Meinung

Die Tagesschau – Ein Propagandainstrument im Kalten Krieg 2.0

Die Tagesschau sieht sich selbst als Flaggschiff der deutschen Nachrichtenformate. Hier werden Meinungen erzeugt, Trends festgelegt, die Zuschauer auf Linie gebracht. Mit Journalismus hat die Tagesschau allerdings immer weniger zu tun. Vier Beispiele.
Die Tagesschau – Ein Propagandainstrument im Kalten Krieg 2.0Quelle: www.globallookpress.com © imago stock&people

von Gert Ewen Ungar 

Die Tagesschau nennt sich selbst gern "Flaggschiff". Da ist was dran. Ein Flaggschiff ist das größte Schiff in einem Flottenverband. Der Ort, von dem aus die begleitenden Schiffe befehligt werden. Flaggschiffe kommen beim Militär zum Einsatz, man braucht sie für den Krieg. "Flaggschiff" ist somit ein militärischer Begriff. Schaut man sich die Beiträge an, die auf tagesschau.de veröffentlicht werden, unterstreicht dies den Eindruck, die Redaktion der Tagesschau würde sich in einem Krieg befinden – einem Propagandakrieg.

Es geht nicht um Information, nicht um Nachrichten im eigentlichen Sinne, sondern um Beeinflussung, um den Aufbau von Feindbildern, es geht um die propagandistische Unterstützung einer zunehmend aggressiver werdenden deutschen Außenpolitik, die die Konfrontation sucht, Völkerrecht immer häufiger bricht und auf Militär und Krieg als Mittel der Durchsetzung deutscher Interessen setzt. 

So hat mit ihrem Kommentar zum Gedenktag in Yad Vashem anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau Sabine Müller vom Hessischen Rundfunk jüngst wieder eine Chance vertan, zu zeigen, wie die Tagesschau sich ihrem Auftrag verpflichtet fühlt. Dieser Auftrag umfasst, der Verständigung der Völker und dem Frieden zu dienen. Sabine Müller ist sicherlich ein weiterer Tiefpunkt in der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gelungen, der im Kern auch an der Begründung für dessen Existenz rüttelt. 

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Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es als Antwort auf die staatliche Propaganda im Dritten Reich. Allerdings beweisen ARD und ZDF mit ihren Nachrichtensendungen und politischen Dokumentationen, wie wenig eine bloße Änderung des Finanzierungsmodells und der rechtlichen Strukturen geeignet waren, einer Wiederholung tatsächlich vorzubeugen. 

Der Beitrag von Sabine Müller wurde bereits weithin diskutiert. Sie lobt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für sein würdevolles Gedenken, wirft allerdings Putin und Netanjahu eine Instrumentalisierung des Ereignisses vor. Sie ließen die Anwesenden warten, gedachten unwürdig lang der Opfer der Leningrader Blockade, Putin teilte darüber hinaus gegen Polen aus, was sich allerdings nicht durch das Redeskript belegen lässt. Fazit des Beitrags: Die Deutschen wissen, wie sie zu gedenken haben – die Russen nicht. Die Überheblichkeit des Kommentars, seine Einseitigkeit, seine Geschichtsvergessenheit und sein typisch deutsches Wesen, an dem die Welt zu genesen hat, wurde in zahlreichen Beiträgen bereits herausgearbeitet.

In der Folge soll es um diesen Beitrag nicht weiter gehen. Festzuhalten ist lediglich, Sabine Müller widmet sich in ihrem Kommentar dem Aufbau und der Pflege eines Feindbilds. Und das im Rahmen des Gedenktages der Opfer des Holocausts – deutlicher lässt sich kaum zeigen, wie lernresistent man gegenüber Geschichte sein kann. 

Der Kommentar Müllers soll hier aber zum Anlass genommen werden, einen etwas breiteren Blick auf die Beiträge der Tagesschau zu werfen, die sich in den letzten Wochen und Monaten mit Russland beschäftigt haben. Dann wird sichtbar, wie wenig es sich bei den Entgleisungen von Sabine Müller um ein Versehen handelt.   

Der Tiergarten-Mord und die schnelle Schuldzuweisung Richtung Moskau

Im Sommer ereignete sich der Tiergarten-Mord. Es war August, als ein Georgier tschetschenischer Herkunft im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen wurde. Aufgeklärt ist der Mord bis heute in keiner Weise, an Schuldzuweisungen in Richtung Russland mangelt es dessen ungeachtet nicht. Über die Tagesschau erfährt man zwar von den Ausweisungen von russischen Diplomaten in diesem Zusammenhang. Man erfährt auch, dass der BND fürchtet, Russland könnte den in Deutschland inhaftierten Täter liquidieren lassen.

