Deutschland

Recht auf gewaltfreie Erziehung – Aufwachsen von Kindern in der Pandemie

Anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung am 30. April ist in diesem Jahr zum zweiten Mal ein Blick auf die Auswirkungen der Pandemie unausweichlich. Zuständige Stellen verzeichnen einen starken Anstieg von Fällen häuslicher Gewalt, auch sind Grundrechte weiter beschränkt.
Recht auf gewaltfreie Erziehung – Aufwachsen von Kindern in der PandemieQuelle: www.globallookpress.com © Ute Grabowsky/photothek/ imago-images

Der letzte Apriltag markiert den Tag für gewaltfreie Erziehung. Das Recht auf gewaltfreie Erziehung bedeutet, dass körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind. Dies gilt laut Paragraf 1631 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für Eltern und alle Personen, die Kinder pflegen, erziehen sowie beaufsichtigen. Seit 1989 ist das Kinderrecht auf eine gewaltfreie Erziehung in der UN-Kinderrechtskonvention verankert, seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland. Maßgeblich dafür eingesetzt, dass dieses Recht ein Gesetz wird, hatte sich der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB). Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen reiche laut DKSB "vom gesellschaftlichen Kontext bis hin zu individuellen Umständen, die sich unterschiedlich manifestieren können. Konkret werden strukturelle Gewalt, die Gewalt in Institutionen sowie familiale Gewalt (wie Vernachlässigung, körperliche und psychische Gewalt, sexuelle Gewalt, Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt) unterschieden".

Am 30. April 2020 zeigte sich der Kinderschutzbund in Sorge um Kinder und Familien angesichts des Lockdowns. Zwar unterstütze der Kinderschutzbund die Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie ausdrücklich, betonte dennoch bereits vor einem Jahr, dass die Einschränkungen im Lebensalltag von Kindern und Familien erhebliche Belastungen mit sich bringen. Daher waren schon im vergangenen April viele Kinderschützer befremdet darüber, dass über "die Aufnahme des Spielbetriebes der Bundesliga oder die Eröffnung von Möbelhäusern engagiert diskutiert wird, während die Bedürfnisse von Kindern und ihren Familien nur eine untergeordnete Rolle spielen". Maria Große Perdekamp, Fachliche Leiterin des Kinderschutzbundes Köln, verwies darauf, dass Kinder in dieser Situation potenziellen Gewalttätern innerhalb der Familie vielmehr ausgeliefert seien. Und das unter anderem, da Lehrer und Erzieher wichtige Bezugspersonen von Kindern seien, die in Sorge um Gewalt in der Erziehung beispielsweise das Jugendamt einbeziehen, das zurzeit nur sehr eingeschränkt zur Seite stehen kann. DKSB-Präsident Heinz Hilgers machte die weiteren Auswirkungen des Lockdowns deutlich, welche ebenfalls als Gewalt einzustufen seien:

"Wir greifen aktuell tief in die Grundrechte von Kindern ein: Wir isolieren sie von ihren Spielkameraden. Wir begrenzen sie in ihrem verbrieften Recht auf Bildung. Und wir enthalten ihnen ausreichend körperliche Bewegung vor. Auch das sind Formen der Gewalt."


Hilgers forderte bereits vor rund einem Jahr, dass angesichts des Eingriffes in die Grundrechte der Kinder eine Debatte darüber nötig sei, "wie wir Betreuungseinrichtungen und Schulen schrittweise öffnen können. Und diese Debatte muss die Bedürfnisse der Kinder im Blick haben – nicht nur die der Leistungsgesellschaft." Laut dem Kinderschutzbund soll der Tag auch daran erinnern, dass die gesamte Gesellschaft die Verantwortung für das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern trägt. Professorin Dr. Sabine Walper, Präsidentin der Deutschen Liga für das Kind, betonte angesichts des Appells, die Kinderrechte per Grundgesetz zu stärken, die Rolle des Staates: "In Ergänzung zu den Eltern trägt der Staat besondere Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder. Das Kindeswohl muss daher bei allem staatlichen Handeln, das Kinder betrifft, ein Gesichtspunkt sein, der vorrangig berücksichtigt wird. Nur eine klare Formulierung der Kinderrechte kann dies gewährleisten."

