Meinung

NATO-"Hirntod", Journalisten-Selbstsicht, CDU-Parteitag: Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Die Debatte um den Zustand der NATO, Einblicke in die Selbstsicht prominenter Journalisten und das Polit-Theater beim CDU-Parteitag in Leipzig: Vor allem diese Themen boten den Mainstream-Medien in dieser Woche Anlass für eine verzerrende Berichterstattung.
NATO-"Hirntod", Journalisten-Selbstsicht, CDU-Parteitag: Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: www.globallookpress.com

von Thomas Schwarz

Vorbemerkung: Einer der aktuellen und langfristigen Medienskandale ist der Umgang mit dem Putsch in Bolivien. Dieser mediale Umgang, der zwischen Leugnung und Rechtfertigung des Umsturzes schwankt, wurde bereits in der letzten Kolumne thematisiert – an dieser Situation hat sich in dieser Woche wenig geändert, sodass darauf verwiesen werden kann:

Was ist ein illegaler Putsch gegen einen gewählten Präsidenten – was ist (im Gegensatz dazu) ein legitimer Volksaufstand gegen einen "Diktator"? Die Antwort auf diese Frage wurde in dieser Woche einmal mehr nicht an festen Kriterien ausgerichtet. Stattdessen wurde die Deutung der Ereignisse in Bolivien zu einer Meinungsfrage erklärt: So haben sich fast alle deutschen Medien geweigert, den Umsturz gegen Boliviens Präsidenten Evo Morales anhand von bewährten Kriterien zu beurteilen und ihn dementsprechend als Militär-Putsch zu bezeichnen.

Die Finte mit der "internationalen Lösung": Beispiel NATO-Austritt

Eine bekannte und häufig angewandte Taktik, um unliebsame politische Vorstöße aufs Abstellgleis zu führen, ist die Forderung nach einer "internationalen Lösung". Es sollte immer skeptisch stimmen, wenn Politiker bei prinzipiell zu begrüßenden Plänen "nationale Alleingänge" kritisieren und stattdessen die erwähnte "internationale Lösung" einfordern. Diese Taktik konnte man etwa bei den Versuchen des Abschmetterns von nationalen Finanztransaktionssteuern beobachten – deren nationale Einführung wurde durch den Verweis auf die "einzig sinnvolle internationale Lösung" in zahlreichen Ländern erfolgreich verlangsamt.

Ein weiteres Beispiel, wie durch die gezielte Überfrachtung und "Internationalisierung" sinnvolle nationale Vorstöße verlangsamt werden, ist der Komplex der NATO. So wäre etwa der Austritt Deutschlands aus der NATO ein (im Vergleich zur "Auflösung" des Bündnisses) relativ unkomplizierter parlamentarischer Vorgang. Durch die unrealistische Ausweitung der Forderung auf eine gänzliche "Auflösung" der NATO rückt das realistische Ziel eines Austritts Deutschlands (aus einer weiter existierenden NATO) in fast unerreichbare Ferne: Als Folge der nur scheinbar "besseren" Forderung nach einer kompletten "Überwindung" der NATO bleibt die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands unberührt.

Atomwaffen: Heiko Maas kämpft gegen die SPD-Linie 

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat diese Taktik der destruktiven Überfrachtung guter Forderungen durch Internationalisierung nun am Beispiel der in Deutschland stationierten Atomwaffen genutzt – ausgerechnet in Hiroshima. So wehrt er die Forderungen (auch aus der eigenen Partei), die US-Atomwaffen endlich aus Deutschland abzuziehen, laut FAZ mit dem Hinweis ab:

Es nutzt nichts, wenn Atomwaffen von einem Land in das andere verschoben werden. Wenn sie verschwinden sollen, dann sollen sie überall verschwinden. (…) Wir brauchen, was die atomare Abrüstung angeht, vor allen Dingen Vereinbarungen auf breiter Basis, nicht nur in einzelnen Ländern.

