Meinung

Der lachende Dritte: USA profitieren von Spannungen zwischen Russland und der Türkei

Nach dem Tod von 33 türkischen Soldaten durch einen Angriff der syrischen Luftwaffe in der Provinz Idlib fordert die Türkei den Schutz der NATO. Die Soldaten befanden sich jedoch inmitten von Terroristen. In dem drohenden Chaos kann nur einer gewinnen.
Der lachende Dritte: USA profitieren von Spannungen zwischen Russland und der TürkeiQuelle: Sputnik

von Darius Shahtahmasebi

Spekulationen darüber, was als Nächstes kommt, hatten in den Stunden nach den Luftangriffen der syrischen Luftwaffe, bei denen das türkische Militär in Idlib zu Schaden kam, auf Twitter den Trend #Artikel 5 gesetzt. Ömer Çelik, Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP, hatte gegenüber Reportern in Ankara angedeutet, dass er die Beantragung eines formellen Schutzes der NATO erwägt. Dies richtet sich gegen Damaskus und damit auch gegen die russische Luftwaffe. Çelik erklärte gegenüber türkischen Medien:

Wir fordern die NATO zu Beratungsgesprächen auf. Dies zielt nicht nur gegen die Türkei – es ist ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft. Eine gemeinsame Reaktion ist notwendig. Der Angriff war auch gegen die NATO gerichtet.

Zur Erinnerung: Artikel 5 der NATO-Charta besagt, dass ein Angriff auf ein Mitglied des Bündnisses als ein Angriff auf alle auszulegen ist.

Auch das US-Außenministerium verurteilte den Luftangriff und stellte sich hinter den "NATO-Verbündeten Türkei". Man forderte "ein sofortiges Ende dieser verabscheuungswürdigen Offensive des Assad-Regimes, Russlands und der vom Iran unterstützten Kräfte". Die US-Botschafterin in der NATO, Kay Bailey Hutchinson, gab sich diesmal ebenfalls von ihrer besten Seite: Vor Journalisten äußerte sie, alle Optionen seien auf dem Tisch.

Es ist jedoch unklar, ob die NATO über das Durchhaltevermögen verfügt, der Türkei in einem Krieg gegen eine von der russischen Luftwaffe unterstützte syrische Regierung in irgendeiner sinnvollen Weise zu helfen. Unklar ist auch, ob Artikel 5 auf die NATO-Verbündeten ausgedehnt wird, wenn sie effektiv ins souveräne Gebiet eines Drittstaates eingefallen sind. Tatsächlich ist Syrien der Staat, der sich in diesem speziellen Tatbestand verteidigt – und nicht die Türkei. Auch wenn kein Mainstream-Medienhaus dies bereitwillig zugeben würde.

Allerdings hat Ankara einen sicheren Weg, um sicherzustellen, dass die europäischen Staaten die Situation nicht völlig ignorieren: Erst vor Kurzem öffnete die Türkei Berichten zufolge die Grenze zu Idlib. Somit ist ein Zustrom syrischer Flüchtlinge gesichert, die anschließend nach Europa weiter fliehen sollen. Das wird mit Sicherheit die regionalen Spannungen in erheblichem Maße verstärken.

In Moskau reagierte man mit Hinweisen auf die Beziehung Ankaras zu den verschiedenen dschihaddistischen Akteuren in Syrien. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde der Luftangriff zur Unterstützung der Anstrengungen der syrischen Armee durchgeführt. Es ging darum, eine Offensive des syrischen offiziellen Al-Qaida-Ablegers Hai‘at Tahrir al-Sham in der sogenannten Deeskalationszone von Idlib abzuwehren. Natürlich kann jeder, der sich mit dem Krieg in Syrien beschäftigt, verstehen, dass Ankaras materielle und finanzielle Unterstützung für terroristische Gruppen in Syrien, einschließlich und insbesondere der Terrormiliz Islamischer Staat, seit langem dokumentiert ist.

Unabhängig davon, ob nun ein "heißer" Krieg "auf dem Tisch liegt" oder nicht: Das außenpolitische Establishment der Vereinigten Staaten wird bald die Ernte einfahren können. Dieses träumt schon seit geraumer Zeit davon, Russland und die Türkei auf Kollisionskurs zu bringen. Wer daran zweifelt, der lese nur diesen letzten Absatz eines kürzlich erschienenen Artikels in The Guardian:

US-Gesandte bei der NATO Kay Bailey Hutchison erklärte, die Ereignisse vom Donnerstag sollten der Türkei zeigen, 'wer ihr zuverlässiger Partner ist und wer nicht', und sie dazu veranlassen, den Kauf eines großen russischen Raketenabwehrsystems fallen zu lassen, das nach Ansicht Washingtons die westliche Allianz bedroht. [Hervorhebung durch den Autor]

Die USA sind ernsthaft beunruhigt über die jüngste Entscheidung der Türkei, das russische Flugabwehrraketensystem S-400 beschaffen zu wollen. Washington ist zudem besorgt über den Wunsch der Türkei, der von China und Russland dominierten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) beizutreten. Ein solcher Beitritt würde die Türkei zum Verbündeten nicht nur Russlands und Chinas, sondern auch des Iran machen.

Die USA sind durchaus bereit, die Türkei in die Ecke und in eine Konfrontation mit Russland zu drängen. Ob nun mit oder ohne die volle Unterstützung der NATO. Hauptsache dies bedeutet, dass die aufkeimenden, fruchtbaren Beziehung zwischen Ankara und Moskau völlig auseinanderfallen.

Seinerseits wird Moskau als wichtiger Verbündeter der syrischen Regierung wohl kaum tatenlos zusehen, wenn die Türkei darauf besteht, in syrisches Hoheitsgebiet einzudringen, um die verschiedenen dschihaddistischen Gruppen zu verteidigen, die dort seit fast einem Jahrzehnt für Verwüstung und Tod sorgen.

Vielleicht ist es das, was Donald Trump andeutete, als er kürzlich erklärte, die USA würden im Staffellauf gegen den IS den Stab an den Irak, Syrien, Iran und Russland weitergeben. Währenddessen wollen sich die USA darauf fokussieren, die Kontrolle über Erdöl und andere Ressourcen zu behalten. Die USA könnten dann seelenruhig am Rande des Geschehens abwarten. Sie könnten anderen Staaten bei deren Kampf zusehen, um anschließend "fokussiert" die anfallende Kriegsbeute abzusahnen.

Diese Strategie des Teilens und Herrschens in der Ausführung des US-amerikanischen Imperiums ist also nach wie vor quicklebendig. Angesichts des Risikos eines Konfliktes mit einem atomar bewaffneten NATO-Mitgliedsstaat kann man nur hoffen, dass sich die kühleren Köpfe durchsetzen und die Entzündung eines solchen regionalen Pulverfasses verhindern werden.

Übersetzt aus dem Englischen.

Darius Shahtahmasebi

ist ein in Neuseeland ansässiger Rechts- und Politikanalytiker mit dem Schwerpunkt auf der US-Außenpolitik im Nahen Osten, in Asien und im Pazifikraum. Er ist als Rechtsanwalt in zwei internationalen Gerichtsbarkeiten voll qualifiziert.

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