Vollgeld, Regiogelder, Kryptowährungen - Mögliche Auswege aus dem bestehenden Geldsystem

Der Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers im September 2008 spülte eine Problematik in das gesellschaftliche Bewusstsein, das seit dem fälschlicherweise oft als "Finanzkrise" bezeichnet wird. Symptome werden mit Ursachen verwechselt. RT Deutsch beschreibt die grundlegenden Probleme im Geldsystem, fragt nach möglichen Alternativen und interviewt den Wirtschaftssoziologen Prof. Dr. Joseph Huber zur Vollgeldreform.
Vollgeld, Regiogelder, Kryptowährungen - Mögliche Auswege aus dem bestehenden GeldsystemQuelle: Reuters © Kai Pfaffenbach/Illustration

Die zunehmende Verschuldung von Staaten und die beinahe- oder de facto-Insolvenz von Großbanken geht nicht auf eine Finanzkrise zurück. Bei den Ursachen dieser Entwicklungen handelt es sich vielmehr um eine Krise des Geldsystems, das im Kern - aufgrund seiner generellen Architektur - fehlerhaft und auf Dauer nicht bestandsfähig ist. Während viele Kommentatoren oft den Zins im Geldsystem als Problem benennen, bleibt ein viel entscheidenderes Momentum im bestehenden Geldsystem meist unbeleuchtet. Die Rede ist von der durch Geschäftsbanken durchgeführten multiplen Giralgeldschöpfung als Schuld.

Die multiple Giralgeldschöpfung durch private Banken

Geld wird im bestehenden System vor allem durch ein Bankenoligopol in Umlauf gebracht (geschöpft) – und zwar als verzinste Schuld, indem die Bank das Geld als Guthaben auf das Girokonto des Kreditnehmers bucht. Die Refinanzierung der Kredite findet erst im Nachhinein und dann auch nur fraktional über die Zentralbanken statt. Auf welch verschlungenen Wegen auch immer Kreditlinien und Zahlungsverpflichtungen ihren Lauf nehmen, es gilt: Am Ende der Kette landet der Zins der Kredite immer bei der Quelle des Geldes, also bei den Banken, die es geschöpft haben. Immer absurdere Schulden- und Vermögensstände sind die Folge. Genau jener völlig logische und vorausschaubare Effekt wird seit 2008 fälschlicherweise als "Finanzkrise" tituliert.

Lösungsvorschläge als Folge einer langen Debatte: Kryptogelder, Regiogelder, Vollgeld

Ebenso zäh wie sich der Niedergang des bestehenden Geldsystems gestaltet, kommt jedoch die Debatte über mögliche Lösungsansätze voran. Während Kritiker der bestehenden Geldordnung oftmals attackiert und mögliche Alternativen verlacht werden, haben sich im Schatten dieser - offenbar organisierten Desinformationskampagnen - jedoch einige brauchbare Ansätze herauskristallisiert. Einige dieser Vorschläge scheinen nun an der Schwelle zu stehen mainstreamfähig zu werden.

In einem aktuellen Beitrag im Magazin "Der Freitag" mit dem Titel "Das neue Gesicht des Geldes" kommentiert der Rechtsanwalt und Gründer der Regionalwährung Urstromtaler, Frank Jansky:

„Wir sind ganz dicht dran, sonst würde sich die Bundesbank nicht so verhalten. Die Banken treten jedes Mal an, wenn ihr Monopol auf dem Spiel steht.“

Neben Regiogeldern stoßen auch so genannte Kryptogelder auf immer mehr Interesse. Letztere sind vor allem durch das Projekt Bitcoin bekannt geworden, der Pionier auf diesem Gebiet. Doch seit dem Start der einstigen Hackerwährung im Jahre 2009, hat sich im Open Source-Verfahren ein regelrechtes Ökosystem der Kryptogelder entwickelt. NEM, UNObtanium oder Dogecoin sind nur einige vielversprechende Weiterentwicklungen in diesem Bereich.

