Nordamerika

Kanada: Woke heißt assistierter Selbstmord statt Sozialausgaben

In Kanada soll ab März der medizinisch assistierte Selbstmord auch auf psychische Erkrankungen ausgeweitet werden. Der Fall einer Veteranin, der an Stelle einer Rollstuhlrampe ein assistierter Suizid angeboten wurde, scheint jetzt die Debatte neu zu eröffnen.
Kanada: Woke heißt assistierter Selbstmord statt SozialausgabenQuelle: www.globallookpress.com © Vicki DiAddezio

Gerade ein Vierteljahr, ehe im März die Regelung zum ärztlich assistierten Suizid (medical assistance in dying, MAiD) in Kanada auf psychische Erkrankungen ausgeweitet wird, wird dieses Gesetz mit der Bezeichnung C-7 noch einmal in Frage gestellt. Grund dafür sind mehrere Vorfälle mit Veteranen der kanadischen Armee, denen von Sozialbehörden des Landes nahegelegt wurde, doch ärztlich betreut aus dem Leben zu scheiden.

Die ehemalige Unteroffizierin Christine Gauthier, die sich 1989 beim Training in einem Hindernisparcours so schwer an Knien und Wirbelsäule verletzt hatte, dass sie seitdem im Rollstuhl sitzt, die aber 2016 an den Paralympischen Spielen als Kanufahrerin teilgenommen hatte, bemühte sich bereits seit fünf Jahren um eine Rollstuhlrampe für ihren Hauseingang. Der zuständige Sachbearbeiter der Behörde für Veteranen schlug ihr daraufhin vor: "Sie wissen schon, dass wir Ihnen jetzt mit der Sterbehilfe helfen können, wenn sie wollen."

Gauthier war entsetzt und beschrieb ihr Erlebnis in detaillierten Briefen an Premierminister Justin Trudeau und den zuständigen Minister Lawrence MacAulay. Letzterer schickte sogleich seine Pressesprecherin vor, um zu erklären: "Unsere Angestellten haben keinen Auftrag, das zu empfehlen oder das Thema aufzubringen."

Allerdings war Gauthier, wie sich vergangene Woche in einem Parlamentsausschuss herausstellte, nicht die einzige Veteranin, der solche Ratschläge erteilt wurden. Während Trudeau eifrig zusicherte, man wolle mit Veteranen achtsamer umgehen, und MacAulay dem Ausschuss gegenüber darauf bestand, dass alle vier dort bestätigten Fälle auf einen einzigen Sachbearbeiter zurückgingen, benannten Abgeordnete weitere ähnliche Vorkommnisse.

Ein assistierter Suizid statt einer Rollstuhlrampe? Nicht der einzige Fall, in dem Probleme, die eigentlich lösbar wären, deren Lösung seitens der Behörden aber Engagement und Geld erfordert hätte, im Verweis auf MAiD enden. Einige Monate zuvor hatte der Fall einer Frau Schlagzeilen gemacht, die unter vielfachen Allergien gegen verschiedenste Chemikalien litt, insbesondere gegen alle Arten chemischer Duftstoffe. Bei Kontakt entwickelte sie Symptome, die von Hautausschlägen über massive, teilweise sogar Lähmungen hervorrufende Kopfschmerzen bis hin zu anaphylaktischen Schocks reichten.

Sieben Jahre lang suchte sie nach einer bezahlbaren Wohnung, in der sie krankheitsfrei leben könnte; sie griff sogar auf eine Spendenkampagne zurück, aber die einzige Unterkunft, die die Rollstuhlfahrerin finden konnte, war ein Hotelzimmer. Mit den 1.278 kanadischen Dollar, die sie als Sozialleistung für Behinderte erhielt, war keine andere Unterkunft finanzierbar, und selbst für das Hotelzimmer musste sie auf den Spendenfonds zurückgreifen. Auch die Veröffentlichung der Tatsache, dass sie den Antrag auf MAiD gestellt hatte, änderte nichts, sodass sie nach Ablauf der 90-tägigen Wartezeit, die das Verfahren vorsieht, ihr Leben beendete.

Ursprünglich war die Anwendbarkeit dieses 2016 eingeführten Gesetzes auf Personen beschränkt, die nachweislich unheilbar krank waren und deren Ableben bevorstand. 2019 gab es eine erfolgreiche Klage gegen die Vorgabe, das Lebensende müsse absehbar sein; das Urteil wurde in erster Instanz von der Regierung anerkannt und nicht bis zum höchsten Gericht weiter verfolgt, stattdessen wurden die gesetzlichen Regelungen entsprechend geändert. Und während es keinen Anspruch auf Palliativversorgung gibt, gibt es einen Anspruch auf MAiD.

Im Frühjahr dieses Jahres, während das Land mit der Auseinandersetzung um die Impfpflicht beschäftigt war, bei der auch dort die Regierung betonte, es gehe darum, Leben zu schützen, und rabiat gegen die protestierenden Lkw-Fahrer vorging, verabschiedete das kanadische Parlament eine Ausweitung von MAiD auf psychische Erkrankungen.

In einer Erklärung, die von fast 1.500 kanadischen Medizinern unterzeichnet wurde, die die Änderung ablehnen, heißt es dazu: "Der Schock einer plötzlichen Erkrankung oder ein Unfall, der zu einer Behinderung führt, kann bei Patienten Gefühle von Zorn, Depression, und Schuldgefühle wegen der Pflegebedürftigkeit auslösen – Gefühle, die mit der richtigen Unterstützung und Aufmerksamkeit im Verlauf der Zeit aufgelöst werden können. Die Fürsorge und Ermutigung, die Ärzte zeigen, können die mächtigste Kraft sein, um Verzweiflung zu überwinden und Hoffnung zu geben. Unglücklicherweise können Patienten sich nicht mehr bedingungslos darauf verlassen, dass ihre medizinischen Betreuer sich für ihr Leben einsetzen, wenn sie am schwächsten und am verwundbarsten sind. Plötzlich wird eine tödliche Injektion Teil des Repertoires an Eingriffen, die geboten werden, ihren Schmerz und ihr Leid zu beenden."

