Meinung

Syrien: USA liefern Munition an Türkei und wollen damit Keil zwischen Moskau und Ankara treiben

Die USA haben angeboten, die Türkei mit Munition zu beliefern, um die anhaltende Krise in der syrischen Provinz Idlib zu "lösen". Dieser Vorschlag unterstreicht die Ohnmacht und Irrelevanz der USA, wenn es um den Krieg in Syrien geht.
Syrien: USA liefern Munition an Türkei und wollen damit Keil zwischen Moskau und Ankara treibenQuelle: www.globallookpress.com

von Scott Ritter 

Nach Gesprächen mit seinen hochrangigen türkischen Partnern in Ankara äußerte der US-Sonderbeauftragte für Syrien und den Anti-IS-Kampf, James Jeffrey, gegenüber Journalisten, dass die Türkei die USA zwar auf die Leistung "humanitärer Hilfe" dränge, Washington aber bereit sei, ihr stattdessen "Munition" anzubieten.

"Die Türkei ist ein NATO-Verbündeter", erklärte Jeffrey. "Wir haben ein sehr, sehr großes Rüstungsexportprogramm. Ein Großteil des türkischen Militärs verwendet US-amerikanische Ausrüstung. Wir werden dafür sorgen, dass diese Ausrüstung einsatzbereit ist." Jeffrey machte darauf aufmerksam, dass diese Idee vom US-Präsidenten Trump höchstpersönlich stammt.

Jeffreys Bemerkungen kamen während der Vorbereitungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf eine Reise nach Moskau zu einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bei diesem Treffen soll die sich unkontrollierbar verschlechternde Lage in Idlib besprochen und die besten Möglichkeiten erörtert werden, eine Eskalation zwischen den türkischen und russischen Streitkräften zu verhindern. Da Themen der Konfliktvermeidung, bestenfalls vielleicht sogar Versöhnung, die Tagesordnung dominieren dürften, ist es schwer vorstellbar, dass das US-amerikanische Angebot von der Türkei anders denn als ein kontraproduktives aufgenommen werden könnte.

"Dumme" Vorschläge infolge von Kompetenz- und Koordinationsvakuum

Jeffreys Bemerkung scheint ein Nebenprodukt des gänzlichen Zusammenbruchs der zwischenbehördlichen Politik- und Richtlinienkoordination zu sein, der in der Trump-Administration aktuell zu beobachten ist. Dieser Unwille und/oder die Unfähigkeit, eine koordinierte Politik zu betreiben, kommt zu einer Zeit, in der das wichtigste Organ, das für derartige Schritte verantwortlich ist – der Nationale Sicherheitsrat –, aktuell eine Entwicklung durchmacht, die einer Säuberung von qualifiziertem Personal gleichkommt, vor allem von Veteranen aus der früheren Regierung von Barack Obama. 

Politik, die in einem Koordinationsvakuum betrieben wird, ist sehr anfällig für die Beeinflussung durch Vorschläge – erst recht, wenn ein solcher Vorschlag vom Präsidenten höchstselbst gemacht wird. Die Idlib-Krise hat die Türkei zu einem Ersuchen um militärische Unterstützung in Form von zwei Patriot-Boden-Luft-Raketenbatterien bewogen: Diese sollen an der türkischen Grenze zu Syrien stationiert werden und eine Flugverbotszone durchsetzen, die sowohl syrische als auch russische Flugzeuge davon abhalten soll, Bombenangriffe in der Provinz Idlib zu fliegen.

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Das letzte Mal, als die Türkei die USA um die Bereitstellung von Patriot-Raketen bat – noch zu Obamas Regierungszeit –, sträubte sich Washington dagegen und veranlasste Ankara so, von Russland fortschrittlichere Boden-Luft-Raketen des Typs S-400 zu erwerben. Der Kauf der S-400 aber brachte die Beziehungen der Türkei sowohl zu den USA als auch zur NATO insgesamt ins Trudeln. Es kam zur Annullierung der Teilnahme der Türkei am F-35-Programm und zu einer damit verbundenen Neubewertung ihrer Integration in die NATO, insbesondere eben im Bereich der Luftverteidigung.

Nun drängte Jeffrey das Pentagon, diesmal tatsächlich Patriot-Raketen an die Türkei zu entsenden, aber er ist auf den Widerstand von Vertretern des Verteidigungsministeriums gestoßen. Diese befinden einen solchen Schritt nicht nur für an und für sich destabilisierend, sondern auch für an und für sich eher unfähig, Russlands oder Syriens Politik bezüglich Idlib zu ändern oder sich auf ihre Schritte dort auszuwirken. Das Pentagon, so stellten Mitarbeiter des Außenministeriums fest, "weigert sich, dumme Dinge zu tun, die ernstzunehmende globale Konsequenzen haben könnten".

