Deutschland

Von CDU und SPD hochgelobte Grundrente: Werkzeug, um Bevölkerung in Armut zu halten

Der Bundestag hat mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD die Grundrente beschlossen. Die Regierungsparteien preisen ihr Werk als soziale Wohltat. Doch über das Hartz-IV-Niveau kommt damit keiner weit hinaus – eher im Gegenteil. Ein Blick hinter die Kulissen.
Von CDU und SPD hochgelobte Grundrente: Werkzeug, um Bevölkerung in Armut zu haltenQuelle: www.globallookpress.com

von Susan Bonath

Als "armenfeindlich" bezeichnete der Rentenpolitiker der Linksfraktion im Bundestag, Matthias W. Birkwald, den Kompromiss für eine Grundrente, der am Donnerstag mit den Stimmen der Großen Koalition das Parlament passierte. Zu Recht: Gaukeln Unionsparteien und SPD doch vor, älteren Menschen mit Armutsrenten aus der Misere zu helfen. Doch tatsächlich haben die Regierenden die Altersarmut festgezurrt. Denn die neue Grundrente, die 2021 eingeführt werden soll, steht erstens nur den wenigen zu, die die eng gesteckten Vorgaben von Berufsjahren und Lohnhöhe erfüllen. Zweitens kommt niemand damit maßgeblich über das Grundsicherungsniveau. Im Gegenteil: Besonders in Städten mit hohen Mieten werden viele mit Wohngeld oder Sozialhilfe aufstocken müssen, um das Level überhaupt zu erreichen.

West-Ost-Gefälle und irreale Berechnungsgrundlagen

Der Kern des Gesetzes ist das Aufstocken von Minirenten mit kompliziert und trickreich kleingerechneten Minibeträgen. Wobei es bereits in der Rentenberechnung selbst an Tücken nicht mangelt. So hat das für die Rentenpunkte zugrunde gelegte "Durchschnittsentgelt" wenig mit der Realität für viele zu tun. In die Ermittlung dieser Werte fließen nämlich auch besonders hohe Einkommen weniger ein, von denen die meisten nur träumen können.

So muss in Westdeutschland in diesem Jahr ein Brutto-Monatssalär von 3.242 Euro erhalten, wer einen ganzen Rentenpunkt pro Jahr erhalten will. Das entspricht einem Stundenlohn von 18,70 Euro. In Ostdeutschland, wo jeder dritte Beschäftigte im Niedriglohnsektor schuftet, wird ein Monatsbrutto von 3.030 Euro zugrunde gelegt – also etwa 17,50 Euro pro Stunde.

Mit einem vollen Rentenpunkt für 35 Arbeitsjahre kommt ein Lohnabhängiger, der nächstes Jahr in Rente geht, im Westen so auf monatliche Altersbezüge von rund 1.227 Euro brutto und etwa 1.090 Euro netto nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Im Osten bringt er es auf etwa 1.200 Euro brutto und 1.068 Euro netto. Doch einen solchen Job muss man erst einmal ergattern. Das Glück haben die Wenigsten.

Hohe Hürden für die Mini-Aufstockung

Mindestlöhner kommen jedenfalls mit Ach und Krach auf einen halben Rentenpunkt pro Jahr. Und da ist die nächste Tücke eingebaut: In Westdeutschland beträgt ein Rentenpunkt im kommenden Jahr 35,07 Euro, im Osten wird er dann bei 34,33 Euro liegen – das ist ein kleiner, aber spürbarer Unterschied beim Hochrechnen auf die Beschäftigungsjahre. Mit 35 Vollzeitarbeitsjahren kommt man mit einem halben Rentenpunkt pro Jahr im Westen auf eine Bruttorente von 614 Euro. Im Osten ergibt das 600 Euro.

Die Mindestlöhner und jene, die weniger als 0,8 Rentenpunkte erwerben konnten, sollen sich nun auf ihre Grundrenten ab 2021 freuen. Allerdings in sehr eingeschränktem Ausmaß: Um sie zu bekommen, müssen sie mindestens 33 Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Und: Aufgestockt wird nur für Jahre, in denen die Frauen und Männer mindestens 30 Prozent des oben erwähnten Durchschnittslohnes erhalten haben. Im Westen müssen sie pro Monat mindestens 973 Euro, im Osten 909 Euro brutto verdient haben. Ein Mindestlöhner mit einem 20-Wochenstunden-Vertrag bekommt keine Grundrente.

Trickreich kleingerechnete "Wohltaten"

Wer diese Kriterien erfüllt und die Einkommens- und Vermögensprüfung übersteht, soll seine Minirente aufstocken können. Hier wird es besonders knifflig. Die Minirente soll verdoppelt werden, aber höchstens auf 0,8 Rentenpunkte pro Beschäftigungsjahr aufgestockt werden.

