Russland

Was haben Merkel, Reitkuh Luna und NATO-Übungen gemeinsam? Deutschlandbild im russischen Fernsehen

Es ist bekannt, dass Russland in deutschen Medien sehr schlecht wegkommt. Aber wie sieht es mit dem Deutschlandbild bei den Russen aus? Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität belegt: Russlands Fernsehen ist zwar auch tendenziös, aber nicht feindselig.
Was haben Merkel, Reitkuh Luna und NATO-Übungen gemeinsam? Deutschlandbild im russischen FernsehenQuelle: Reuters

Nun ist es "amtlich": Das Russlandbild im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen deckt sich weitgehend mit der Perspektive der Bundesregierung und insgesamt sei es Ausdruck einer Projektion auf das Land durch eine westliche, wertegeprägten Brille. Zu diesem Schluss kommt Daria Gordeewa in ihrer Masterarbeit "Russlandbild in den deutschen Medien – Deutschlandbild in den russischen Medien; Konstruktion der außenpolitischen Realität in den TV-Hauptnachrichtensendungen", die mit dem Best Thesis Award 2017 der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ausgezeichnet wurde.

Aber auch das russische Fernsehen berichtet über Deutschland im Sinne der russischen Regierung, so das Fazit der Autorin. Dies ist allerdings wenig überraschend, wenn man die Finanzierung des in der Arbeit analysierten Perwy Kanals (Erster Kanal) betrachtet: 51 Prozent der Aktien besitzt der Staat, während der Rest im privaten Besitz von kremlnahen Banken und Großunternehmern sei. Dennoch: Die Tagesschau unterscheide sich "gar nicht so sehr vom russischen Fernsehen", obwohl sich durch seine Rechtsform das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf grundlegendste Weise vom russischen Staatsfernsehen abheben soll, so der Prof. Dr. Michael Meyen, der für die Arbeit im Medienblog der Universität wirbt. Und das sei ihm zufolge schon "überraschend" genug.

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Darja Gordeeva hat in ihrer Arbeit vor allem zwei Flaggschiffe des Nachrichtenfernsehens in beiden Ländern - Tagesschau und Wremja (Die Zeit) - im Zeitraum von Dezember 2016 bis Mai 2017 einer Diskursanalyse unterzogen: Die 15-minütige Tagesschau um 20 Uhr und die 30-minütige Wremja um 21 Uhr sollen wie kein anderes Medium in ihren jeweiligen Ländern für die Meinungsbildung der Bürger stehen. Gordeewa untersuchte allerdings nur deutsche Beiträge mit Russland-Bezug und umgekehrt: insgesamt 47 der Tagesschau, 42 der Wremja.

"Unsere" und "Nicht-Unsere"

Nach einer detailreichen Analyse mit vielen Verweisen und Zitaten kommt die Autorin zu einer beunruhigenden Schlussfolgerung: Beide Medien liefern eine einseitige und tendenziöse Berichterstattung, die Beitragsautoren und Nachrichtensprecher verzichten auf Perspektivenwechsel und greifen auf gewohnte Muster, Klischees und bestehende Freund-Feind-Bilder zurück. Damit sei die Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges bis heute nicht überwunden. Dieser Logik folgend seien sowohl das russische als auch das deutsche Medium gleichermaßen für die negativen Fremdbilder und gegenseitigen Stereotypen in der jeweiligen Bevölkerung ihrer Länder verantwortlich. Ein genauer Blick in die Arbeit ergibt jedoch ein viel differenzierteres Bild.

Eine Ähnlichkeit in der Nachrichtenstruktur beider Sendungen ergibt sich vor allem durch die Unterscheidung der Protagonisten in In- und Outgroup. Zu den "Unseren" gehört in der Tagesschau beispielsweise die dem Westen wohlgesonnene Opposition in Russland. Diese wird mit den gestalterischen Mitteln der Bildsetzung und Sprache idealisiert dargestellt. Auf der Basis der "unseren", der "richtigen", der "demokratischen" Werte, wie sie "uns" als Westen definieren, kritisieren die Tagesschau und diejenigen, die für sie zur In-Group gehören, die russische Regierung und den Präsidenten Wladimir Putin für das vermeintliche Fehlen solcher scharf. Bei Wremja kann hingegen auch jemand aus der deutschen politischen Elite zur so genannten In-Group gehören wie Horst Seehofer, wenn dieser beispielsweise für die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen mittels einer Aufhebung der Sanktionen eintritt.

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In diesem Kontext gehört Angela Merkel im russischen Fernsehen ebenso wie weitere deutsche Politiker, die Sanktionen gegen Russland als Druckmittel verteidigen, zur Outgroup. Das zeigt sich spätestens dann, wenn sie zum wiederholten Mal durch antirussische Rhetorik auffällt. Trotzdem wurde zu Beginn des Untersuchungszeitraums, im Dezember 2016 noch vor dem Berliner Terroranschlag, in Wremja-Beiträgen ein tendenziell positives Bild der Bundeskanzlerin konstruiert. Grund dafür war ihr zumindest rhetorisches Umschwenken gegenüber ihrer zuvor praktizierten Flüchtlingspolitik.

