Deutschland

Wenn die Angst mitfährt – Suizid im Gleis und die Folgen für Lokführer

Suizid im Gleis ist ein gesellschaftliches Tabuthema. Etwa 700 Menschen lassen sich in Deutschland jedes Jahr von einem Zug überfahren – für die Lokführer eine enorme psychische Belastung. RT Deutsch sprach mit einem von ihnen über Folgen und Verantwortung.
Wenn die Angst mitfährt – Suizid im Gleis und die Folgen für LokführerQuelle: www.globallookpress.com © Ralph Goldmann

Wolfgang aus Brandenburg geht auf Gleise zu und sagt: "An diesem Ort habe ich einen Menschen getötet. Als Lokführer." Als es ihm zum fünften Mal passiert, dass sich ein Mensch vor seinen Zug wirft, kann er nicht mehr. Die Bilder lassen ihn nicht mehr los. Freunde bemerken, wie sich Wolfgang immer mehr abkapselt.

Es sei nicht üblich, über Gefühle zu sprechen, sagt Wolfgang in der ZDF-Reportage Schatten im Gleis – Wenn Lokführer sich schuldig fühlen. Schließlich zieht er die Reißleine und sucht sich professionelle Hilfe. In einer Fachklinik am Chiemsee in Bayern macht er eine Therapie. Gespräche mit dem Arzt und Sport helfen ihm, sich aus der Spirale aus Schuldgefühlen und Selbstzweifeln zu lösen. Er kehrt in seinen Beruf zurück und ermutigt seinen Kollegen Stefan.

Dieser hat ebenfalls mehrere Schienensuizide erfahren, sich aber an keine Therapie herangetraut. Schließlich wolle man ja nicht als "Weichei" dastehen, sagt er. Wolfgangs Beispiel habe ihm gezeigt, dass es nicht schlimm sei, sich Hilfe zu suchen. Sören aus Hamburg ist erst seit einem Jahr Lokführer, als er den gefürchteten Schatten im Gleis sieht. Es ist ein junges Mädchen. Sören versucht zu bremsen.

Dann habe ich die Augen zugemacht und auf den Knall gewartet", sagt er.

Auch er wird die Bilder nicht los, geht gar zur Trauerfeier für das Mädchen. Neben Schuldgefühlen beschäftigt ihn auch das uneinsichtige Verhalten vieler Reisender im Zug. Die hätten oft gar kein Verständnis, wenn die Bahn nach einem Suizid zunächst nicht weiterfährt und es zu Verspätungen kommt.

Das Thema ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Was auch daran liegt, dass sich die Medien freiwillig dazu verpflichtet haben, in der Regel nicht über Schienensuizide zu berichten um Nachahmereffekte zu vermeiden. Damit bleibt auch das Leid der Lokführer im Verborgenen.

"Immer das gleiche Muster"

Alexander ist seit fünf Jahren Lokführer, für ihn ein Traumberuf seit seiner Kindheit. Bisher blieb er von einem Selbstmord während seiner Schicht verschont. Anders sieht es bei den Kollegen aus: "Von den Alteingesessenen, die 20 Jahre Lokführer sind, hatte schon jeder einen Suizid." Eigentlich sei es immer das gleiche Muster, erzählt er im Gespräch mit RT Deutsch.

Die meisten gehen kurz vorher auf die Gleise, bleiben einfach stehen oder legen sich flach auf die Schienen hin. Und egal, mit welcher Geschwindigkeit du fährst, du wirst es nie schaffen, den Zug rechtzeitig anhalten zu können.

Alle drei Jahre müssen Lokführer eine allgemeine Tauglichkeitsuntersuchung durchlaufen: Sehtest, Hörtest, EKG. Nach einem miterlebten Suizid "bist du dann erst mal raus aus dem Dienst. Wie man bei der Bahn sagt: untauglich", so Alexander.

Gespräche mit Psychologen

Ein herber Einschnitt für die Betroffenen. Der Weg danach ist klar vorgegeben: "Dann geht es zum Bahnarzt beziehungsweise Psychologen, mit dem du Gespräche führst", erzählt Alexander. Der zeigt den Betroffenen, wo sie sich Hilfe holen können, und leitet gegebenenfalls weitere Maßnahmen ein. Eventuell kann man auch in eine Klinik gehen, um die Ereignisse zu verarbeiten.

Wenn du dich in der Lage fühlst, wieder einen Zug zu fahren, hast du noch mal ein Gespräch mit dem Psychologen, der dich dann wieder 'tauglich schreibt'.

Die Handlungsabläufe bei einem Suizid auf den Gleisen sind klar vorgeschrieben, so Alexander:

Ich halte natürlich sofort an, dann werden durch mich, über die Notruftaste im Zugfunkgerät, erst mal alle Züge im Umkreis gewarnt und aufgefordert, sofort anzuhalten.

"Keine Panik verbreiten"

Der Lokführer nimmt dann Kontakt mit dem Fahrdienstleiter auf, der die Rettungskräfte alarmiert, "sprich Notarzt, Bundespolizei, Notfallmanager der Bahn, und der Staatsanwalt wird natürlich auch hinzugezogen, um zu klären, ob ein Fremdverschulden vorlag", so Alexander.

"Was du den Fahrgästen sagst, bleibt eigentlich dir überlassen. Du solltest natürlich keine Panik verbreiten. Man kann aber schon sagen, dass es einen Personenunfall gegeben hat. Du wirst dann natürlich betreut, abgelöst und nach Hause gefahren. Ein anderer Lokführer muss dann weiterfahren. Du musst auch nicht runtergehen und dir da irgendwas angucken", so der Lokführer.

Rund 30.000 Menschen arbeiten im deutschen Eisenbahnnetz als Triebfahrzeugführer. Zu ihrem Beruf gehört auch, mit der Angst leben zu müssen, dass sich plötzlich ein Mensch vor ihren Zug wirft. 

"Als sich Robert Enke damals vor einen Zug warf, hat sich niemand dafür interessiert, wie es dem Lokführer geht oder wie er damit klarkommt", stellt Alexander fest.

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