Wirtschaft

Entdollarisierung der Weltwirtschaft: Finanzexperte Lucas Zeise im Interview

Immer mehr Staaten gehen dazu über, ihren Handel nicht mehr über den Dollar abzuwickeln. Auch die finanzielle Hegemonie der USA wird zunehmend hinterfragt. Wir sprachen mit dem erfahrenen Finanzjournalisten Lucas Zeise über diese Entwicklungen in der Weltwirtschaft.
Entdollarisierung der Weltwirtschaft: Finanzexperte Lucas Zeise im InterviewQuelle: www.globallookpress.com © Michael Weber/imageBROKER.com

Lucas Zeise arbeitete als Finanzjournalist, unter anderem bei der Börsen-Zeitung und der Financial Times Deutschland. Nach seiner Verrentung machte er seine Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei bekannt. Seither erscheinen seine Veröffentlichungen in linken Zeitungen. Sein Hauptinteresse gilt der Funktion des Geldes. Das Gespräch führte Dennis Simon.

Durch welche Umstände erlangte der Dollar seine herausragende Bedeutung für die Weltwirtschaft?

Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden die USA zur führenden, größten und schnell wachsenden Volkswirtschaft. Nach dem Weltkrieg verlor deshalb das bis dahin führende englische Pfund seine Führungsrolle. In der Finanzdiplomatie war London auch in den 20er-Jahren noch führend. Aber spätestens 1929 im großen Crash wurde klar, dass der Dollar führend war. Anders ausgedrückt, weil die USA und der Dollar-Finanzmarkt einen Crash erlebten, folgte der Rest der Welt.

Welchen Einfluss haben die USA auf das internationale Finanzsystem, und worauf ist dieser Einfluss zurückzuführen?

Im Abkommen von Bretton Woods (1944) wurde die bereits faktisch führende Rolle der USA und des Dollar auch vertraglich festgelegt. Der Dollar wurde offiziell Leitwährung, nur er war an das Gold gebunden. Der IWF (Internationale Währungsfonds) sollte die Finanzbeziehungen zwischen den Staaten regeln. Die USA waren und sind der bei weitem größte "Aktionär" dieser Institution. Der Sitz des IWF (und der Weltbank) ist Washington, in derselben Straße wie das US-Finanzministerium. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, dass kein Satz oder gar Aufsatz den IWF verlässt, der nicht zuvor vom US-Finanzministerium gebilligt worden ist. Das gilt umso mehr für die Kreditvergaben des IWF. Deutschland (oder genauer die Deutsche Bundesbank) hat Kritik an der Kreditvergabe des IWF geübt, weil sie angeblich zu freigiebig war, speziell im Fall lateinamerikanischer Länder.

Das ist die politische Seite. Wichtiger, aber damit zusammenhängend ist die führende Rolle der US-Banken im Weltfinanzsystem. Die hat sich in den letzten drei Jahrzehnten noch schärfer ausgeprägt. Die US-Banken und die neuen Finanzakteure wie Hedgefonds und Private Equity Fonds, aber auch die Publikumsfonds wie Blackrock sind in den Finanzmärkten vieler Staaten außerhalb der USA zu den führenden Akteuren geworden.

Warum streben immer mehr Staaten danach, ihren Handel in anderen Währungen als dem Dollar abzuwickeln?

Jeder Ex- oder Importeur zieht es vor, seinen Handel in der heimischen Währung abrechnen zu können. Er hat dann kein Währungsrisiko. Aber, je unbedeutender das Heimatland, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Handelspartner diese Währung akzeptieren. Der Dollar als weltweit am besten akzeptierte Währung ist oft auch die Währung, wenn die Handelspartner aus unbedeutenden oder bedeutenden Drittstaaten miteinander abrechnen. Einer der guten Gründe für die Schaffung des Euro war es, dass diese absurde Praxis in Westeuropa ein Ende fand, etwa wenn eine portugiesische Firma mit einer italienischen Handel trieb und die Rechnung zweimal am Devisenmarkt – von Escudo in Dollar und dann von Dollar in Lire – getauscht werden musste.

An den international ziemlich einheitlich organisierten Rohstoffmärkten ist der Dollar einheitliche Praxis. An den Börsen werden die Preise in Dollar festgestellt. Der Handel in einer Währung ist für alle Händler von Vorteil. In dem Maße, wie die US-Regierung versucht, die Abrechnung in Dollar für einige Marktteilnehmer zu behindern, ergibt sich die Notwendigkeit auf andere Währungen auszuweichen. Es motiviert diese Staaten dazu, generell auf andere Währungen auszuweichen.

Durch welche finanzielle und finanzpolitische Mittel können die USA Druck auf missliebige Länder ausüben?

