Wirtschaft

Finanzexperte im Exklusiv-Interview: Schwächere Staaten werden wahrscheinlich Euro verlassen müssen

Der Finanzexperte Lucas Zeise stellt einen Systemfehler im Eurosystem fest: Starke Staaten würden bevorteilt werden, und schwache benachteiligt. Langfristig müssten daher die Schwachen ausscheiden, wenn sie nicht subventioniert werden.
Finanzexperte im Exklusiv-Interview: Schwächere Staaten werden wahrscheinlich Euro verlassen müssen Quelle: www.globallookpress.com © imago stock&people/Christian Ohde

Lucas Zeise arbeitete als Finanzjournalist, unter anderem bei der Börsen-Zeitung und der Financial Times Deutschland. Nach seiner Verrentung machte er seine Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei bekannt. Seither erscheinen seine Veröffentlichungen in linken Zeitungen. Sein Hauptinteresse gilt der Funktion des Geldes. Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow.

Welchen Einfluss wird die Ablehnung von Italiens Haushalt durch Brüssel auf die finanzielle Stabilität Italiens und der Eurozone haben?

Zunächst mal gar keinen. Weder Italien noch die Eurozone geraten durch diesen Streit über den Staatshaushalt Italiens in größere Schwierigkeiten als zuvor. Wenn der italienische Staatshaushalt vom Parlament in Rom verabschiedet ist, kann er vollzogen werden. Einziger Einwand: Es könnte für Italien schwieriger werden, die nötigen Schulden aufzunehmen, weil die EU-Institutionen diesen Streit hochkochen. Tatsächlich sind die Renditen italienischer Staatsanleihen im Frühsommer kräftig gestiegen.

Warum verhängt die EU bzw. die Eurozone einerseits Strafmaßnahmen wegen Nichteinhaltung des Maastricht-Vertrages gegen unliebsame Regierungen, lässt aber andererseits Sanktionen gegen andere Länder fallen (in der Vergangenheit auch u.a. Deutschland und Frankreich)?

Weil auch in diesem Bündnis angeblich gleichberechtigter Staaten einige gleicher sind, als andere. Es wird normalerweise auch von den kleineren Ländern als selbstverständlich akzeptiert, dass Frankreich und Deutschland den Ton angeben. Schlimm an der Sache ist die Verschärfung der Maastricht-Kriterien in der Eurozone, die von Deutschland vorangetrieben wurde, die erstens eine Ausdehnung der "Schuldenbremse" auf die EU-Länder und zweitens ein Mitspracherecht der EU über die Erstellung der nationalen Budgets installierte.

Welche mittel- und langfristigen Konsequenzen für die Eurozone würden sich ergeben, sollte der Streit zwischen Brüssel und Rom weiter eskalieren?

Vermutlich wird dieser Streit speziell nicht weiter eskalieren. Das Verfahren der Kommission gegen Italien zieht sich über Jahre hin. Bis dahin haben die Euroländer ganz andere Probleme.

Welche finanziellen und politischen Mittel stehen Brüssel bzw. den tonangebenden Kräften in der EZB zur Verfügung, um Druck auszuüben bei Streitigkeiten mit Staaten wie Griechenland und Rom?

Das schärfste Mittel ist die Provokation einer Finanzkrise. Aber auch dazu bedarf es eines Anlasses. Die Probleme italienischer Banken könnten ein Anlass sein. Das letzte Mal wurde eine staatliche Stützung der schwachen "Monte dei Paschi" von Brüssel, der EZB und den Finanzministern akzeptiert. Aber das war noch vor dem Regierungswechsel in Rom. Es ist schwer für Brüssel, Frankfurt und Berlin, solche Krisen gegen Italien zu nutzen, ohne selber erheblichen Schaden zu nehmen. Die deutschen Banken zum Beispiel sind selber ziemlich schwächlich. Italien ist zu groß, als dass man es sich leisten könnte wie im Fall Griechenland mit dem Rausschmiss aus der Eurozone oder auch nur "Strafen" zu drohen.

Die italienische, nicht genehme Regierung, wird aber wohl durch eine Kombination von etwas Druck der Finanzmärkte, Auflagen der EZB und der EU-Kommission sowie vor allem italienischer Institutionen selber wie von der Banca d'Italia, zu Fall gebracht werden können.

Sind die immer wieder auftretenden Finanzkrisen in der Eurozone nur Betriebsfehler, oder liegt ein Systemfehler vor?

Es liegt ein Systemfehler vor. In einem völlig freien Binnenmarkt mit einheitlicher Währung gelten kein einheitliches staatliches Recht, keine einheitlichen Steuern, sondern ein so genannter "Wettbewerb" der Staaten um die Gunst des Kapitals. Das führt zwangsläufig zu einer Stärkung der ohnehin Starken, und einer Schwächung der Schwachen. Also müssen die armen Länder (plus deren Unternehmen und Banken) immer wieder subventioniert werden, oder ausscheiden.

Rechtskonservative Kreise in der Bundesrepublik erklären immer wieder, der Euro wäre für die deutsche Wirtschaft schlecht gewesen. Wie bewerten Sie die Einführung des Euros?

Meines Wissens unterstützen die meisten "rechtskonservativen Kreise", also die CDU/CSU und die AfD, die EU und den Euro. Ein Teil davon weist mit einem gewissen Recht darauf hin, dass die Sache für den deutschen Steuerzahler teuer werden kann und zum Teil schon geworden ist.

Einige linke Ökonomen argumentieren, die Einführung des Euros sei zwar ein Fehler gewesen, doch eine Rückkehr zu einer Nationalwährung sei zumindest in Krisenzeiten nicht realistisch. Daher müsse man alles tun, um in der Eurozone zu bleiben. Wie sehen Sie das?

Es wird den schwächeren Ländern wahrscheinlich nichts anderes übrig bleiben, als den Euro zu verlassen. Zu glauben, das könne krisenfrei geschehen, glaubt im Ernst niemand. Es kann also nur darum gehen, die Sache möglichst harmlos abzuwickeln. Nach wie vor halte ich es für am besten, einen gemeinsamen Schuldenschnitt über die Staatshaushalte der Euroländer durchzuführen und gleichzeitig allen Ländern die Möglichkeit zu geben, eigene nationale Währungen wieder einzuführen. Ganz so utopisch, wie es klingt, ist der Vorschlag nicht. Inmitten von Finanzkrisen geschehen erstaunliche Dinge.

Vielen Dank für das Gespräch!

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