Nordamerika

Bitte nicht rot werden: Zensur-Plug-In entscheidet über vertrauenswürdige Nachrichten in den USA

Die in den USA von NewsGuard Technologies angebotene Zensur läuft viel subtiler ab, als man sich das unter dem Begriff "Zensur" vorstellt. Seiten werden nicht gesperrt, sondern Nutzer sollen dazu gebracht werden, sich freiwillig für die "richtigen" Quellen zu entscheiden.
Bitte nicht rot werden: Zensur-Plug-In entscheidet über vertrauenswürdige Nachrichten in den USAQuelle: AFP © Drew Angerer

von Zlatko Percinic

Das Unternehmen NewsGuard Technologies mit Sitz in der Millionenmetropole New York hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Um die US-Bürger vor Fake News zu beschützen, hat das Unternehmen eine Software entwickelt, die man kostenlos von ihrer Webseite als Plug-In für den eigenen Internetbrowser benutzen kann. Im Handumdrehen ist diese Software installiert und zeigt sich als eine Art Schild, welches rot oder grün leuchtet, wenn man sich auf englischsprachigen Nachrichtenportalen wie beispielsweise New York Times, Fox News oder RT informieren möchte.

Worum es bei diesem Plug-In geht, verrät schon der Name: "Newsguard", also Nachrichtenwächter. Nach Selbstauskunft des Unternehmens "operiert ein SWAT-Team von NewsGuard Analysten 24/7", um unglaubwürdige Nachrichten aufzuspüren und die Nutzer in Echtzeit darüber zu informieren. Nachrichtenportale werden anhand von neun Kriterien mit entsprechender Punktvergabe "bewertet". Erreicht dabei ein Portal weniger als 60 Punkte, wird es rot gekennzeichnet. Besucht man diese Seite dann doch, erscheint oben rechts in der Leiste das rote Schild mit Ausrufezeichen, das man auch anklicken kann. Dahinter verbergen sich dann Informationen, wie dieses Portal von dem "SWAT-Team" der NewsGuard-Analysten in den einzelnen Kriterien bewertet wurde.

Dass das in New York ansässige Unternehmen überhaupt den Begriff SWAT-Team für das eigene Personal verwendet, zeigt die eingenommene Grundhaltung des Unternehmens. SWAT steht hier nicht für das englische Verb (swat = schlagen, patschen), sondern für "Special Weapons And Tactics" (Spezialwaffen und Taktiken) und ist eine Entlehnung ebenso benannter taktischer Spezialeinheiten der US-Polizei, ähnlich den deutschen SEK. NewsGuard Technologies sieht sich also als eine Spezialeinheit im Informationskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika.

Allerdings geht NewsGuard nicht so brachial wie ein originales SWAT-Team vor. Die entwickelte Software sperrt ja gar keine Internetseite, welche als "unglaubwürdig" eingestuft wurde. Stattdessen erhält der Nutzer das rote Achtung-Schild, um ihn ständig daran zu erinnern, dass er sich auf einer von "ausgebildeten Journalisten" überprüften Webseite befindet, die offensichtlich unseriös sei. Wie geht der Nutzer aber mit diesem Wissen um? Das wollten NewsGuard und erst recht die Knight Foundation – ein Investor in das Tech-Unternehmen – mit einer Umfrage nun zu gern herausfinden.

Das Umfrageinstitut Gallup lud 25.000 seiner Panelmitglieder ein, das NewsGuard-Plug-In zu installieren und einfach die damit gemachten Erfahrungen zu beobachten. 706 Personen antworteten schließlich auf die gewünschten Fragen und förderten interessante Ergebnisse zutage. 54 Prozent gaben an, dass sie eine als rot eingestufte Quelle "eher unwahrscheinlich" lesen würden und 63 Prozent würden sie "eher nicht" in sozialen Netzwerken teilen. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den als grün eingestuften Quellen: 56 Prozent würden so eine Quelle "eher" lesen und ebenfalls 56 Prozent würden sie "eher" in sozialen Netzwerken teilen.