Das bedeutet im Klartext: Wenn es nach Maas geht, werden die US-Atomwaffen erst abgezogen, wenn sich alle Länder über alle Atomwaffen geeinigt haben – wenn es nach ihm geht also mutmaßlich gar nicht. Die FAZ weist zu Recht darauf hin, dass sich die SPD im Bundestagswahlkampf für einen Abzug US-amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland stark gemacht hatte. So weicht Maas auch bei diesem Thema – ebenso wie etwa mit manchen Äußerungen gegenüber Russland – von der von den Genossen gewünschten Linie ab. Man fragt sich, warum dieses Verhalten parteiintern geduldet wird.

"Hirntod"-Rede: Keine Beerdigung der NATO, sondern ein "Wachrütteln"

Zum weiteren Komplex des "Verteidigungsbündnisses", angesichts von Macrons "Hirntod"-Rede und anlässlich des kürzlichen Treffens der NATO-Außenminister ist ein bestimmter medialer Tenor zu vernehmen: der, dass Macron die NATO nicht kritisieren oder gar beerdigen wollte, sondern im Gegenteil: dass er aufrütteln wollte, um neues Engagement für die NATO zu wecken. Das beschreibt stellvertretend etwa der Reutlinger Generalanzeiger.

Bei Macron hat sich der Frust über Amerikaner, Türken, Deutsche, die NATO und die EU entladen. Er hatte wie ein Lehrer in der Schule aufs Pult geschlagen, wenn es ihm zu bunt wird. Die NATO befindet sich tatsächlich in einer Krise, sie ist aber nicht hirntot. Frankreichs Präsident will das westliche Verteidigungsbündnis nicht abschaffen, er will es aufrütteln.

Weiterverbreitet ist auch die Deutung, Macrons Rede sei ein Argument für eine "Weiterentwicklung" der NATO und für höhere Rüstungsetats, wie es etwa die Neue Osnabrücker Zeitung beschreibt:

Frankreichs Präsident hat damit aber durchaus eine überfällige Debatte angestoßen. So ist es richtig, wenn Außenminister Heiko Maas nun die politische Weiterentwicklung des Bündnisses anmahnt. Das beinhaltet aber auch, dass Deutschland zu seinen Zusagen stehen und den Verteidigungsetat über 2020 hinaus erhöhen muss.

Derweil zieht Oskar Lafontaine all diese versuchten politischen und medialen Deutungen in Zweifel:

Mit seiner Feststellung, die NATO sei hirntot, hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die europäischen Vasallen der USA in Aufregung versetzt. Der brave Gefolgsmann Außenminister Maas, unterstützt von Merkel und Kramp-Karrenbauer erklärte schnell: 'Die NATO ist die Lebensversicherung Europas.' Wenn er sich da mal nicht irrt. (…) Was die Hirntoten unter den europäischen NATO-Befürwortern nicht begreifen ist: Russische Raketen müssen logischerweise auf die US-Einrichtungen in Deutschland und Europa programmiert sein. Wenn die USA weiter zündeln, indem sie Truppen und Raketen an der russischen Grenze stationieren und von Deutschland aus ihre Drohnenkriege führen, dann ist das keine Sicherheitsgarantie, sondern für die Deutschen und Europäer lebensgefährlich.

Chef von heute-journal fällt durch "Stresstest"

Wirklich interessante Einblicke in die Selbstsicht prominenter Journalisten sind selten, da die meisten Redakteure versuchen, direkte öffentliche Begegnungen mit rhetorisch begabten Kritikern zu vermeiden. Weit verbreitet sind stattdessen Journalisten-Runden, bei denen sich die Kollegen in lähmender Einigkeit die Bälle zuspielen. Der Chef der ZDF-Sendung heute-journal, Wulf Schmiese, hat sich nun aber auf eine solche Begegnung eingelassen. Einblicke lieferte darum eine Diskussionsrunde mit Journalisten im Deutschlandfunk unter dem Titel "Politischer Journalismus im Stresstest" (nur Audio). Man kann feststellen: Schmiese machte eine wenig souveräne Figur und ist durch diesen Stresstest glatt durchgefallen, der etwa aus Thesen des Chefredakteurs von NZZ.ch, Eric Gujer, bestand. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ist ein teils durchaus kritikwürdiges Medium, Gujers Schweizer Blick auf Deutschlands Medienlandschaft war aber dennoch teils interessant. So sagte Gujer etwa:

Die Journalisten in Deutschland sind im Stadium der beleidigten Leberwurst.