Die Aufnahme von Horst Seehofer in die In-Group bei Wremja zeigt, wie wichtig die Wirtschaftsräume und das Thema der Kooperation mit Deutschland für die russischen Nachrichten sind. Im Unterschied dazu berichtete die Tagesschau im untersuchten Zeitraum mit keinem Wort über die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland.

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Russland in der Tagesschau: Eine Gegenwelt zum Westen

Die "Moral" ist - ganz postmaterialistisch - dem führenden deutschen Medienformat demgegenüber wichtiger als der schnöde Gewinn aus engen Wirtschaftsbeziehungen. Von zentraler Bedeutung für die Tagesschau ist die Darstellung Russlands als düsterer Alternative zum Westen. Hierbei spielt vor allem die Personifizierung eine große Rolle:

Putin als unberechenbarer, autoritärer, verbrecherischer Politiker ist ein 'Common sense' der Tagesschau-Berichterstattung, genauso wie die pragmatische, einigungs- und lösungsorientierte Politik des Westens, die sich auf freiheitlich-demokratische Grundwerte stützt. Dem logischen, rationalen und guten Willen der westlichen Regierungen werden unzweifelhaft böse Absichten Russlands gegenübergestellt.

In diesem Zusammenhang fand sogar ein Zitat des - im Präsidentenwahlkampf 2008 noch zur Out-Group gehörigen - US-amerikanischen Senators John McCain seinen Weg in die Nachrichten, wonach Putin ein Schläger, ein Mörder, ein Killer und ein KGB-Agent sei. Er verkörpert also das Bedrohliche für den Westen, das imstande sei, ein autoritäres System zu installieren, die Medien zu kontrollieren, die Opposition "brutal" zu unterdrücken und eigene außenpolitische Einflusssphären gnadenlos zu verteidigen. Mit anderen Worten: Russland führe einen Krieg gegen das Konzept einer liberal-demokratischen, offenen Gesellschaft.

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Es ist deshalb kein Wunder, dass die Gegenüberstellung der "guten, frei denkenden Opposition" und des russischen autoritären Staates ein Lieblingsmotiv deutscher Russlandnachrichten ist. Die entsprechenden Sprachmittel sollen die Atmosphäre verdichten: "ermordet", "angegriffen" und "verurteilt", "protestieren" und "kritisieren", "Unmut", "Krieg", "verpasste Chance", "Gefangener", "Sibirien", "Haftanstalt", "Foltervorwürfe". Für Nachrichten, die im Sinne der Dichotomie "guter Westen/böses Russland" nicht verwertbar sind, hat die Tagesschau keinen Platz. Es gibt allerdings Ausnahmen wie im Falle des Berichts über den Terroranschlag in der Sankt Petersburger U-Bahn im April 2017.

Mit Russland herrschen dem deutschen Nachrichtenframe zufolge trotz aller Dialogbemühungen kaum überwindbare Meinungsverschiedenheiten. Eine "Freundschaft" mit Russland sei zudem ein "politischer Risikofaktor" - so lässt sich der Blick auf die deutsch-russischen Beziehungen aus der Tagesschau-Perspektive schlussendlich beschreiben. In den Augen der Tagesschau, die sich als hohe moralische Instanz in Szene setzt, besitzt Russland mit seiner Regierung angesichts von so viel Kritik und Skepsis vonseiten des Westens nicht die volle Legitimität.

Deutschland in der deutsch-westlichen Beziehungskiste

Sollte Wremja, wie in der Arbeit nahegelegt wird, ihrerseits die Perspektive der russischen Regierung widerspiegeln, so betrachtet dieses Format die Perspektiven der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland insgesamt viel wohlwollender:   

Trotz vieler Meinungsunterschiede bezeichnet Putin die deutsch-russischen Beziehungen als freundlich", schreibt die Autorin.

Russland würde sich ungerne mit einem "Bad State" anfreunden. Das Deutschlandbild ist daher kein bedrohliches, selbst wenn es um konfliktbeladene Themen geht. In explizitem Kontext, beispielsweise in NATO-kritischem, fungiert Deutschland oft nur als Schauplatz, beispielsweise von US-amerikanischen Militärübungen mit russischsprachigen Statisten auf deutschem Boden. Oder als solcher der Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg, den russische Einwohner Berlins an Erinnerungsorten in der deutschen Hauptstadt begehen. In diesem Kontext lassen auch solch starke Kollektivsymbole des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches wie "Hitlers Verteidigungslinie", "Hitlerleute", "Reichstag" (Wremja, 22.04.2017), "Reichskanzlei" oder "Faschismus" keinen Zusammenhang mit Deutschland und dessen Politik erkennen.