Mitte April dieses Jahres teilte der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, mit, dass zu den negativen Begleiterscheinungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ein Anstieg der Gewalt in Familien und Paarbeziehungen gehört. Die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt, die der Polizei bekannt wurden, lag im vergangenen Jahr 6,6 Prozent über dem Wert des Vorjahres. Bei Gewalt in der Partnerschaft registrierten die Behörden einen Anstieg um rund vier Prozent, so der Präsident des Bundeskriminalamtes. Dabei könne die Dunkelziffer hoch sein und einige Straftaten, die im privaten Bereich begangen worden, durch die reduzierte soziale Kontrolle in der Zeit des Lockdowns unentdeckt bleiben, fügte Münch hinzu.

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Für den Herbst 2021 haben die Sicherheitsbehörden ein umfassenderes Lagebild zu häuslicher Gewalt und Partnerschaftsgewalt angekündigt. Die polizeiliche Kriminalstatistik bildet Straftaten ab, die von der Polizei bearbeitet worden sind. Deshalb – und weil Straftaten im häuslichen Bereich oft nicht direkt nach der Tat zur Anzeige gebracht werden – kommt es hier zu einer zeitlichen Verzögerung. Fest steht, dass die häusliche Gewalt als Nebeneffekt der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zugenommen hat und Kinder häufig Leidtragende sind.

In der Corona-Pandemie sind Kinder und Jugendliche außerdem verstärkt von Obdachlosigkeit bedroht. "Wo es brodelt in Familien, kann es im Lockdown zum totalen Zerwürfnis kommen. Das endet dann schon mal mit dem Rausschmiss", sagte Markus Seidel, Vorstandssprecher der Stiftung "Off Road Kids" Anfang des Monats im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Betroffen seien vor allem Jugendliche und Heranwachsende ab 17 Jahre. Im vergangenen Jahr sind bei der bundesweit tätigen Hilfsorganisation 2.474 Hilferufe von verzweifelten Straßenkindern und jungen Menschen eingegangen, die in Deutschland akut von Obdachlosigkeit bedroht sind, doppelt so viele wie im Vorjahr. Corona habe aber nicht nur negative Folgen: "Viele Familien haben sich sicher auch gefunden in der Krise, weil sie viel Zeit füreinander hatten", schätzt Seidel. Ob Zerwürfnis, Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch – nicht nur ärmere Kinder verlassen ihr Zuhause. "Das geht kreuz und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Aber räumliche Enge wirkt natürlich als Katalysator."

Auch der Deutsche Städtetag forderte jüngst den Bund auf, den Blick für die massiven Folgen der Corona-Lockdowns im Leben von Kindern sowie Jugendlichen zu schärfen und mit einer Reihe von Hilfsmaßnahmen gegenzusteuern. Auch in diesem Jahr macht der Kinderschutzbund anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung auf die prekäre Lage vieler Kinder während der Corona-Krise aufmerksam. Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, befürchtet eine Zunahme der Gewalt in den Familien: "Bei Gewaltdelikten haben wir immer das Problem, dass wir es mit großen Dunkelziffern zu tun haben. Durch die Corona-Krise und die damit verbunden Schul- und Kitaschließungen sowie den Wegfall von sonstigen Freizeitangeboten werden betroffene Kinder noch leichter übersehen."

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Anmerkung der Redaktion: Zu diesem Thema hat RT DE die zuständigen Presseabteilungen von drei auch im Text genannten Organisationen um Stellungnahme gebeten. Trotz eines Vorlaufes von acht Tagen hat keine geantwortet.

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