Flüchtling, Erpressungsmittel, PR-Gelegenheit

Die Türkei bat ferner um sofortige humanitäre Hilfe, um die Flüchtlingskrise entlang ihrer Grenze zu Syrien zu lindern. Was sonst als "Selbstverständlichkeit" betrachtet und sofort umgesetzt worden wäre, wurde hier jedoch selbst zum Politikum: Hat die Türkei doch ihre Grenzen zu europäischen Ländern – vornehmlich zu Griechenland – für den Flüchtlingsverkehr geöffnet, um Europa zur Intervention in Syrien zu zwingen.

In der Zwischenzeit schreiten die USA mit ihrem, wie sie es nennen, "humanitären Hilfspaket" in Höhe von 108 Millionen Dollar für die Menschen in Nordsyrien voran. Diese Ankündigung machte am Dienstag die US-Botschafterin bei der UNO, Kelly Craft, während ihres Besuchs in Idlib, wo sie sich mit Vertretern einer Gruppe traf, die unter dem Namen "Weißhelme" berüchtigt wurde.

Angesichts dieses Besuchs scheint der Vorschlag der USA, der Türkei "Munition" zu liefern, ein politischer Ausreißer zu sein, eher auf spontane Äußerungen von Präsident Trump zurückzuführen – und kein Produkt koordinierter zwischenbehördlicher Arbeit.

Trump scheint anfällig für Anregungen von Fox News und seinen politischen Unterstützern, wie z. B. Senator Lindsey Graham, zu sein. Während der Twitter-Feed des Präsidenten lange frei von jeglichen Kommentaren über die Türkei und Idlib blieb, war das bei Senator Graham anders.

Ich weiß es sehr zu schätzen, was die Türkei tut, um den Menschen in Idlib, in Syrien, zur Seite zu stehen", twitterte Graham am Dienstag. "Es ist an der Zeit, dass die Welt, einschließlich der Vereinigten Staaten, eine Flugverbotszone über Idlib ausruft, bevor die humanitäre Krise eskaliert.

Zur Sicherheit legte Graham mit folgendem Kommentar nach: "Russlands Putin und Syriens Assad benehmen sich wie Kriegsverbrecher". 

Sand an die Beduinen, Eis an die Inuit, just-too-late-Logistik

Die von Graham geforderte, von den USA durchzusetzende Flugverbotszone über Syrien ist nach wie vor ein Ding der Unmöglichkeit. Unter normalen Umständen dürfte auch die Idee der Belieferung mit Munition nicht funktionieren. Die Realität ist, dass die Türkei in Bezug auf Munition weitgehend selbständig ist und über eine sehr vielfältige und leistungsfähige Rüstungsindustrie verfügt.

Außerdem erreicht der Munitionsverbrauch des türkischen Militärs nicht einmal annähernd ein Tempo, bei dem eine Erschöpfung der Arsenalbestände drohen könnte. Nicht einmal im Bereich der Kriegsgeräte gibt es eine "Schnelllösung", die die USA der Türkei als Hilfe anbieten könnten.

Wollten die USA den Türken beispielsweise auf dem Schlachtfeld verlorene Panzer der M60-Reihe ersetzen, müssten alle von ihnen bereitgestellten Panzer zunächst einen langwierigen und teuren Aufrüstungs- und Modifikationsprozess zum Sabra-Standard durchlaufen, was in Zusammenarbeit mit Israel durchgeführt wird. Das würde die Einsatzbereitschaft dieser Fahrzeuge für viele Monate hinauszögern.

Obwohl zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt ist, wovon konkret die Bemerkung des Präsidenten über die Bereitstellung von Munition ausgelöst wurde, haben die US-Medien in den letzten Tagen zum Beispiel über ein russisches Marineschiff berichtet – beladen mit Waffen und Munition einschließlich moderner Panzer, vom Schwarzen Meer aus nach Syrien unterwegs. 

Unbedingter Geschäftsreflex

Präsident Trump lebt in einer Welt, in der die Transaktionspolitik regiert wird, in der es kein Nullsummenspiel gibt – weil fast alles als normales Geschäft angesehen wird und jeder eben versucht, für sich selbst das Günstigste herauszuschlagen. So gesehen ist das Angebot, der Türkei Munition zu liefern, nur eine reflexartige Reaktion auf Russlands Lieferung von Waffen und Munition an Syrien, ein Akt der kurzfristigen Verzweiflung, um für die Tatsache zu kompensieren, dass die USA keinen Plan zur Bewältigung der sich aktuell entwickelnden Krise in Syrien haben.

Und indem sie sich in diesem späten Stadium in die bilaterale türkisch-russische Diplomatie einmischen, hoffen die USA, ein Störfaktor sein zu können. In Wirklichkeit jedoch haben sie damit nur ihre Ohnmacht und ihre Irrelevanz in Syrien unterstrichen. 

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem Englischen.Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung bei der US-Marineinfanterie. Er diente in der Sowjetunion als Inspekteur für die Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und in den Jahren von 1991 bis 1998 als UN-Waffeninspekteur. Er kann auf Twitter abonniert werden unter @RealScottRitter

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