Russland

"Aus Angst vor Mord durch britischen Geheimdienst" – Exilrusse flüchtet aus London nach Russland

Bis März 2018 war der russische Unternehmer Sergei Kaptschuk ein Elite-Asylant in London. Nach Beginn der Skripal-Affäre floh Kaptschuk nach Russland. Als Motive nannte er die Angst vor Ermordung durch britische Geheimdienste, die planen, dem Kreml einen weiteren Mord anzuhängen.
"Aus Angst vor Mord durch britischen Geheimdienst" – Exilrusse flüchtet aus London nach Russland© Bloomberg

In der Hochphase der Skripal-Affäre im März sollte der Exilrusse Sergej Kaptschuk laut britischen Medien Angst vor Putin haben, denn er könnte "das nächste Opfer" russischer Geheimdienste sein. Als einer der ganz wenigen russischen Justizflüchtlinge erhielt er im Jahre 2010 politisches Asyl in London, ausgewandert war er bereits 2005.

Spätestens nach dem ungeklärten Erstickungstod des russischen Unternehmers und Beresowski-Vertrauten Nikolai Gluschkow am 12. März in London hatten die britischen Medien Kaptschuk für sich entdeckt. Für sie war er "der Nächste aus der Liste", denn sowohl Gluschkow als auch Kaptschuk standen auf der von der russischen Botschaft veröffentlichen Liste flüchtiger Unternehmer. Alle aus der Liste haben etwas gemeinsam: Gegen sie wird in Russland ermittelt, und sie bestreiten ihre Schuld.

Mehr zum Thema - Wegen Sanktionen: Immer mehr Russen holen ihr Geld aus dem Ausland zurück

Diese Liste, veröffentlicht noch im Februar 2018, sollte allerdings eine Einladung für Verhandlungen über eine mögliche Rückkehr sein. Die britischen Medien hätten diese Liste kurzerhand zu einer "Erschießungsliste" Putins umgedeutet, so Kaptschuk in einem Interview mit der russischen Zeitung KP. Er war nun für sie ein willkommener Gast. Doch ausgerechnet ein Interview mit britischen Medien hat ihn endgültig umgestimmt und zur erneuten Flucht veranlasst – diesmal zurück nach Russland.

Wie Kaptschuk später erzählte, habe der britische TV-Sender Sky News eine attraktive junge Frau als Lockvogel für ein Interview am 15. März bei ihm zu Hause eingesetzt. Sie sagte, es lägen Informationen vor, dass Kaptschuk das nächste Opfer Russlands sein werde. Statt der Journalistin sei aber ein Hüne zu ihm gekommen, der viel eher einem Aufklärungsoffizier ähnelte. "Weiß du, was passiert ist? Die Russen haben uns mit Gas attackiert. Dann töteten sie Gluschkow, verstehst du, dass du der Nächste sein wirst", soll der "Offizier" gesagt haben. Er schaltete die Kamera ein und fragte auffordernd: "Wähle, auf welcher Seite du stehst, auf der Russlands oder auf der Großbritanniens."

Er bat mich, vor laufender Kamera eine Videobotschaft an Putin und an Russland aufzunehmen. Ich sollte gegen sie sein. Als ich dies ablehnte, war er sehr erbost", sagte Kaptschuk eine Woche später der russischen Zeitung KP.

Das Interview wurde trotzdem ausgestrahlt – in einer Länge von einer Minute. Im Gespräch ging es darum, dass Kaptschuk sich nicht mehr sicher fühle und  Bodyguards beschäftigen müsse. "Trotzdem haben die englischen Medien mich weiterhin als nächstes Opfer Putins inszeniert, da ich sein scharfer Kritiker sei, obwohl ich mich nicht politisch betätige", so Kaptschuk.

Was in den Wochen nach dem Sky-News-Interview passierte, könnte einem zweitklassigen Abenteuerroman entstammen. Kaptschuk, der sich für einen erfolgreichen Neu-Londoner hielt und sich sogar den englischen Namen Windsor annahm, begab sich auf eine Europa-Reise. Er übernachtete kaum mehr als eine Nacht an einem Ort, traf sich zu Beratungen mit israelischen Geheimdienstlern. In dieser Zeit kam er zu dem Schluss, dass die britische Version, wonach Russland die Skripals mit Nowitschok beseitigen wollte, absurd sei. Viel eher glaube er an eine Provokation der britischen Geheimdienste und sah sich zunehmend in Gefahr – durch Großbritannien.

Mehr zum ThemaMordsache Skripal: Die fraglichen Beweismittel von Scotland Yard - Wo sind die Skripals? (Teil 3)

Die britischen Geheimdienste wären im Gegensatz zu Russland durchaus an einem Anschlag auf mich interessiert. Ihr Ziel ist die Anschwärzung Putins und die Dämonisierung seines Images, was jetzt in der westlichen Presse aktiv stattfindet", sagte Kaptschuk im Interview.