Ein offensichtliches Problem bei der Informationsbeschaffung der US-Amerikaner scheint das große Angebot an Nachrichtenanbietern zu sein, wie eine weitere von Knight Foundation in Auftrag gegebene Gallup-Umfrage schon ergeben hatte. 58 Prozent gaben an, dass es deswegen schwieriger sei, gut informiert zu sein, und nur knapp die Hälfte fühlte sich dazu in der Lage, selbst Fakten von Fiktion zu trennen.

Genau in diese Bresche stößt NewsGuard offenbar erfolgreich vor, zumindest dem erhobenen Anschein nach. Indem der selbsternannte Wahrheitswächter entscheidet, welche Quelle glaubwürdig ist und welche nicht, beeinflusst er auch im wahrsten Sinne des Wortes "entscheidend" das Nutzerverhalten. Sieben von zehn Befragten gaben an, dass es ihnen eine bereits überprüfte Quelle "viel einfacher" (25 Prozent) oder "etwas einfacher" (46 Prozent) macht, sich im Internet gut zu informieren. Eine Mehrheit von 69 Prozent sprach sich auch dafür aus, dass soziale Netzwerke und Suchmaschinen NewsGuard benutzen sollten, um sie "viel vertrauensvoller" (29 Prozent) oder "etwas vertrauensvoller" (40 Prozent) zu machen.

Der Technologiegigant Microsoft war einer der Ersten, der eine Zusammenarbeit mit dem Nachrichtenwächter bekanntgab, um das eigene Produkt "Microsoft AccountGuard" zu ergänzen und auch noch gegenseitig füreinander zu werben. Nach kurzer Zeit ist diese Zusammenarbeit schon so weit gediehen, dass das NewsGuard-Plug-In beim Webbrowser Microsoft Edge vorinstalliert ist und sowohl auf PCs als auch auf mobilen Geräten (unter Android und iOS) funktioniert. Das Ziel von NewsGuard Technologies ist es, ihre Software als Lizenz an andere "Online-Titanen" zu verkaufen, so dass diese wie bei Microsoft bereits auf deren Plattformen vorinstalliert wird, sagte Steven Brill, einer der Gründer, in einem Interview mit dem Boston Globe.

Einen Ausblick, in welche Richtung es in den USA gehen könnte, bietet der US-Bundesstaat Hawaii. Als erster Bundesstaat hat Hawaii seine öffentlichen Bibliotheken direkt angewiesen, die Internetbrowser mit dem Nachrichtenbewacher auszustatten. Auch das findet mit freundlicher Unterstützung von Microsoft statt, wo der Konzern durch sein "Defending Democracy Program" die Bibliotheken sponsert.

Damit diese Entwicklung nicht nur auf Hawaii beschränkt bleibt, soll der hochkarätig besetzte Beirat helfen. Mit Tom Ridge, dem ersten Minister der von George W. Bush ins Leben gerufenen Homeland Security (Heimatschutz), ex-CIA-Direktor General a.D. Michael Hayden und Don Baer, dem ehemaligen Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses unter Bill Clinton, sitzen drei von vier Männern mit hervorragenden Verbindungen zur Machtelite im Washingtoner Beirat von NewsGuard. Der vierte Mann ist Richard Stengel, ex-Redakteur des Time Magazine und Staatssekretär für Öffentliche Diplomatie in der Regierung von Barack Obama.

Stengel selbst bezeichnete sich bei einer Paneldiskussion des höchst einflussreichen Council on Foreign Relations als "Chefpropagandist". Auch wenn er das wohl eher sarkastisch gemeint hatte, so bestätigte er dennoch, dass er "nicht gegen Propaganda" ist und dass "es jedes Land tut und auch gegen die eigene Bevölkerung tun muss". Und er weiß ganz sicher, nämlich als ausgezeichnetes Mitglied des Digital Forensic Research Lab des Atlantic Council, dem wichtigsten Organ gegen "russische Desinformation" innerhalb dieser der NATO nahestehenden Denkfabrik, worüber er dabei spricht.

