RT Deutsch-Reportage zu Flüchtlingen in Berlin: Warten, Warten, Warten

Die Flüchtlingskrise bestimmt die öffentliche Debatte in Deutschland. Doch was bedeuten die wachsenden Zahlen von Ankommenden in der Realität? RT Deutsch-Reporterin Anna Schalimowa besuchte in Berlin das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), wo Neuankömmlinge auf ihre Registrierung warten. Viele Bundesbürger versuchen zu helfen, doch es zeichnet sich ab, dass die Insitutionen an ihre Grenzen stoßen.
RT Deutsch-Reportage zu Flüchtlingen in Berlin: Warten, Warten, WartenQuelle: Reuters © Hannibal Hanschke

Berlin, Turmstraße: Beim Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz LaGeSo, wird die Flüchtlingsdebatte zur menschlichen Realität. Hier müssen sich die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft registrieren und einen Asylantrag stellen, um eine Bleibe mit der notwendigsten Versorgung zugeteilt zu bekommen. Nachdem am Montag und Dienstag täglich mehr als 1.000 Flüchtende die Wiesen und Parkplätze des Geländes füllten, hat sich die Lage zum Wochenende hin leicht beruhigt, und so konnten die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Organisation Moabit hilft am Freitag ein wenig durchatmen.

 

Als 'hoffnungsvoll' würde bei der Spenden-Annahmestelle die Situation jedoch niemand beschreiben. Die angekommenen Menschen scheinen zermürbt. Ob alleine schlafend, am Straßenrand oder in Grüppchen auf den Grünanlagen. Zunächst heißt Ankommen vor allem Warten. Immer allgegenwärtig: Die Furcht vor dem Ungewissen. Groß scheint die Angst vor einem möglichen Abtransport. Und wer es unter der Woche nicht geschafft hat, in ein Auffanglager zu gelangen, muss am Montag wiederkommen, schließlich haben sich die Bürozeiten der Behörde weder verändert noch verlängert, seitdem in Deutschland die Flüchtlingskrise allgegenwärtig ist. Die meisten Flüchtlinge tragen ihr Hab und Gut, das Notwendigste, was sie auf ihrer langen und beschwerlichen Flucht mitnehmen konnten, in zwei bis drei Plastiktüten mit sich.

 

Um zu schauen, was sich hinter dem Begriff 'Flüchtlingsstrom', der nun die mediale Berichterstattung bestimmt, wirklich verbirgt, kam auch die 70-jährige Evelyn aus Schöneweide nach Moabit in die Turmstraße. „Ich wollte schauen, wie es hier aussieht und es ist viel schlimmer als ich dachte“, sagt sie nun.

Zuvor hatte die Rentnerin gehört, dass der Ansturm bereits abflauen würde und auch, dass die zusätzlich eingestellten Mitarbeiter die Situation entspannen würden, aber wirklich viel davon zu sehen sei ihrer Ansicht nach nicht. Wartezeiten von mehreren Tagen und Wochen, bis die Flüchtlinge wissen, wo und wie es für sie weitergeht, sind keine Seltenheit. Wer es geschafft hat, hier anzukommen, braucht nun vor allem viel Geduld. Bis dahin stecken die Neuankömmlinge in der Warteschleife fest. Wer noch die Kraft hat, spielt entweder Fußball oder diskutiert wild. Dazu gehören jedoch vor Ort die wenigsten, ebenso wenige möchten von sich aus erzählen, was ihnen wiederfahren ist. Auch verwechseln viele die Presse mit der Polizei und versuchen sich schnellstmöglich auszuweisen.

„Es ist eine Katastrophe, wenn ich mir vorstelle, dass es morgen regnet und wir wissen, die Leute hier haben keine Unterkunft, sie können also nicht einfach gehen und sich schützen,“ fügt die Berlinerin Evelyn hinzu und betont:

„Wir profitieren doch von den Kriegen in ihren Ländern und genau das muss endlich ein Ende nehmen. Ich denke auch, dass viele einfach auch zurück in ihre Heimat wollen. Ich habe auch schon einen Krieg erlebt, als Kind zwar, aber es geht, man kann wieder aufbauen, es muss eben nur eine Perspektive geschaffen werden und der erste Schritt wäre mit dem Ende des Krieges gesetzt."

