhältnissen in der Ukraine, deren Entwicklung ich seit acht Jahren intensiv verfolge, auf den Grund gegangen. In der Sache kann man anderer Meinung sein, wie sich in den Medien und bei vielen Politikern zeigt, aber meine Haltung kann kein Grund für eine öffentliche rufschädigende Erklärung des derzeitigen PEN-Präsidiums sein. Ich bin weder russophil noch antiamerikanisch. Aber ich sehe, was geopolitisch passiert und was da auf uns zukommt, habe darüber drei Bücher geschrieben.

PEN-Präsident ist zurzeit nicht unangefochten der bei der Zeitung Die Welt tätige Journalist Deniz Yücel [Yücel ist mittlerweile als PEN-Präsident zurückgetreten, Anm. d. Red.], der durch seine Inhaftierung in der Türkei bekannt geworden ist. Vor einigen Jahren schrieb er, das Verschwinden Deutschlands von der Landkarte wäre "Völkersterben von seiner schönsten Seite". Yücel ist für eine Flugverbotszone in der Ukraine, was den Kriegseintritt der NATO und damit einen Dritten Weltkrieg bedeuten würde. Er hat in dieser Weise auch als PEN-Präsident Stellung genommen, wozu er nicht befugt ist. An einer für Mitte Mai vorgesehenen Podiumsveranstaltung nehmen er und ein Diskutant teil, der völlig unangefochten von "Lumpen-Pazifisten" spricht und Mahatma Gandhi als "sagenhafte Knalltüte" bezeichnet. Yücel ist ein typisches Beispiel dafür, dass sich jemand als Sittenrichter aufspielt und andere Menschen diskreditiert. Was da mit dieser "Distanzierung" geschieht, ist meines Erachtens keine Kleinigkeit. Es kennzeichnet klar und deutlich die politisch-gesellschaftliche Situation, in der wir uns in Deutschland befinden.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Es sieht nicht gut aus, es ist beängstigend. Das, was zurzeit in und mit Europa geschieht, ist existenzgefährdend. Es trägt eine Endzeitstimmung in sich, die lähmend ist und sich wie Mehltau über die Gesellschaft legt. Alles ballt sich zusammen, türmt sich auf und erstickt das politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland. Ich beschäftige mich nun seit mehreren Jahren mit dieser verbrecherischen Politik, und ich muss gestehen, dass es mich zunehmend belastet. Unsere Politiker sind – mehr oder weniger bewusst – an fast allen Gemeinheiten und Menschheitsverbrechen, die passieren, beteiligt. Sie werfen anderen Staaten, denen sie ihre "Demokratie" – gern auch mit Waffengewalt – bringen wollen, heuchlerisch vor, sie verletzten Menschenrechte oder das Prinzip der Gewaltenteilung. Alles wird verdreht, es wird gelogen, gehetzt und Chaos verursacht. Wie ist das, wenn man Durchblick hat, auf die Dauer auszuhalten? Wie ich schon mehrmals sagte und schrieb, umgibt uns der reale Irrsinn. Anders als manche Mitleidende resigniere ich zwar nicht, aber ich bin etwas müde geworden, sehr ernüchtert und desillusioniert. Ja, wie geht es weiter? Es sieht nach noch schärferer Zensur aus, nach noch mehr Militarisierung, Chaos und Krieg, und nach einer rasant zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft. Die Perspektive verschlechtert sich von Tag zu Tag, aber ein großer Teil der Bevölkerung nimmt lediglich die steigende Inflation und die zunehmende Armut wahr. Die Menschen sind eingeschüchtert und indoktriniert, es regt sich kein nennenswerter Widerstand. Zu hoffen ist, dass sich das durch wachsenden Leidensdruck ändert. Sonst sind wir mit unserer Zivilisation wirklich am Ende.

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Das Interview mit Wolfgang Bittner führte Osman Çutsay.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Von ihm erschienen 2014 "Die Eroberung Europas durch die USA", 2019 "Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen" sowie "Der neue West-Ost-Konflikt" und 2021 "Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen". Seine Webseite ist: www.wolfgangbittner.de

 

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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.