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Afghanistan: Taliban weiter auf dem Vormarsch – Über die Hälfte aller Bezirke unter Kontrolle

Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan geht einher mit dem Vormarsch der Taliban, die inzwischen über die Hälfte der Bezirke unter ihre Kontrolle bringen konnten. Die massiven Gebietsgewinne der Islamisten gehen mittlerweile weit über einfach zu erobernde Bezirke hinaus.
Afghanistan: Taliban weiter auf dem Vormarsch – Über die Hälfte aller Bezirke unter KontrolleQuelle: Reuters © Danish Siddiqui/Reuters

Wenige Wochen vor dem offiziellen Ende des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan halten die Taliban mehr als die Hälfte aller Bezirke des Landes. Das geht aus einer Recherche der Deutschen-Presse Agentur in den 34 Provinzen hervor. Die Islamisten kontrollieren demnach aktuell eine knappe Mehrheit von rund 210 der insgesamt rund 400 Bezirkszentren. Die Regierung hält etwa 110 und weitere rund 80 Bezirke sind umstritten.

Seit Anfang Mai, dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen, haben die Taliban mehr als 150 Bezirke neu erobert, vor allem im Norden des Landes, wo sie in den 1990er Jahren auf den meisten Widerstand getroffen waren. Experten finden mittlerweile deutliche Worte. "Der Vormarsch der Taliban in den vergangenen Wochen ist unbestreitbar und bedeutsam", heißt es etwa im jüngsten Bericht der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network (AAN). 

In einem Teil der neu eroberten Bezirke hatten die Islamisten bereits praktisch alle Gebiete bis auf das Bezirkszentrum gehalten, sie waren also vergleichsweise einfach zu übernehmen. Gleichzeitig wollte die Regierung ihre in kleinen Zahlen in jedem Bezirk verstreuten Kräfte in Gebieten zusammenziehen, die besser zu versorgen und einfacher zu verteidigen sind. 

Die Gebietsgewinne gehen aber weit darüber hinaus. Binnen rund zwei Tagen etwa fielen rund 25 Bezirke der Provinz Badachschan im Nordosten des Landes an die Taliban – ein Gebiet, das sie nicht einmal während ihrer Herrschaft zwischen 1996 und 2001 gehalten hatten. Heute sitzen die Taliban etwa im Bezirksverwaltungsgebäude von Wachan, einem Bezirk, der bisher nie Taliban-Kämpfer zu Gesicht bekommen hatte.

Die Aufständischen haben es darüber hinaus offenbar auch auf finanziell lukrative Ziele abgesehen. Neben den Bezirken eroberten sie mehrere Grenzübergänge, darunter zwei der drei wichtigsten: Spin Boldak nach Pakistan und Islam Kala in den Iran. Damit fügen sie Kabul massive Einbußen bei Einnahmen zu. Laut Finanzministerium betrugen die Einnahmen der Zollbehörden zuletzt rund vier Millionen US-Dollar pro Tag.

Gleichzeitig nahmen die Taliban neue Abschnitte der Ringstraße ein, die die wichtigsten Städte verbindet. Das ermöglicht ihnen, noch mehr Kontrollpunkte zu errichten und damit Fahrzeuge sowie Insassen zu überprüfen, illegale Steuern zu erheben und die Bewegungen der Sicherheitskräfte weiter einzuschränken. Wer heute auf dem Landweg ausreisen möchte, ohne den Islamisten zu begegnen, hat nunmehr wenige Möglichkeiten und braucht zudem Glück.

Signifikant ist laut Afghanistan Analysts Network aber auch, was die Islamisten bisher nicht erobern konnten. Dies seien einerseits Gebiete im Osten und Teile des Südostens des Landes an der Grenze zu Pakistan. Möglicherweise wollten die Sponsoren der Taliban, der pakistanische Geheimdienst ISI, an diesem Grenzabschnitt noch keine Kämpfe, heißt es in der AAN-Analyse.

Gleichzeitig gebe es in diesen Provinzen aufgrund lokaler Besonderheiten – etwa wegen des Kampfes der Regierung gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) – kompetente Streitkräfte und ein Netzwerk starker, regierungsnaher Milizen, darunter eine auch bisher CIA-geführte Miliz, der in der Vergangenheit schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden.

Aber auch Provinzhauptstädte konnten die Taliban bisher nicht einnehmen. In mindestens zehn dieser Städte gab es in den vergangenen Wochen Gefechte in den Außenbezirken oder auch näher zum Zentrum, allerdings konnten die Sicherheitskräfte bisher diesen Vorstößen entgegenhalten.

Laut US-Präsident Joe Biden endet der US-Einsatz in Afghanistan am 31. August. Die NATO hat das Ende des Militäreinsatzes noch nicht offiziell kommuniziert, dieser ist aber de facto beendet. In Doha im Golfemirat Katar laufen wieder Gespräche zwischen den Taliban und der Regierung, allerdings sind die Hoffnungen minimal, dass bald signifikante Fortschritte erzielt werden. In Geheimdienstkreisen in Kabul wird damit gerechnet, dass die Taliban weiter militärisch vorrücken, auch auf die Hauptstadt.

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(dpa)

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