So weitläufig das Gelände des LaGeSo ist, so benötigt man auch einen Moment, um das Ausmaß der katastrophalen Bedingungen zu sehen.

Erst im hinteren Bereich wird sichtbar, wie viele Menschen auf ihre Registrierung warten oder auf die Möglichkeit, einen Asylantrag stellen zu können. Vor allem zeigt sich auch, wie sie warten: Über Tage und Wochen, sitzend, liegend, alleine oder gemeinsam. Bis vor wenigen Tagen spielte das Wetter in der Hauptstadt noch mit, doch jetzt mit Einbruch der herbstlichen Temperaturen  verändert sich auch allmählich die Stimmung. Die Ehrenamtlichen von Moabit hilft, zeigen sich über den Wetterumbruch besorgt. Was erst, wenn der Winter kommt?

Kurt ist 51 Jahre alt und engagiert sich hier ehrenamtlich. Ohne das Engagement der Freiwilligen würde nichts laufen. Wenn seine Organisation die Hilfe einstellen würde, hätte das schlimme Folgen, da sich er und seine Mitstreiter sind einig. Mehr Hilfestellung von staatlichen Behörden ist derzeit nicht zu erwarten. „Es wird viel diskutiert und beraten, da fragt man sich am Ende des Tages nur, warum dabei keine Ergebnisse folgen“, so Kurt.

 

„Natürlich ist es unorganisiert und chaotisch, aber es wird auch erklärt und koordiniert, was genau benötigt wird: Sach-, Essens- oder Geldspenden und wie man selbst aushelfen kann,“ so Kurt weiter und betont, Berlin sollte sich hinsichtlich der Erstaufnahme ein Beispiel an München nehmen:

„Es dauert einfach viel zu lange, bis die Leute ihre Erstregistrierung haben und das ist leider auch oftmals der Grund, warum viele nachts einfach obdachlos sind. Was irgendwie auch nicht zu interessieren scheint und das ist definitiv etwas, wofür der Staat sich einsetzten muss.“

Auf professionelle Unterstützung hoffen nur wenige freiwillige Helfer. Gleichzeitig können sich die Freiwilligen aber nur dafür engagieren, die Rahmenbedingungen ein wenig zu verbessern und sich um die Menschen zu kümmern. Zur Hilfe bei der Antragstellung sind sie nicht befugt, da hierfür erst eine spezielle Schulung durchlaufen werden muss. Was sich hinter einer solchen Ausbildung zum „Auftragsausfüller“ verbirgt, kann vor Ort jedoch niemand sagen.

Auch das Problem mit dem Müll hat seine bürokratischen Hürden:

"Wir wollten letzte und diese Woche schon sehr viel aufsammeln, dürfen aber nicht. Es ist nicht so, dass die Leute ihren Müll nicht wegräumen würden, aber sie haben keine Mülltonnen, in die dieser hinein kann."

Es soll sich dabei um ein politisches Problem handeln, so einer der Helfer.

Nur wenige Meter weiter, an einen Baum gelehnt, treffe ich auf Anas. Er ist 16 Jahre alt, kommt aus Syrien und vertreibt sich die Wartezeit mit Musikhören. Im gebrochenen Englisch stellt sich der Jugendliche vor. Seit 20 Tagen ist er bereits in Berlin. Am Abend schläft er in einem Hostel-Zimmer, das ihm gestellt wird. Registriert ist er bereits, nun muss er noch warten, um seinen Asylantrag stellen zu können, erklärt Anas weiter. Die Frage, ob seine Familie auch in Deutschland oder gar in Berlin sei, verneint der junge Mann. Er sei allein hierher gekommen und habe hier auch keine Bekannten oder Freunde.

 

Auf dem Gelände dient "Haus R" für die Koordination der Spendenannahmen. Hier sind auch die meisten Ehrenamtlichen zu finden. Im Trubel und mit vielen helfenden Händen wird zunächst alles angenommen, was gebraucht werden kann. Aushängende Bedarfslisten sollen den Besuchern dabei aufzeigen, was momentan am wichtigsten ist. Wasser, Nahrungsmittel und Hygieneartikel werden durchgehend gebraucht. Trotz der Probleme hilft Kurt gerne:

„Menschlich fühlt man sich sehr gut, man arbeitet gemeinsam und das für einen guten Zweck."