Eine ganze Reihe von Stimmen spricht sich jetzt dafür aus, diese Ausweitung zu stoppen. Ein Sprecher der kanadischen Gesellschaft zur Selbstmordverhütung erklärte: "Das Leben von jemandem zu beenden, der komplexe psychische Gesundheitsprobleme hat, ist einfacher und vermutlich billiger, als dauerhafte, hervorragende Pflege zu bieten. Das erzeugt einen perversen Anreiz für das Gesundheitssystem, zum Gebrauch von MAiD aufzufordern, statt den Patienten angemessene Ressourcen zur Verfügung zu stellen, und dieses Ergebnis ist nicht akzeptabel."

Tatsächlich gab es schon im Oktober 2020 einen Bericht an den Haushaltsausschuss des kanadischen Parlaments mit dem Titel "Kostenschätzung zum Gesetz C-7 'medizinisch assistiertes Sterben'", in dem berechnet wurde, dass die bisherige Regelung zu einer jährlichen Einsparung in Höhe von 86,9 Millionen kanadischer Dollar pro Jahr führe, und die Erweiterung auf psychische Erkrankungen weitere 62 Millionen einsparen könne.

Die Frist von 90 Tagen, die noch zwischen der Zustimmung durch zwei Ärzte und der "Anwendung" liegen muss, falls keine tödliche Erkrankung vorliegt (ab März soll auch diese Frist fallen), ist weit kürzer als die Wartezeiten auf viele Arten der Behandlung. Die Zeitschrift The Globe and Mail berichtete: "Patienten warten jetzt 18 Monate und mehr für eine ambulante Behandlung einer Essstörung in einigen Programmen in Städten wie Toronto und Winnipeg. Und in Neufundland und Labrador kann eine Überweisung für eine psychiatrische Behandlung ein Jahr oder länger dauern."

Die britische Zeitschrift The Spectator schrieb dazu: "Schon ehe das Gesetz C-7 beschlossen wurde, hatte es zahlreiche Berichte über Missbrauch gegeben. Ein Mann mit einer neurodegenerativen Erkrankung hatte vor dem Parlament bezeugt, dass Krankenschwestern und ein Medizinethiker in einer Klinik versucht hatten, ihn zur Selbsttötung zu nötigen, indem sie gedroht hatten, ihn mit Extrakosten in den Bankrott zu treiben oder ihn aus der Klink zu werfen, und ihm 20 Tage Wasser vorenthalten hatten. Beinahe jede Gruppe für Behindertenrechte hatte sich gegen das neue Gesetz gewandt. Ohne Wirkung: Diesmal hielt es die Regierung für angemessen, diese ansonsten makellos progressiven Gruppen zu ignorieren."

In einem Bericht eines Expertenausschusses zur Ausweitung von MAiD vom Januar dieses Jahres stand außerdem: "Anführer wie Gemeinden von Indigenen haben die Sorge geäußert, dass für Leute in ihren Gemeinden der Zugang zu einem Weg, zu sterben, einfacher ist als der Zugang zu den Ressourcen, die sie brauchen, um gut zu leben." Anders gesagt, da Arme infolge der Armut weit eher unter psychischen Erkrankungen leiden und Indigene in Kanada weit überproportional arm sind, die Bekämpfung der Armut aber in der neoliberalen Politik Kanadas nicht auf dem Programm steht, fürchten sie zu Recht, dass MAiD auf unauffällige, liberale Weise dazu dienen könnte, die Armen und damit die Indigenen zu entsorgen.

"Nicht zufällig", so The Spectator, "hat Kanada mit die niedrigsten Sozialausgaben unter den industrialisierten Ländern, Palliativpflege ist nur einer Minderheit zugänglich, und die Wartezeiten im öffentlichen Gesundheitssystem können unerträglich sein." Der assistierte Selbstmord verursacht Kosten von gerade einmal 2.327 kanadischen Dollar; das ist vermutlich tatsächlich weniger, als die Rollstuhlrampe kosten würde.

Kanada, das Musterland des woken Liberalismus, dessen Ministerpräsident zwischen Drag Shows und Bekundungen der Solidarität mit der Ukraine hin- und herpendelt, hätte jetzt mit der erneuten Debatte über das Gesetz C-7 die Gelegenheit, zu beweisen, dass neben den hysterischen Ausbrüchen auch wirkliche Humanität und Mitmenschlichkeit einen Platz haben; aber die Wahrscheinlichkeit, dass C-7 doch noch gestoppt wird, ist gering. Wie schrieb der Spectator? "Wie viele Ärzte fürchten Journalisten die Anschuldigung, 'nicht progressiv' zu sein, wenn sie die neue Kultur des Todes in Frage stellen."

Die Mediziner, die die Erklärung gegen C-7 unterschrieben, sahen die Zukunft nicht optimistisch. Sie fürchten, "dass die unveränderte Verabschiedung des Gesetzes C-7 dazu beitragen wird, viel mehr als unseren medizinischen Beruf zu zerstören, nämlich im Grunde eine kanadische Gesellschaft, die ihre verwundbarsten Mitglieder tatsächlich schätzt und sich um sie sorgt. Die Kanadier haben Besseres verdient."

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