Meinung

Die Lektion von Dresden ist auch 75 Jahre später die gleiche: Die Macht hat immer recht

Noch bevor erstmals ein Flugzeug als Waffe abheben konnte, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein Luftkrieg für verbrecherisch erklärt. Und doch wurde das als Methode der Massenvernichtung gängig – bis in die Gegenwart. Gedanken eines Historikers zu Dresden.
Die Lektion von Dresden ist auch 75 Jahre später die gleiche: Die Macht hat immer rechtQuelle: Gettyimages.ru © Photo12 / UIG

von John Laughland

Dresden ist wie Auschwitz oder Srebrenica, ein schreckliches Ereignis, das fast schon zum Mythos erhoben wurde, weil es in der Tat das Symbol für ein breiteres Phänomen ist: die Bombenangriffe auf eine große Anzahl deutscher Städte, darunter Hamburg und Berlin. Dresden nimmt diesen symbolischen Status ein, weil die Zahl der zivilen Todesopfer sehr hoch ist, die meisten von ihnen durch Bomben mit dem alleinigen Zweck, Gebäude in Brand zu setzen, und weil die Stadt eine eher geringe militärische Bedeutung hatte.

Dresden ist auch heute noch eine offene Wunde in der deutschen Geschichtserinnerung, weil deutsche Zivilisten zu Zehntausenden dabei zu Opfern wurden. Deutschland protestierte 1991 heftig, als die Briten dem Chef des Bomberkommandos, Sir Arthur "Bomber-"Harris, in der Londoner Innenstadt ein Denkmal setzten. Als die Königin von Großbritannien im Jahre 1992 Dresden besuchte, wurde sie ausgepfiffen. Das 2006 veröffentlichte Buch des bekannten deutschen Historikers Jörg Friedrich "Das Feuer: Die Bombardierung Deutschlands, 1940-1945" wurde ein Bestseller.

Ein solcher deutscher Zorn ist verständlich, zumal die Nazis in Nürnberg bewusst nicht für "The Blitz", also die Luftangriffe auf London und andere britische Städte in den Jahren 1940-1941 angeklagt wurden, gerade weil die Briten verhindern wollten, dass die Deutschen ihnen nach dem Ende des Krieges sagen können, sie hätten Deutschland dasselbe angetan. Die Amerikaner ihrerseits warfen wenige Tage nach der Verkündung der Nürnberger Charta eine erste Atombombe auf Hiroshima ab, bei der über hunderttausend japanische Zivilisten auf einen Schlag getötet wurden.

Im Nachhinein und angesichts der Tatsache, dass die Alliierten kurz nach diesen Bombenangriffen Deutschland und Japan besiegten, wird argumentiert, dass Dresden und Hiroshima und Nagasaki sinnlose und unnötige Terrorakte waren. Es ist schwer zu leugnen, dass es sich um Terrorakte handelte, aber es ist dennoch viel schwieriger zu behaupten, dass sie sinnlos waren. Im Februar 1945 war der Krieg in Europa noch nicht gewonnen, im August 1945 war er es auch in Asien noch nicht. Im Gegenteil, Nazi-Deutschland wehrte sich heftig und schaffte sogar eine große Gegenoffensive in den Niederlanden im Dezember 1944, die erst im Januar 1945 zurückgeschlagen wurde. Die Offiziere der Air Force, die beschlossen hatte, Deutschland in Schutt und Asche zu bombardieren, wussten damals noch nicht, dass sie den Krieg wenige Monate später wirklich gewinnen würden. Und als sie es dann wussten, behaupteten sie, dass die Bombardierung – wie später in Japan – das Kriegsende tatsächlich beschleunigt habe. Vielleicht haben sie recht.

Sicher ist, dass die Entscheidung, seinerzeit die Deutschen wegen des Luftkrieges nicht zu verfolgen, die schweren, ja tödlichen Mängel dieses Begriffs im internationalen Strafrecht aufzeigt. Im Prinzip klingt es gut, Menschen für Kriegsverbrechen zu bestrafen, aber in der Praxis wird das sehr oft missbraucht – nicht zuletzt, weil da mit zweierlei Maß gemessen wird.

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Wir können dies in der Geschichte des Völkerrechts sehen: Ein Luftbombardement wurde auf der internationalen Friedenskonferenz in Den Haag 1899 für illegal erklärt, noch bevor das Flugzeug als Waffe überhaupt erfunden war, zusammen mit Giftgas und Dum-Dum-Geschossen. Hundert Jahre später sind die Bestimmungen über Gas- und Dum-Dum-Geschosse im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 unverändert geblieben, während das Verbot des Einsatzes von Geschossen und Sprengmitteln aus Ballons oder durch analoge zeitgemäße Mittel und Methoden stillschweigend fallengelassen wurde.

Die Bombardierung aus der Luft hat sich somit von einem Kriegsverbrechen zu einem Instrument höchster Moral entwickelt: Bereits während der Bombardierung Jugoslawiens 1999 sagte der Oberkommandierende, der NATO-General Wesley Clark, dass der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević sich gefühlt haben muss, als ob er gegen Gott kämpfte, was soviel bedeutete, als ob die NATO göttliche Vergeltung durch den Abwurf von Donner und Blitz vom Himmel auf die Schurken unten übte.

Diese juristische Wendung macht die angebliche Rolle vom Recht im Kriege zum Gespött. Das ist aber etwas, was liberale Aktivisten seit über einem Jahrhundert zu etablieren versuchten. Die Wahrheit ist stattdessen viel brutaler. Sie wurde erstmals vor über 2.000 Jahren von Thukydides in seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges formulierte: Die Starken tun, was sie können, und die Schwachen leiden, was sie müssen. Das ist auch die Lektion von Dresden.

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Übersetzt aus dem Englischen. John Laughland hat an der Universität Oxford in Philosophie promoviert und lehrte an Universitäten in Paris und Rom. Er ist Historiker und Spezialist für internationale Angelegenheiten.

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