Das ist eine ungeheure Vielzahl von Mitteln, hier eine Auswahl:

- Zölle, ungünstige Handelsverträge, Sperrung des US-Marktes

- Benachteiligung bei der Kreditvergabe durch private US-Banken oder auch Institutionen wie die Weltbank

- Beschränkung der Kapitalimporte in die USA oder umgekehrt des Kapitalexports aus den USA in das entsprechende Land

Die USA sind in der Lage, alle angeführten Maßnahmen auch von ihren Verbündeten zu verlangen und das auch durchzusetzen. Wie der Fall Iran zeigt, machen die USA von dieser Macht auch Gebrauch.

- Embargo, Wirtschaftssanktionen, strafrechtliche Verfolgung missliebiger Einzelpersonen in den USA und im befreundeten Ausland

- Beschränkung des Geldtransfers durch Gesetze (Geldwäschegesetze beispielsweise) oder durch Anweisungen an Swift (die europäische Geldtransfergenossenschaft der Banken) oder durch Hinweise an Bankenaufsichtsbehörden außerhalb der USA

Die einseitigen US-Sanktionen gegen den Iran sind gegen den erklärten Willen anderer westlicher Staaten in aller Öffentlichkeit mit der Drohung durchgesetzt worden, dass Unternehmen bei Zuwiderhandlung kein Zugang zum US-Markt mehr gewährt werden kann.

Welche wirtschaftliche Faktoren wirken auf die Haltung der EU und v. a. Deutschlands in den wirtschaftlichen Kämpfen der USA gegen verfeindete Staaten wie den Iran, Kuba, Russland und China?

Über die Haltung der EU kann ich hier nichts sagen, denn die Interessen der anderen EU-Länder sind oft anders als die der deutschen Großunternehmen. Zu Deutschland: An Kuba besteht so gut wie kein Interesse. Das Interesse an ganz Lateinamerika ist dagegen sehr groß. Deutschland und seine Unternehmen akzeptieren die Monroe-Doktrin: wonach nur die USA politisch bestimmen, was geschieht. Die Deutschen konnten sehr gut in Lateinamerika Geschäfte machen. Das gilt auch für jene Länder und jene Perioden, in denen Lateinamerika gegen die US-Herrschaft rebellierte.

Ganz anders der Iran: Die USA haben die deutschen Kapitalisten nun schon zum zweiten Mal gezwungen, ihre engen und profitablen Beziehungen mit dem Iran aufzugeben. Reaktion der deutschen Regierung: unterdrückter Ärger und Versuche, sich den Anschein zu geben, als werde sie etwas gegen diese politökonomische Erpressung unternehmen.

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in den 60er-Jahren hat Westdeutschland die wichtigen Gas-Röhren-Geschäfte mit der Sowjetunion gegen den Widerstand der USA durchgesetzt. Ähnlich heute das Beharren auf den Gas-Pipelines durch die Ostsee. Wie vor 55 Jahren geht der Widerstand in diesem einen Punkt einher mit völliger Akzeptanz der Wirtschaftssanktionen der NATO, obwohl sie auch von einem Teil der deutschen Unternehmen als extrem schädlich empfunden werden. Der Markt Russland ist attraktiv. In den Köpfen allerdings gibt es die irreale Vorstellung eines ebenso attraktiven russischen Marktes, der aber wie zu Zeiten Jelzins von einer schwachen und botmäßigen Regierung gesteuert würde.

China ist mittlerweile so wichtig, dass auf diesen Markt nicht verzichtet werden kann. Als Konkurrent spielt das Land eine ähnliche Rolle wie noch vor 30 Jahren Japan. Einen Handelskrieg, wie ihn die USA führen, kann sich Deutschland ohnehin nicht, ja nicht einmal eine einige EU leisten. Den Gedanken, mit China (vielleicht sogar mit Russland) eine Front gegen die wirtschaftlich destruktive US-Politik zu bilden, wagt man nicht einmal zu denken.

Wie bewerten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Europa aufgrund der Verschiebungen in den wirtschaftlichen und geopolitischen Machtverhältnissen sich von seinen transatlantischen Ketten emanzipieren könnte?

Diese Wahrscheinlichkeit scheint mir nahe null zu sein.

Wie realistisch ist es, dass in einigen Jahrzehnten die USA bzw. der US-Dollar ihre hegemoniale Rolle in der Weltwirtschaft abgetreten haben werden? Und sehen Sie diese potentielle Entwicklung eher positiv, oder birgt sie neue Gefahren in sich?

Die Geschichte treibt vermutlich in diese Richtung. Erstens wegen der fortdauernden Schwäche der USA (und Westeuropas). Zweitens, weil viele sich schneller entwickelnde Länder und ihre herrschenden Klassen ein Interesse daran haben, sich der Dollar- und US-Herrschaft zu entledigen. Wenn das ohne große Kriege gelänge, wäre das geschichtlich etwas Neues.

Vielen Dank für das Gespräch!

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