Bidens Äußerungen über Putin sind ein Rückfall in vulgären Rassismus

Ich bin weit davon entfernt, irgendeine Bewunderung für Donald Trump zu hegen, aber Joe Bidens Worte über den "Killer Putin" und seinen angeblichen "Mangel an Seele" ließen mich fast nostalgisch bezüglich einiger Aspekte der Trump-Jahre werden. Ein Kommentar von Slavoj Žižek.
Bidens Äußerungen über Putin sind ein Rückfall in vulgären RassismusQuelle: AFP © RIA-NOVOSTI POOL/Alexey Druzhinin

von Slavoj Žižek

Als Biden gefragt wurde, ob er glaubt, dass Putin ein Killer sei, antwortete er: "Das tue ich." Er sprach auch davon, wie er 2011, als er noch US-Vizepräsident war, Putin persönlich gesagt haben will, dass dieser "keine Seele hat." Biden: "Ich war kein Klugscheißer, ich war allein mit ihm in seinem Büro." (Was soll das bedeuten? Soll das heißen, dass es mutig ist, mit dem "seelenlosen Mörder" Putin allein zu sein?) Und weiter: "So ist es dazu gekommen. Es war, als Präsident George W. Bush gesagt hatte: 'Ich habe ihm in die Augen geschaut und seine Seele gesehen.'" Und Biden will daraufhin gesagt haben: "Ich habe Ihnen in die Augen geschaut und ich glaube nicht, dass Sie eine Seele haben. Und Putin schaute zurück und sagte: 'Wir verstehen uns.'" (Was zum Teufel sollte das bedeuten? Putins Eingeständnis, dass er keine Seele hat? Dass keiner von ihnen eine hat? Oder einfach, dass sie sich wirklich verachten?)

Putins schnelle Antwort, nachdem Biden ihn als "Killer" bezeichnet hat, war meisterhaft. Er wünschte Biden gute Gesundheit und lud ihn zu einer öffentlichen Debatte über große existenzielle und ethische Fragen auf Zoom ein. Bidens Äußerungen stehen in scharfem Kontrast zu Trump, der 2017, als Fox-News-Moderator Bill O'Reilly Putin einen "Killer" nannte, andeutete, dass Amerikas Verhalten genauso schlimm sei.

"Es gibt eine Menge Mörder, wir haben eine Menge Mörder", sagte Trump seinerzeit. "Denken Sie, unser Land ist so unschuldig?" Trump zeigte hier eine Dosis ehrlichen Realismus – so wie er auch bei einigen anderen Themen der internationalen Politik Mäßigung zeigte. So feuerte er beispielsweise John Bolton, der ein aggressiveres Vorgehen gegen den Iran und Nordkorea wollte – Trump wollte eindeutig einen Krieg vermeiden.

Man sollte sich nicht scheuen, hier noch weiterzugehen und zu argumentieren, dass es einen rationalen Kern in Trumps Handelskrieg gegen China gab: Das US-Großkapital hatte einen stillen Pakt mit China. Seine billigen Arbeitskräfte senkten nicht nur die Rohstoffpreise in den USA, sondern halfen dem Großkapital auch, Druck auf die US-Arbeiter auszuüben, ihre Löhne niedrig zu halten und ihre Arbeitslosigkeit zu erhöhen.

Die Präsidentschaft Bidens signalisiert eine interventionistische internationale Politik, eine größere Gefahr für den Weltfrieden. Bidens erste Maßnahmen (eine andere Haltung gegenüber der COVID-19-Pandemie, mehr finanzielle Hilfe für diejenigen, die unter ihren Folgen leiden) sollten uns nicht über diesen dunkleren Aspekt seiner Administration hinwegtäuschen.

Aber kehren wir zu Bidens Behauptung zurück, Putin habe keine Seele. Es handelt sich dabei schlicht um eine Projektion. Monströse Mörder sind nicht diejenigen ohne "Seele", denn es braucht eine "Seele", ein reiches Innenleben, um Fantasien zu produzieren, die ihre schrecklichen Taten irgendwie rechtfertigen. Fantasien wie die, dass ihre Feinde keine "Seele" haben, oder dass die "Seele" ihrer Feinde falsch ist. Hinter jedem großen politischen Verbrechen gibt es einen Dichter oder einen religiösen Mythos.

Zum Beispiel gibt es keine ethnische Säuberung ohne Poesie. Und warum? Weil wir in einer Ära leben, die sich als post-ideologisch versteht. Eine große "öffentliche Sache" hat nicht mehr die Kraft, die Menschen für Massengewalt zu mobilisieren. Deswegen wird eine größere heilige Sache benötigt, die kleinliche individuelle Sorgen über das Töten trivial erscheinen lässt. Religion, ethnische Zugehörigkeit oder die Qualität der "Seele" passen perfekt in diese Rolle. Natürlich gibt es Fälle von pathologischen Atheisten, die in der Lage sind, Massenmord nur zum Vergnügen zu begehen, aber das sind seltene Ausnahmen. Die Mehrheit muss gegen ihre elementare Sensibilität für das Leiden der anderen betäubt werden, und dafür braucht es eine heilige Ursache.

Religiöse Ideologen behaupten gewöhnlich, dass, ob es nun stimmt oder nicht, die Religion einige ansonsten schlechte Menschen dazu bringt, gute Dinge zu tun. Aus heutiger Erfahrung sollte man sich eher an Steve Weinbergs Behauptung halten, dass gute Menschen ohne Religion gute Dinge und schlechte Menschen schlechte Dinge getan hätten und nur die Religion gute Menschen dazu bringen kann, schlechte Dinge zu tun.

Zu leugnen, dass der politische Gegner eine Seele hat, ist nichts weniger als ein Rückfall in vulgären Rassismus, der sich mit einigen von Bidens Fauxpas reimt – zum Beispiel sagte er zur Unterstützung von Barack Obama: "Ich meine, Sie haben den ersten Mainstream-Afro-Amerikaner, der wortgewandt und klug und sauber ist und ein nett aussehender Kerl. Ich meine, das ist ein Bilderbuch, Mann."

Wenn Bidens Präsidentschaft besser ausfällt als die von Trump, wird das nicht an seiner Seele liegen. Je weniger er sich auf seine Seele verlässt, desto besser für uns alle.

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Aus dem Englischen übersetzt. Slavoj Žižek ist Kulturphilosoph. Er ist leitender Wissenschaftler am Institut für Soziologie und Philosophie der Universität Ljubljana, weltweit anerkannter Professor für Deutsch an der New York University sowie internationaler Direktor des Birkbeck-Instituts für Geisteswissenschaften der Universität London.

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