Am Samstag und Sonntag bleiben die Tore des LaGeSo jedoch geschlossen. Sicherheitspersonal bewacht dann die Eingänge und ist den ganzen Tag damit beschäftigt, engagierte Spender abzuwimmeln. Abgegeben werden kann in dieser Zeit nichts. Wer dennoch Spenden hat, kann dann nur nach Spandau oder Wilmersdorf fahren. Viele der angereisten Hilfswilligen, ausgestattet mit den unterschiedlichsten Sachspenden, erzürnt dies. Schließlich haben viele Bürger nur die Möglichkeit das Wochenende zu nutzen, um sich zu engagieren. Unter ihnen sind auch zwei Spender, die mit jeweils zwei großen Ikea-Tragetaschen voller Zahnbürsten zur Turmstraße gegangen sind. Doch der Zugang zur Spendenannahmestelle bleibt versperrt.

Vor dem Tor warten weiterhin einige Flüchtlinge. Eine Gruppe von Männern erklärt, dass sie ebenfalls aus Syrien kommen. Registriert sind sie schon, stolz zeigen sie ihre Dokumente und Bändchen. Jetzt warten sie darauf, dass die Behörde wieder aufmacht. Dass bis dahin noch zwei Tage vergehen, ist ihnen egal. Schließlich hätten sie jegliches Zeitgefühl verloren, erklärt einer der Männer.

Ein anderer Flüchtling erklärt, er hätte keine Möglichkeit einen Schlafplatz zu finden, denn die Hostels würden „Leute wie ihn“ nicht annehmen. Auf die Frage, wie er nach Berlin gekommen sei, erklärte der Mann aus Moldawien:

„Über Moskau und dann Schweden. Aktuell ist das der günstigste Weg raus.“

Doch die Hostels würden der LaGeSo, die für die Zimmermieten aufkommt, nicht vertrauen, auch zahle die Behörde wohl nicht immer oder nur verspätet.

 

Ein Mitarbeiter des Landesamts für Gesundheit und Soziales stellt die Lage anders dar. Das Problem sei, dass die Leute das Geld für ihre Unterkunft bar auf die Hand bekommen:

"Sie haben dann 50 Euro in der Hand und kommen damit meist nicht einmal in ihrer Unterkunft an."

Manche würden es verspielen, andere vertrinken. "Einige solcher Fälle hatten wir bereits. Da muss ganz klar eine andere Lösung für gefunden werden“, erklärte der 26-jährige, der anonym bleiben möchte. „Menschen, die über eine so lange Zeit warten müssen, können nicht ohne Ablenkung und Beschäftigung bleiben", fügt er hinzu.

"Ob sie nun Deutsch lernen oder Sport machen, irgendetwas muss angeboten werden, auch sollte nicht überall Bargeld fließen“ erklärte der junge Mann, selbst mit Migrationshintergrund. Gleichzeitig bleibt vor den Toren des Landesamtes eine Kolonne von vier Sprintern vollgepackt mit Kuscheltieren, Kleidung und diversen anderen Sachspenden stehen. In Düsseldorf „hätten sie momentan ein volles Lager mit allen möglichen Dingen für die Ankommenden.“

Suade, 23, aus Essen ist Teil der Organisation der Kolonne, die gerade durch Deutschland fährt um Spenden zu verteilen. Seiner Ansicht nach „gehe es hier und jetzt darum, ein bisschen mehr Menschlichkeit und Nächstenliebe an den Tag zu legen.“ Doch langfristig wären Spenden auch zu wenig. Suade ist sich sicher:

„Die Leute schauen sich um, sie sehen in welchen Verhältnissen sie selbst leben und wie es eben im Westen ausschaut. Und natürlich resultieren daraus Probleme. Die einzige Möglichkeit um eine solche Art von Neid nicht entstehen zu lassen, funktioniert nur über das Schaffen von Perspektiven, also per Mobilisierung und Dialog.“

Allen hier ist klar: Die wirklichen Aufgaben gehen nach der Erstaufnahme erst los.

 

 

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