Während Kryptogelder vor allem neueste technologische Errungenschaften für eine Erneuerung des Geldsystems nutzbar machen wollen, setzen Regiogelder wie der Urstromtaler, der Chiemgauer, der Elbtaler oder der Tauberfranken eher auf die Stärkung lokaler und regionaler Handelskreisläufe und damit auf Gemeinschaftsbildung. Beide Alternativen haben jedoch einen eher anarchistischen Ansatz gemein, der das Problem am Staat vorbei lösen will.

Die Vollgeldreform als staatlicher Ausweg aus der Misere?

Als staatlicher Weg aus dem bestehenden, fehlerhaften und letztendlich zerstörerischem Geldsystem wird zunehmend die so genannte Vollgeldreform diskutiert, in Großbritannien auch unter dem Begriff "sovereign money" bekannt.

Eine Vollgeldreform ist nicht mit einer Währungsreform zu verwechseln, sie bedeutet vielmehr eine Änderung der problematischen Regeln bezüglich der Geldschöpfung. Wird Geld, wie oben beschrieben, heute noch vor allem von privaten Geschäftsbanken in Umlauf gebracht, so würde Vollgeld von einer zu etablierenden Vierten Staatsgewalt – der Monetative – geschöpft werden. Die Monetative müsste unabhängig von Parlamenten, Regierung und natürlich auch Geschäftsbanken handeln. Die Möglichkeit der multiplen Giralgeldschöpfung wird damit unterbunden, der Schneeballsystem-Charakter des bestehenden Geldsystems wäre aufgehoben. Unsoziale Zinseffekte könnten im Zuge dessen womöglich steuerlich unter Kontrolle gebracht werden.

Zudem soll eine Monetative Staatshausalte zinsfrei mit Geld versorgen können, wodurch diese von der andauernden Last der Zinszahlung befreit würden. Durch die Etablierung der Monetative als Vierte Staatsgewalt soll aber auch verhindert werden, dass – wie in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – Regierungen ungehemmt „Geld drucken“ können. Organisatorische Fragen sind hier gleichsam noch ungelöst. Die Umstellung auf Vollgeld selbst hätte neben einer geringeren laufenden, auch eine nennenswerte einmalige Seigniorage zur Folge, wodurch ein großer Teil der heutigen Staatsschulden aus den Büchern getilgt werden würde. Außerdem würde eine Vollgeldreform vom Verbraucher selbst kaum wahrgenommen werden, weshalb man bei einem solchen Schritt von einem sanften Systemwandel ohne soziale Verwerfungen ausgehen kann.

Vollgeld bald in der Praxis? Island und die Schweiz diskutieren die Geldreform

Frosti Sigurjónsson, Abgeordneter im isländischen Parlament und Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Wirtschaftsangelegenheiten und Handel, wagte kürzlich einen revolutionären Schritt und hat im Auftrag von Ministerpräsident Sigmundur Davíð Gunnlaugsson einen Vorschlag zur Vollgeldreform auf der Insel gemacht. In der Schweiz wird von den Reformaktivisten der Vollgeld Initiative ein Volksentscheid zum Thema Vollgeldreform auf den Weg gebracht. Das Netzwerk sammelte bereits 50.000 Unterschriften.

In Deutschland setzt sich seit Jahren der Verein Monetative e.V. für die Reform des Geldsystems ein. Der Wirtschaftssoziologe Prof. Dr. Joseph Huber ist Teil des Vorstandes des Vereins und forscht, referiert und publiziert seit vielen Jahren zum Thema Vollgeld.

RT Deutsch führte zu diesem Themenkomplex ein Interview mit Prof. Dr. Huber:

Herr Professor Dr. Huber, Sie setzen sich seit vielen Jahren für eine Vollgeldreform ein. Wie beurteilen Sie die aktuellen Entwicklungen vor allem in Island und der Schweiz? Wird sich dort wirklich etwas ändern, oder dienen diese Initiativen eher dazu, Problembewusstsein zu schaffen?