Dass das Opfer mutmaßlich an zahlreichen Anschlägen in Russland beteiligt war, bei denen zahlreiche Opfer zu beklagen waren, erfährt man dagegen nur ganz am Rande. Unter anderem soll es am Anschlag auf die Moskauer Metro beteiligt gewesen sein, bei dem zahlreiche Menschen ums Leben kamen. Der im Kleinen Tiergarten erschossene Changoschwili führte ein Leben in den Grauzonen der Gesellschaft, unterhielt Kontakte zum CIA und anderen Geheimdiensten, zu tschetschenischen Milizen, zu Islamisten. Darüber schweigt sich die Tagesschau weitgehend aus. 

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Lediglich Außenminister Maas wird in diesem Zusammenhang von der Tagesschau zitiert, der sich eine Beteiligung des Opfers an Anschlägen in Russland nicht vorstellen kann. So geht Rechtsstaat nach deutscher Interpretation. Die Tagesschau nimmt es hin. Dass sich Moskau schon vor langer Zeit um eine Auslieferung bemüht hat, wird verzerrt dargestellt. Putin habe gelogen, lässt uns die Tagesschau wissen. Dass sich Moskau auf Ebenen unterhalb eines offiziellen Auslieferungsgesuchs über die Chancen eines solchen bei den deutschen Stellen informiert hat, Deutschland aber deutlich signalisiert hat, es sei zu einer Auslieferung nicht bereit, verschweigt die Tagesschau

Festzuhalten ist, aufgeklärt ist bisher gar nichts, aber jeder, der sich bei der Tagesschau informiert, wird auf die Frage, wer im Sommer 2019 in Berlin einen Mann erschießen ließ, mit "Putin" oder "Russland" antworten. Es wurde ein antirussischer Spin erzeugt. Dass Deutschland mutmaßlichen Terroristen einen sicheren Aufenthaltsort bietet und sie vor Strafverfolgung schützt, geht dabei völlig unter. 

US-Großmanöver "Defender 2020": Klares Signal an Russland

Aktuell läuft ein Großmanöver der USA unter dem Namen "Defender 2020". Das Manöver ist das größte seit Dekaden und richtet sich direkt gegen Russland. Die Verlegung von Streitkräften an eine mögliche Ostfront wird geübt. Von Russland allerdings geht aktuell gar keine militärische Bedrohung aus. Es fehlt dem Manöver der konkrete Anlass, es kann daher für gar nichts anderes gehalten werden als für eine offene Provokation. Die Tagesschau stört sich an Fakten jedoch wenig, weshalb sie ihre Redakteurin Birgit Schmeitzner vom Bayerischen Rundfunk einen unsäglichen Meinungsbeitrag aufsagen lässt. Es braucht nämlich ein klares Signal an Russland, dass die NATO im Fall der Fälle bereit stünde, lässt sie uns wissen.

Nun kann einem auch nur halbwegs neutralen Beobachter nicht entgangen sein, dass die NATO nicht nur bereit steht, sondern auch gern mal nach vorn prescht, andere Länder überfällt und das Völkerrecht bricht. An der aggressiven Ausrichtung der NATO kann also gar kein Zweifel bestehen, an der aggressiven Ausrichtung der USA sowieso nicht. Der Hinweis Schmeitzers auf die Sorgen der baltischen Staaten bleibt einseitig, denn er nimmt deren anti-russische Aktivitäten nicht in den Blick, er lässt vor allem aber aus, dass Russland an einer militärischen Eroberung der baltischen Staaten überhaupt kein Interesse hat. Die baltischen Staaten waren für die Sowjetunion bereits eine ähnliche Last, wie sie es heute für die Europäische Union sind: teuer und wenig hilfreich.

Ungeachtet all dieser Tatsachen entsteht auch bei Schmeitzers Beitrag für die Tagesschau das Bild eines aggressiven Russlands, das nur leider der Realität in keiner Weise entspricht. Russland setzt in wesentlich stärkerer Weise auf Diplomatie und Vermittlung, als es Deutschland und die Mitgliedsstaaten der NATO tun. Auch Schmeitzer betreibt gegen Russland gerichtete Propaganda und vervollständigt so das Bild einer einseitigen Berichterstattung durch die Tagesschau.

Verfassungsreform in Russland: Putin der Diktator

Wenn eine große Mehrheit der Deutschen denkt, bei Russland handele es sich um eine Diktatur und bei Putin um einen Diktator, dann liegt auch das mit an dem Bild, das uns die Tagesschau vermittelt. 

Ganz objektiv handelt es sich bei Russland um eine präsidiale Demokratie, die Gewaltenteilung ist in der Verfassung festgeschrieben. Präsidiale Demokratie heißt, der Präsident hat relativ viel Macht gegenüber dem Parlament. Russland steht mit dieser Form jedoch nicht allein. Auch Frankreich hat eine präsidiale Demokratie, und auch das Mutterland und leuchtende Beispiel westlicher Werte, die USA, hat ein präsidiales System. 