Die ersten besorgten Anrufe von Bekannten seien während der Ausstrahlung der BBC-Serie McMafia über die "russische Mafia" erfolgt. In einem der Protagonisten hätten sie ihn erkannt, erzählte Kaptschuk im Gespräch mit dem russischen Portal znak.com. Die Ausstrahlung endete vier Tage vor der Skripal-Vergiftung. "Später verstand ich, dass dies die ersten Schritte einer Kampagne zur Manipulierung der öffentlichen Meinung gegen Russland gewesen sind", sagte er.

Seine Flucht durch Europa führte ihn nach Kroatien, wo sein Neffe wohnt. An der Grenze zu Kroatien erfuhr der 46-Jährige, dass sein britisches Visum annulliert worden war. Die kroatischen Beamten beschlagnahmten auf britisches Gesuch hin seinen Pass, er konnte sich aber vorerst frei im Land bewegen. Unterschlupf fand er in einer Mietwohnung in der Küstenstadt Rijeka. Als seine Vermieterin den Neffen anrief und ihm mitteilte, dass ein Polizeikommando hinter ihm her sei, nahm Kaptschuk sein Handy mit und flüchtete in einen Wald am Stadtrand.

Von dort rief er Boris Titow an, den Ombudsmann für den Schutz der Unternehmerrechte beim russischen Präsidenten. Mit ihm stand Kaptschuk schon zuvor in den Verhandlungen über eine mögliche Rückkehr. Dieser ließ einen Wagen der russischen Botschaft nach Rijeka schicken und ihn in einer Nacht-und-Nebel Aktion aus dem Wald abholen. Die kroatischen Behörden wollten Kaptschuk nach Großbrittanien ausliefern, was ein Skandal gewesen wäre, da er keine Probleme mit der britischen Justiz hatte. Drei Wochen dauerten die Verhandlungen über die Ausreise nach Russland, bis der Londoner Flüchtling in Begleitung des Botschafters Anwar Asimow am 15. Juni die Grenzkontrolle in Richtung Russland passieren durfte. Zu diesem Zeitpunkt waren alle britischen Bankkarten des Unternehmers gesperrt und seine Bankkonten längst eingefroren.

Mehr zum ThemaZur Geschichte der Fake-News: Wie der "Sinowjew-Brief" ab 1924 die internationale Politik sprengte

In Russland wird Sergej Kaptschuk Betrug und Veruntreuung von zwei Milliarden Rubel zur Last gelegt, diese hätte er begangen, als er noch Abgeordneter in der Gebietsduma der Oblast Swerdlowsk war (Anm. der Red.: Gebietshauptstadt ist die Ural-MetropoleJekaterinburg). Der Unternehmer bestreitet die Vorwürfe und erklärt sie mit Intrigen vonseiten einer Allianz aus Konkurrenten, Beamten und Kriminellen, die er an der feindlichen Übernahmen seines metallurgischen Werkes hinderte. Am 18. September bekam Sergej Kaptschuk seinen russischen Pass, mit ihm flog er in seine Heimatstadt Jekaterinburg. Dennoch befindet er sich immer noch unter Aufsicht des FSB. Das russische Ermittlungskommitee hat seinen Fall bereits an das Innenministerium übergeben. Wie das Gericht in seinem Fall am Ende entscheiden wird, ist ungewiss.

Boris Titow, der im März 2018 selbst für die Wachstumspartei für das Amt des Präsidenten kandidierte, setzt sich für die Rückkehr der flüchtigen russischen Unternehmer ein. Neben Kaptschuk hatten bereits vier andere russische Unternehmer von dem Repatriantenprogramm Gebrauch gemacht – von den 41 anfänglich gelisteten. Die Straffreiheit für die Rückkehrer kann auch Titow nicht garantieren. Die Rückkehr sei mit Risiken verbunden, dies sei aber immer noch besser, als lebenslang in Deckung zu leben, sagt er.

Sergei Kaptschuk betrieb in London ein Immobilienunternehmen und galt als luxusverwöhnter Lebemann. Er habe immer noch Sehnsucht nach London, mehr sogar als nach Russland seinerzeit, schreibt das US-Medium Bloomberg. Er sei sich aber sicher, dass er seinen guten Namen wieder zurückbekommen und seinen Traum – die Wahl in die Staatsduma – verwirklichen könne. Es gebe keinen Weg zurück, so Kaptschuk.

Mehr zum ThemaMordfall Litwinenko: Ermittlungsdokumente entlasten russische Hauptverdächtige

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.