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Ein weiteres Produkt von NewsGuard Technologies ist dann noch der "BrandGuard". Werbekunden könnten damit ihre Werbeplatzierungen bei Internetseiten besser steuern, damit ihr guter Name nicht etwa mit "unangebrachten Nachrichtenseiten" in Verbindung gebracht werde. Als eine solch unangebrachte Seite könnte beispielsweise RT gelten, während Voice of America, Fox News, New York Times oder CNN als unfehlbare Leuchttürme der Demokratie gelten. Was das für einen potenziellen Werbekunden bedeutet, zeigt sich bereits bei einer Suche über die Suchmaschine Google. Während bei Fox News alles grün leuchtet, wird vor RT mit dem roten Ausrufezeichen gewarnt.

Mit dem drittgrößten Werbedienstleister der Welt, dem französischen Medienkonzern Publicis Groupe, hat sich NewsGuard ein absolutes Schwergewicht in dieser Branche als Investor geangelt. Auch wenn es diesbezüglich keine näheren Angaben gibt, so ist es doch naheliegend, dass Publicis Groupe die Dienstleistung des Nachrichtenwächters nutzen wird, um es in der Medienbranche und auch bei den eigenen Kunden zu nutzen und zu bewerben. Immerhin hat der Konzern in das US-Unternehmen Geld gesteckt und erwartet schließlich im Gegenzug etwas dafür.

Für Anbieter von alternativen Nachrichten in den USA – und wenn es nach den Visionen der Gründer von NewsGuard Technologies geht, dann auch global – bedeutet diese Entwicklung einen Frontalangriff. Sicherlich gibt es darunter schwarze Schafe, die Unwahrheiten verbreiten oder maßlos übertreiben. Aber das sind wohl ganz bestimmt nicht alle. Denn bei NewsGuard fällt auf, dass hauptsächlich jene Seite das stigmatisierende rote Ausrufezeichen bekommen, die über eine große Reichweite verfügen und die US-Politik zum Teil heftig kritisieren. Indem man diese praktisch digital brandmarkt und nebenbei gleichzeitig deren Werbeeinnahmen untergräbt, dürfte es für die Betreiber solcher Seiten schwieriger werden, ihre Einnahmequellen sicherzustellen.

Interessant ist die Feststellung, dass gerade Fox News in der Vergangenheit immer wieder falsche Angaben und Aussagen oder verzerrte Überschriften veröffentlichten, so jüngst erst in einer Sendung, in der die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez falsch zitiert wurde. NewsGuard will hingegen davon angeblich nichts wissen und attestiert dem Nachrichtenportal des Milliardärs Rupert Murdoch, dass "diese Webseite generell die grundlegenden Standards von Genauigkeit und Rechenschaftspflicht einhält". Selbst das deutsche Handelsblattschreibt dazu süffisant:

In den USA lotet der stramm rechte Murdoch-Sender Sender Fox News die Grenze zur Desinformation täglich neu aus.

Dabei ist dieser "stramm rechte Murdoch-Sender" beileibe nicht das einzige Newsportal des Mainstreams, von dem falsche Informationen verbreitet werden. Erst kürzlich hat die New York Times behauptet, dass der ehemalige Wahlkampfchef von Donald Trump, Paul Manafort, damalige Hochrechnungen mit dem russischen Industriellen Oleg Deripaska kommunizierte, was sich als falsch erwies. Damit wollte man eine Verbindung zwischen Trump und gar gleich noch dem Kreml in Moskau herstellen, was aber gründlich danebenging. Denn die Daten teilte Manafort nicht etwa mit Deripaska, sondern mit zwei ukrainischen Oligarchen.

Ähnlich erging es dem CNN, als er 2017 eine Top-Story brachte, die ebenfalls Trump eine Nähe zur russischen Regierung unterstellte. Nur einen Tag nach der sensationellen Story musste CNN den Artikel wieder von der eigenen Webseite löschen, weil er nicht den "journalistischen Standards" entsprach. Solche Dinge geschehen immer wieder, weil diese Art Medienunternehmen ständig auf der Suche nach ultimativen Beweisen für ihre eigenen, seit Jahren entwickelten Erzählungen sind. Konsequenzen hatte das aber bisher noch nie. Nicht einmal NewsGuard interessierte sich in der Bewertung solcher Seiten dafür.

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