In Russland wird dieser Machtkonzentration allerdings auch Rechnung getragen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo der Souverän das Recht hat, über ein Verfassungsorgan demokratisch mitzubestimmen – er wählt die Zusammensetzung des Bundestages –, können Russen über zwei Verfassungsorgane bestimmen: Sie wählen die Zusammensetzung der Duma und den Präsidenten direkt. So richtig undemokratisch ist das nicht. Es ist zumindest unmittelbarer als beispielsweise in den USA, wo erst Wahlmänner gewählt werden, die dann den Präsidenten wählen. Die durch die russische Verfassung herausgehobene Stellung des Präsidenten macht Putin also noch nicht automatisch zu einem Diktator. 

Nun hat Putin vor einigen Tagen bei seiner Rede an die Nation einen Umbau dieser Strukturen angekündigt. Daraufhin ist die Regierung zurückgetreten, und es wurde ein neuer Ministerpräsident ernannt, der den Auftrag hat, eine neue Regierung zu bilden. Putin strebt eine Verfassungsänderung an, über die die Russen in einem landesweiten Referendum abstimmen sollen. Solche Referenden auf Bundesebene sind in Deutschland nicht vorgesehen, sei hier am Rande angemerkt. Putin möchte die Macht des Präsidenten schwächen, die des Parlaments stärken. Das klingt jetzt noch ein bisschen weniger nach Diktatur. 

Die Tagesschau strickt daraus einen Beitrag mit dem Titel "Putins Reformen in Russland: 'Weiterhin Zügel in der Hand'" und verkehrt damit die tatsächlichen Vorgänge in Russland ins genaue Gegenteil. Ina Ruck informiert uns in ihrem Beitrag darüber, dass der Umbau bedeute, Putin wolle auch nach dieser Amtszeit weiter die Macht in Händen halten. Belege bringt sie dafür keine. Sie mutmaßt, Putin würde ein Amt schaffen, das über dem Präsidenten steht. Dass sie dafür keine Belege bringt, liegt ganz zentral daran, dass es dafür keine Belege gibt. Im Gegenteil hat Putin in Interviews deutlich gemacht, dass er genau das nicht tun wird. Das stört eine Tagesschau-Journalistin freilich wenig. Die Welt hat so zu sein, wie die Tagesschau sie sich denkt – zumindest für den Zuschauer. Putin hat in dieser Tagesschau-Realität gefälligst ein grausamer Diktator zu sein, der bis zum letzten Atemzug an der Macht klebt und sein Volk grausam unterdrückt. 

Als Fazit dieses kleinen Überblicks lässt sich festhalten: Die Tagesschau informiert nicht. Sie berichtet nicht über Fakten, sie baut Feindbilder auf, sie ist ein Teil der westlichen Kriegsmaschine, sie ist Heimatfront. Doch mit dem Scheitern der Tagesschau am Journalismus scheitert auch das Konzept des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es gelang ihm nicht, Strukturen, die Propaganda und Einseitigkeit ermöglichen und zu politischen Zwecken nutzen, tatsächlich zu überwinden. 

Neue Alternativen in der Medienlandschaft

Allerdings gründen sich auch immer mehr Alternativen. So ging kürzlich der türkische Auslandssender TRT Deutsch online, der einen Blick auf Deutschland und auf das Weltgeschehen aus türkischer Sicht wirft. Eine Perspektive, der man sich nicht immer und nicht automatisch anschließen muss, die aber als Korrektiv zu den deutschen Narrativen einem differenzierten Bild dienen wird. Ein Außenblick, dem wir so dringend bedürfen, denn wir bekommen die Pluralität der Perspektiven nicht eigenständig hin, wie die Tagesschau jeden Abend um 20 Uhr deutlich macht.  

Darüber hinaus startete mit Multipolar ein Online-Magazin, das verspricht, guten Journalismus zu liefern. Gleich in einem der ersten Beiträge erschüttert es die Geschichte um den Giftgasanschlag im syrischen Duma und die angeblichen Beweise dafür, die von der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) vorgelegt wurden. Zahlreiche Whistleblower aus dem Kreis der Fact-Finding-Mission der OPCW vor Ort widersprechen dem offiziellen Bericht und stellen klar, dass ihre vor Ort ermittelten Erkenntnisse nicht in den Bericht eingeflossen sind. Diese lassen jedoch den Schluss zu, dass es keinen Giftgasanschlag in Duma gegeben hat. Die OPCW wurde politisch instrumentalisiert und nachhaltig beschädigt. Davon findet sich in der Tagesschau nichts.

Im Gegenteil. Sucht man dort nach den Begriffen "OPCW" und "Duma" findet sich dort als aktuellster Eintrag ein Bericht vom 01. März 2019, der mit "Syrien: OPCW bestätigt Einsatz von Chemiewaffen in Duma" überschrieben ist. Das allerdings ist nachweislich falsch. Die Tagesschau wird auch in diesem Zusammenhang ihrem Informationsauftrag nicht gerecht. Das ist nicht verwunderlich, denn die Tagesschau ist ein Flaggschiff. Sie ist ein militärisches Instrument und dient nicht der Information. Das sollte der Zuschauer ganz dringend verinnerlichen.

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