Wer mindestens 33 Jahre lang 0,35 Rentenpunkte pro Jahr erwerben konnte, bekommt diese – in einem ersten Rechenschritt – auf 0,7 verdoppelt. Wer 35 Jahre lang jeweils 0,5 Rentenpunkte eingefahren hat, könnte diese 0,8 Punkte aufstocken.

Um es in Zahlen zu fassen: 0,8 Rentenpunkte für 33 Arbeitsjahre ergeben in Westdeutschland im kommenden Jahr eine Bruttorente von rund 942 Euro – macht netto 844 Euro. Im Osten gibt es dafür 906 Euro brutto und 812 Euro netto.

Bei 40 Arbeitsjahren bekäme man damit im Westen eine Nettorente von 1.022 Euro, im Osten von 984 Euro. Noch fünf Beschäftigungsjahre draufgepackt, hätte man mit Rente und Grundrente zusammen im kommenden Jahr ein Monatsnettosalär von 1.135 Euro (West) oder 1.096 Euro (Ost) zur Verfügung.

Hätte, denn das war den Unionsparteien noch zu viel des Guten. Der Gesamtwert, also 0,8 Rentenpunkte mal Beschäftigungsjahre, wird am Ende wieder verringert, und zwar um 12,5 Prozent. Der entsprechende Betrag wird vom Grundrentenaufschlag abgezogen. Die Bundesregierung tönt, damit wolle sie das sogenannte Äquivalenzprinzip hochhalten, wonach die Rente von der Höhe der Beiträge abhängen soll.

Grundrente auf Sozialhilfeniveau

Das bedeutet: Hat ein ostdeutscher Beschäftigter 38 Jahre lang gleichmäßig 0,6 Rentenpunkte erworben, müsste seine Bruttorente eigentlich von rund 782 auf 1.043 Euro aufgestockt werden. Er bekäme mit der Grundrente also einen Aufschlag von 261 Euro. Nun werden aber von den 1.043 Euro 12,5 Prozent abgezogen, das ergibt rund 913 Euro. Tatsächlich erhält er nur einen Grundrentenaufschlag von 131 Euro.

Übrigens: Von einer Bruttorente von 913 Euro gehen noch 95 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung drauf. Ostdeutsche Grundrentner mit 38 Arbeitsjahren für je 0,6 Rentenpunkte müssen also ihr Altersdasein mit etwa 818 Euro netto fristen. In Magdeburg entspricht das in etwa dem aktuellen Grundsicherungsniveau für Alleinstehende, in Dresden liegt die Summe sogar um 70 Euro darunter. Betroffene müssten entweder damit aufstocken oder Wohngeld beantragen.

Frauen sind besonders benachteiligt

Und wieder einmal wurden Frauen ganz besonders benachteiligt. Ihre Einkommen liegen insbesondere im Westen weit unter denen von Männern. Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von Ende 2019 zufolge verdienten sie 2018 in Bayern bei gleicher Arbeitszeit und Qualifikation weniger als die Hälfte von dem, was männliche Beschäftigte im Mittel erhielten.

Von den insgesamt knapp acht Millionen Niedriglöhnern in Deutschland, die weniger als 11,40 Euro pro Stunde bekamen, stellen Frauen mit knapp zwei Dritteln den größten Anteil, wie in dieser Woche das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ermittelt hatte.

Außerdem stecken Frauen aufgrund familiärer Verantwortung häufiger in Teilzeit- und Minijobs fest, die besonders häufig im Niedriglohnbereich zu finden sind. Hinzu kommen oft längere Zeiten von Kindererziehung oder Pflege von Verwandten, ihre Erwerbsbiografien sind häufiger unterbrochen. Ihre Renten sind entsprechend kleiner und sie erfüllen seltener die strengen Kriterien für die Grundrente.

Realitätsferne Lobeshymnen der Regierungsparteien

Das alles ficht Union und SPD nicht an. CSU-Mann Stephan Stracke lobte bei der Verabschiedung des Gesetzes, Geringverdiener hätten damit "deutlich mehr Geld in der Tasche". Es gehe ihm um "Leistungsgerechtigkeit", die SPD-Bundestagsfraktion schwadroniert auf ihrer Webseite in ähnlicher Manier von einer "Anerkennung der Lebensleistung". Ein Schelm, wer ihnen Realitätsferne, Heuchelei und einen Willen zum Verfestigen der Altersarmut immer größerer Bevölkerungsteile unterstellt?

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