Russland

Rentenreform in Russland: Tausende Demonstranten folgen dem Aufruf der KP - inklusive Nawalny

Am vergangenen Wochenende fanden in verschiedenen russischen Städten Proteste gegen die geplante Rentenform statt. Auch des Westens Lieblingskandidat Alexei Nawalny brach seinen Kalifornienurlaub ab, um sich an den Demonstrationen der KP zu beteiligen.
Rentenreform in Russland: Tausende Demonstranten folgen dem Aufruf der KP - inklusive Nawalny

Die vom russischen Parlament am 19. Juli mit 328 zu 104 Stimmen verabschiedete Rentenreform sieht eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters für Männer von 60 auf 65 Jahre bis zum Jahr 2028, für Frauen von gegenwärtig 55 auf 63 Jahre bis 2034 vor. Damit würde sich Russlands Renteneintrittsalter dem Niveau der meisten europäischen Länder anpassen, lediglich in Frankreich gehen Monsieur und Madame mit jeweils 60 Jahren in Rente.

Eine Rentenreform wird in Russland schon seit 20 Jahren diskutiert, aber stets als zu heißes Eisen betrachtet. Dazu kommt, dass Präsident Wladimir Putin am Ende seiner ersten Amtszeit sagte, dass es mit ihm als Präsidenten zu keiner Erhöhung des Renteneintrittsalters kommen werde. Nun werfen ihm nicht nur Kritiker, sondern auch ein großer Teil des Wahlvolks Wortbruch vor. Unmut herrscht auch über den Zeitpunkt der Ankündigung der geplanten Reform: Ministerpräsident Dmitri Medwedew informierte die Duma (das russische Parlament) nur einen Tag vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Der Vorwurf lautet, dass diese unbeliebte Maßnahme im Schatten der Weltmeisterschaft und den Sommerferien abgehandelt worden sei, während die meisten Menschen andere Dinge als Politik im Kopf haben.

Das Problem in Russland ist die demografische Situation. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgten katastrophale Jahre für die Volkswirtschaft, in denen die Lebenserwartung der Menschen auf knapp über 60 Jahre fiel. Schuld daran war "einer der größten Sozialraube in der Menschheit", wie US-Senator Jim Leach die von den USA angeführte Demokratisierung und Liberalisierung Russlands nannte, als Millionen von Menschen durch den Verlust des Sozialsystems aus verschiedenen Gründen ihr Leben verloren haben.

Das alles hat sich seit Wladimir Putins Amtsantritt verändert. Das Land stabilisierte sich wirtschaftlich, und die Lebenserwartung stieg allmählich wieder an. Die Geburtenrate erreichte erst 2011, nach exakt 20 Jahren, wieder den Wert von 1991. Das bedeutet, dass Russland 20 Jahre lang, Jahr für Jahr, an Bevölkerung und somit Einzahlern in die Rentenkasse verloren hat. Für das größte Land der Welt kommt eine schwindende Bevölkerung einem Todesurteil gleich.

Eine Rentenreform war also ein nationales Projekt von allerhöchster Priorität, um auch künftig die Rentenzahlungen sichern zu können. Dass die arbeitende Bevölkerung diesen Schritt nicht unbedingt mit Enthusiasmus begrüßt, ist wahrscheinlich nur allzu menschlich und verständlich. Wer möchte schon nach einem Leben voller harter Arbeit freiwillig noch fünf (bei Männern) oder sogar acht Jahre (bei Frauen) länger arbeiten müssen, um das zu bekommen, was einem zusteht?

Diese Ablehnung zeigt sich auch in aktuellen Umfragen. Über 80 Prozent der Befragten lehnen diese Rentenreform ab, die Zustimmungswerte für Wladimir Putin liegen unter 38 Prozent, dem tiefsten Wert seit 2011.

Viele Demonstranten, die sich an den von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation organisierten Proteste am vergangen Wochenende beteiligten, haben zum Ausdruck gebracht, dass sie aufgrund der Erhöhung des Renteneintrittsalters ihre eigene Rente womöglich nicht mehr erleben werden. Wie zum Beispiel ein 54-jähriger Mann, auf dessenn Plakat die Namen fünf ehemaliger Klassenkameraden stehen, die bereits verstorben sind. Aus welchen Gründen diese Männer gestorben sind, steht da natürlich nicht und ist im Grunde auch unerheblich. Denn trotz der auf durchschnittlich 72,5 Jahre gestiegenen Lebenserwartung in Russland gibt es erhebliche regionale Unterschiede.

Am ältesten werden die Menschen laut der russischen Bundesstatistik EMISS in den kaukasischen Republiken Inguschetien (80,8 Jahre) und Dagestan (77,2 Jahre), dann erst kommt Moskau mit 77,1 Jahren. Die niedrigste Lebenserwartung haben die Menschen in der autonomen Republik Tuwa (ca. 308.000 Einwohner) im südlichen Teil Sibiriens mit nur 64,2 Jahren, im durch die Beringstraße von Alaska getrennten Autonomen Kreis der Tschuktschen (ca. 51.000 Einwohner) und in der an der Grenze zu China liegenden Jüdischen Autonomen Oblast (ca. 177.000 Einwohner, von denen nur 0,9 Prozent tatsächlich Juden sind).

Noch frappierender wird der Unterschied zwischen Mann und Frau: im Jahr 2016 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau 77,1 Jahre, die des Mannes aber nur 66,5 Jahre.

Statistisch gesehen, werden die Männer also ihr Rentenalter erreichen und etwas genießen können. Aber man kann auch nicht völlig die Behauptung einer der Demonstranten von der Hand weisen, dass sie womöglich ihre eigene Rente durch die Reform nicht mehr erleben werde. Grundsätzlich ist es aber schon so, dass es eine richtige und wichtige Reform ist, da das gegenwärtige Rentensystem auf den Gesetzen von 1936 beruht, als die Lebenserwartung nach dem Großen Terror nur noch 35,7 Jahre für Männer und 41,9 Jahre für Frauen betrug.

Oppositionspolitiker Nawalny unterbricht Urlaub für Demo in Moskau

Wenn es einen Preis für Opportunismus gäbe, dann wäre der im Westen zur Stimme der unterdrückten Russen hochstilisierte Oppositionspolitiker Alexei Nawalny ein Anwärter dafür. Er selbst rief seine Anhänger am 23. Juni zu landesweitem Protest am 1. Juli gegen die dann erst angekündigten Reformpläne auf - mit eher mäßigem Erfolg. Auf seiner Internetseite gratuliert sich Nawalny selbst zum "großartigen Erfolg", den seine Anhänger in angeblich 39 russischen Städten organisiert hätten. Schaut man sich aber das Video an, das er auf Youtube hochgeladen hat, dann kann man nicht so recht erkennen, welchen Erfolg Nawalny gemeint hat.

Deshalb unterbrach der 42-jährige Politiker kurzerhand seinen Road Trip durch die Vereinigten Staaten von Amerika, um sich ein Bild davon zu machen, wie Proteste aussehen, wenn die Kommunistische Partei zu Demonstrationen aufruft. Inmitten der laut der Organisatoren 30.000 Demonstranten in Moskau, kann man Alexei Nawalny beim Selfiemachen erkennen. Natürlich schön braungebrannt, wie es sich für einen vom Westen unterstützten Politiker gehört. Wer für diese Reisen Nawalnys in den vergangenen Monaten nach Deutschland, Ägypten, Lettland, Ungarn, Polen, Italien und jetzt in die USA aufkommt, bleibt ein offenes Geheimnis.

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