Es ändert sich schon sehr viel dadurch, dass der Übergang von Giralgeld zu Vollgeld in diesen Ländern offiziell zum Gegenstand der politischen Meinungs- und Willensbildung geworden ist. Welchen weiteren Verlauf das noch nimmt, kann ich natürlich nicht vorhersagen. Aber das Thema ist auf der Tagesordnung, findet entsprechende Aufmerksamkeit in den Medien und bei Experten, und weil es sich um einen pionierhaften Vorgang zu einem sensiblen Thema handelt, wird die Sache auch international entsprechend beachtet.  

Die Vollgeldreform ist ein staatlicher Ausweg aus dem bestehenden Geldsystem, bei Ansätzen wie den Regiogeldern oder den Kryptowährungen handelt es sich eher um gesellschaftliche bzw. anarchistische Lösungsansätze. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass in der Zukunft alle diese Alternativen nebeneinander koexistieren und sich gegenseitig ergänzen können oder sollte das Geldmonopol einzig in die Hände des Staates gelegt werden? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in nicht-staatlichen Lösungsansätzen, die dem Vollgeld-Vorschlag ja teils widersprechen?

Unterscheiden wir einmal quasi gemeinnützige Komplementärwährungen, so etwas wie Regiogeld oder Pflegestunden, von kommerziellen Privatwährungen. Solange Regiogeld von lokaler und auch sonst begrenzter Reichweite bleibt, sehe ich keine grundlegenden Probleme für eine friedliche Koexistenz mit dem offiziellen Geld, also dem Euro. Bei Bitcoins & Co sehe ich solche Probleme auf Dauer schon. Es besteht heute die große Gefahr, dass die monetären Hoheitsrechte der Währung, des Geldes und des Geldschöpfungsgewinns unwiederbringlich privatisiert werden. Die Staaten würden dann monetär und finanziell allesamt total abhängig von einigen wenigen globalen Megabanken, zumal wenn auch noch das Bargeld verschwinden würde zugunsten des elekronisches Bargelds der Banken. Es wird höchste Zeit, dass die Politik und die Zentralbanken der Verselbstständigung der privaten Geldschöpfung der Banken nicht weiter tatenlos zusehen.  

Sie blicken auf eine lange Wissenschaftskarriere zurück und arbeiten seit vielen Jahrzehnten zum Geldsystem, erforschen dieses und wirken daran mit, mögliche Lösungen für die bestehenden Probleme zu finden. Glauben Sie, Sie werden ein anderes, nachhaltiges Geldsystem, noch selbst miterleben, oder rechnen Sie damit, dass erst ihre Enkelgeneration einen Umbau des Geldsystems wagen wird?

Wie gesagt, vorhersagen kann ich nichts, aber ich denke schon, dass eine Vollgeldreform in der Entwicklungslogik eines modernen Geld- und Finanzsystems liegt. Dahinter steht auch die Gewissheit, dass Privatwährungen ohne staatliche Überstützung und staatliche Rettung im Krisenfall auf Dauer nicht überlebensfähig sind. Aber eine staatliche Bestandsgarantie für privates Geld und private Bankengewinne, das empfindet man dann doch als eine höchst ungerechte Privilegierung. Das ist ein Fremdkörper im Rechtsempfinden einer Leistungsgesellschaft. Man hat das zuletzt zähneknirschend hingenommen, weil wir formal noch so ein undurchsichtiges teils staatliches, teils privates Geldmischsystem haben. Bei blankem Privatgeld wäre mit der Erpressbarkeit des Staats durch die Banken Schluss. Mit Vollgeld sowieso.   

Vielen Dank für das Interview

Text und Interviewfragen von RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild

Zum Thema auch: Vollgeldreform und Monetative. Vortrag Prof. Dr. Joseph Huber in Berlin, Abgeordnetenhaus (10. Mai 2012):

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