Meinung

Winter oder Weihnachten? Ein Bericht aus Kuba

Wie sieht Weihnachten eigentlich auf Kuba aus? Unser Gastkommentator schildert, wie das Jahr sich auf der Karibikinsel in sozialistischer Gemütlichkeit dem Ende zuneigt. Ganz ohne den weihnachtlichen Stress, der so manchen in dieser Hemisphäre zur Verzweiflung treibt.
Winter oder Weihnachten? Ein Bericht aus KubaQuelle: Reuters © Alexandre Meneghini

von Marcel Kunzmann

Den besten Dezember hatte ich bis jetzt noch immer in Kuba. Wenn sich die Temperaturen langsam auf erträglichem Niveau (23 bis 28 Grad) einpendeln, das ganze Land Kurs auf die Ferien nimmt und das Jahr in sozialistischer Gemütlichkeit zur Neige geht – dann fühle ich mich wohl. Kein Adventskranz, keine Weihnachtsfeiern, kein Kaufrausch, keine vorweihnachtlichen Sonderangebote, kein "Wem muss ich aus Pflichtgefühl noch etwas schenken?", kein Nikolaus und keine Sternsinger in Aussicht. Heiligabend existiert auf Kuba nicht. Erst seit 1998 ist der 25. Dezember hier ein Feiertag. Doch davon bekommt man angenehmerweise kaum etwas mit.

Sicher, in manchem Laden hängen hilflos deplatzierte Lichterketten, und manches Restaurant stellt sich einen lächerlich kitschigen elektronischen Weihnachtsmann in den Garten. Aber alles in allem fällt das nicht auf, man vergisst völlig, dass es so etwas wie "Adventszeit" gibt. Jene Zeit des Jahres, in der die steuerlich erfassten Christen ihr scheinheiliges Glaubensbekenntnis unter dem Deckmantel familiärer Tradition unter Beweis stellen. In denen sie einmal im Jahr reumütig in die Messe dackeln wie geduldige Schafe, denen noch immer ein klein wenig die Angst vor dem Fegefeuer im Nacken sitzt. Dann gibt ihnen der Pfaffe gönnerhaft einen Wink ins Gewissen, auf dass sie sich bessern mögen, was natürlich nicht geschieht. Während im Fall der Katholiken immerhin eine Show mit allerlei Special Effects (Weihrauch, Laudato Si, monumentale Orgel) veranstaltet wird, müssen die Protestanten tendenziell deutlich stärker leiden. Aber immerhin: Der Adrenalinstoß der Geschenke entschädigt alle gleichermaßen für die ungemütliche Kniebank oder die langweilige Messe.

Doch auch im christlichen Abendland geraten die Rituale immer weiter ins Rutschen. Zu Recht! Wer würde heute noch seinen Kindern das Märchen eines "Christkindes" auftischen; jenes im mittleren Lebensalter ans Kreuz genagelten fleischlichen Sohnes, der aus dem jungfräulichen Akt einer Mesopotamierin mit einem alttestamentarischen Gott entsprang und der auf wundersame Weise in transzendentaler knabenhafter Gestalt Jahr für Jahr in ein jedes mitteleuropäische Wohnzimmer schwebt und großzügig die passenden Geschenke verteilt?

Gleichzeitig zeigt uns das Weihnachtsfest, wie sich germanische Bräuche mit Traditionen orientalischer Frömmigkeit vermischen, obwohl das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Wozu fällen wir Bäume, denen wir mit dem immer gleichen Schmuck langsam beim Verwesen zugucken? Wozu Unmengen Plätzchen backen, die man in drei Wochen ohnehin fortwirft, weil jeder sie satt hat? Wozu eigentlich der Tannenkranz mit den Kerzen, der so manches Haus in Brand steckt?

Kein Kubaner macht sich diese Mühe. Warum auch? Es gibt hier die unterschiedlichsten Glaubensrichtungen und Vorstellungen. Die einen glauben an Naturgottheiten in afrikanischer Tradition, andere glauben an Fidel – oder beides zugleich. Humanisten, Querköpfe und mehr gibt es in allen Varianten, und einige glauben inzwischen an gar nichts mehr. Christen verschiedenster Konfessionsrichtungen gibt es natürlich auch. Wie soll man da den Überblick behalten und sich auf so etwas wie "christliche Weihnachten" einigen? – Am besten: gar nicht.

Deswegen ist der Dezember auf Kuba genau das, was er eigentlich ist: der letzte Monat des Jahres, ein Moment des Rückblicks und der Besinnung – und das schaffen wir hier ganz ohne Pfaffen und Moralpredigt. Statt weltfremde Adventslieder zu singen, wird zu Neujahr traditionell ein Eimer Wasser auf die Straße gekippt, um die Schwierigkeiten des vergangenen Jahres hinfortzuspülen und einen Schlussstrich zu markieren. Neujahrsvorsätze gibt es hier auch. Und Feste. Der letzte Tag des Jahres gebührt traditionell der Familie. Dann schlachtet, wer kann, ein Schwein und teilt mit den Freunden und Nachbarn. Man quatscht, man säuft, man tanzt und hat Spaß. Ohne Kirchgang, ohne Tischgebet, ohne Urteil und Zwänge. Und am nächsten Tag hat alle Welt frei. Warum nicht zum Strand, das gute Wetter ausnutzen? "Last Christmas" habe ich hier noch kein einziges Mal im Radio gehört. Wie gesagt, den besten Dezember hatte ich bisher noch immer in Kuba.

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