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Insgesamt sei in jenen Wremja-Beiträgen, die sich mit der Deutschland-Thematik befassen, das Themenspektrum beachtlich breit. Da gäbe es auch Platz für regionale Nachrichten und oder skurrile Geschichten aus dem Alltag der Bundesbürger: über Überraschungsei-Kapseln am Strand von Langeoog, die während eines Sturmtiefs von Bord eines Frachters gestürzt waren (Wremja, 06.01.2017), über den Wettbewerb im Tannenbaumwerfen  (Wremja, 08.01.2017) bis zur Reitkuh Luna aus Friesland(Wremja, 13.05.2017).

Diese Nachrichten sind durch den Nachrichtenfaktor Überraschung geprägt und zeichnen sich durch ihren Unterhaltungswert für die Zuschauer aus", erklärt die Autorin zu ihrer Auswahl aus dem Programm.

Die Geschichte der Reitkuh Luna: Perwy-Kanal-Reporter Iwan Blagoj, der auch als erster über den "Fall Lisa" berichtet hatte, hat eine Vorliebe für Gesellschaftsthemen.

Wremja: Flüchtlingskrise als großes Problem

Beim Themenkomplex Flüchlingskrise und damit verbundenen Sicherheitsrisiken und Terrorgefahren wird Wremja jedoch besonders ausführlich. So kommt in einem der Beiträge (vom 31.01.2017) der deutsch-pakistanische Journalist Shams ul-Haq zu Wort: Er soll sich für einen Flüchtling ausgegeben haben und konnte sich 14 Mal unter unterschiedlichen Identitäten registrieren – und nicht auffliegen. Solche Geschichten legen ein Behördenversagen angesichts der Migrationskrise nahe. Der Fall Amri, der auch in Deutschland für viel Kritik und Nachhaken bei den Medien gesorgt hatte, wäre in diesem Zusammenhang erwartungsgemäß ebenso ein "gefundenes Fressen" für das russische Fernsehen gewesen, was Darja Gordeewa in ihrer Arbeit auch bestätigt. Die aus Sankt Petersburg stammende Studentin sieht darin eine ausgeklügelte PR-Strategie:

Mit einem Bild von Deutschland als Land am Abgrund, als ein unsicherer Ort mit einer verängstigten Bevölkerung, unprofessioneller Polizei, unzuverlässigen Sicherheitsdiensten und machtlosen Politikern lässt Wremja Russland unter Putins Führung trotz vieler unübersehbarer Probleme wesentlich besser aussehen.

Damit belegt Gordeeva, dass das russische Fernsehen seinerseits ebenfalls ein tendenziöses, einseitiges Bild Deutschlands vermittelt. Aber dieses Bild - und darüber schreibt die Autorin nicht, weil solche Bewertungen anscheinend über die Ziele der Arbeit hinausgehen -, beinhaltet nichts Dämonisches und schon gar keine Bedrohung; im Unterschied zu jenem der deutschen Medien.

Umfragen: Bessere Presse gewünscht

Seit der Wende Ende der 1980er Jahre pflegen russische Medien ein ausgesprochen positives Deutschlandbild, was als langfristige Wirkung auch in den Umfragen seinen Niederschlag findet. Im Frühjahr 2008 führte das Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage in Russland und Deutschland zur gegenseitigen Wahrnehmung durch. So glaubten ganze 78 Prozent der Russen, dass die deutsch-russischen Beziehungen gut oder sehr gut sind. Ihnen standen nur 15 Prozent an Befragten gegenüber, die die Beziehungen als weniger bis gar nicht gut bezeichneten. Dieses Verhältnis war bei den Deutschen anders gewichtet: 55 gegen 33. Auch unter den Menschen, die zuvor die Frage "Ich mag die Russen/Deutschen" bejaht hatten, waren es 45 Prozent der Russen, die ein insgesamt positives Bild der Beziehungen gezeichnet haben, aber nur 25 Prozent der Deutschen. Als bedrohlich sahen das jeweils andere Land 36 Prozent der Deutschen und nur zwei Prozent der Russen an. Woher dieser Unterschied?! 

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Die Erklärung für solche deutlichen Wahrnehmungsunterschiede ist u. a. bei den Medien zu suchen. So war für ganze 56 Prozent der Russen der Medientenor über Deutschland in Russland eher positiv. Dagegen haben nur 13 Prozent der Deutschen die Berichterstattung über Russland als positiv empfunden. Nichtdestotrotz sah mit nur zwei Prozent ein ganz geringer Anteil der Menschen im jeweils anderen Land einen Feind. 

Das war im Frühjahr 2008. Mittlerweile ist die Anzahl der Russen, die in Deutschland einen Feind sehen, auf sechs Prozent gewachsen, wie jüngst eine Umfrage des Lewada-Zentrums ergab - gleich viele wie bezüglich der NATO und Großbritannien. Das ist immer noch unwesentlich - trotz Sanktionen, Spannungen und schlechterer Presse. Diese Zahl hat aber ein hohes Wachstumspotenzial. Deutschland belegt mittlerweile mit 24 Prozent hinter den USA und der Ukraine den dritten Platz bei den Russen im Ranking jener Staaten, die nach Einschätzung der Befragten Russland gegenüber feindselig sind. 

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