Das läge daran, dass sie ihre Rolle als Gatekeeper verloren hätten. Die klassischen Journalisten müssten sich mit der neuen Medienwelt arrangieren, und es mache keinen Sinn, weiterhin zu behaupten, sie selber seien die einzig Wirklichen und Wahren. "Diese Haltung nützt nichts, wenn die Konsumenten das nicht so sehen." Zudem erinnerte Gujer an einen bekannten Befund zur Berichterstattung zur Flüchtlingskrise:

Es ist zur Flüchtlingskrise 2015 wissenschaftlich aufgearbeitet, dass es einen gewissen freiwilligen Konformismus der Medien gab, die sehr ähnlich über Sachverhalte berichtet haben. Das fällt auch mir und vielen Freunden aus der Schweiz auf: Es existiert in Deutschland eine relativ homogene Meinungslandschaft. Das ist einer der Gründe, weswegen sich viele Menschen nicht repräsentiert fühlen.

Medienkritik ist ein "Geschäftsmodell"

Wulf Schmiese vom heute-journal war sich nicht zu schade, diese Kritik als "Geschäftsmodell" der NZZ abzukanzeln:

Es ist schon ein Ding, uns einen freiwilligen Konformismus zu unterstellen.(…) Ich denke, das ist eine Mär, die als Werbemaßnahme funktioniert, auch für die NZZ. Es stimmt nicht: Wir bilden ab, was ist. Wir peitschen nicht auf, wir stellen dar, was ist. (…) Es ist nicht so, dass wir etwas verschweigen wollten, das ist nicht wahr, dass unterstellt wird, wir würden ein Gesinnungsmedium sein.

Schmiese leugnet hier zum einen wissenschaftliche Befunde. Und er nutzt zum anderen die Strategie, Vorwürfe abzuwehren, die nicht erhoben wurden:

Wir haben nicht bewusst etwas unterdrückt. Ich wüsste gar nicht, wer das machen sollte. Kommt da jemand aus der Tapetentür gesprungen und sagt: 'Das schneiden wir raus!'? 'Ich bin der Intendant, weil Frau Merkel hat mich angerufen.' Blödsinn! Bullshit! Absoluter Quatsch! Es gibt diesen Kontakt nicht. Ich habe das in der ganzen Zeit beim ZDF nie erlebt, dass sich irgendjemand aus der Politik beim ZDF beschwert hätte.

Das hat Gujer aber nicht gesagt, der von "freiwilligem Konformismus" und nicht von erzwungener Zensur gesprochen hat, wie er richtigstellt:

Für die Situation 2015 ist der Befund keine PR-Maßnahme der NZZ, sondern ein wissenschaftlicher Befund des renommierten Medienwissenschaftlers Haller, der das untersucht hat im Auftrag einer Gewerkschaftsstiftung. Das Ergebnis ist klar: Es gab eine Konformität – nicht erzwungen, sondern freiwillig und durchaus beabsichtigt.

Parteitage: Aufwendig vorbereitete Bühnen für ein durchgeplantes Spektakel

Parteitage sind immer Inszenierungen. Sie sind aufwendig vorbereitete Bühnen für ein durchgeplantes Spektakel. Manchmal soll auch "Streit" Teil dieses Spektakels sein. Manchmal (ganz selten) bricht sich im Vorfeld aber auch ein realer Streit Bahn – es ist darum teils schwer zu beurteilen, ob die streitenden Partei-Flügel jeweils tatsächlich reale Konflikte austragen, oder ob nur eine Themen-, Personen-, Flügel- und Charaktervielfalt suggeriert werden soll. Auch wenn die Attacken des CDU-Politikers Friedrich Merz auf die amtierende Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer im Vorfeld des CDU-Parteitags also reale und ernst gemeinte Angriffe gewesen sein sollten: Durch die Dynamik des Parteitags schrumpften diese rebellisch anmutenden Vorstöße – in Verbindung mit Merz' anschließenden Treueschwüren – rapide auf das Maß eines gewohnten Polit-Theaters. Das beschreibt etwa die Aachener Zeitung:

Von Streitkultur war an diesem ersten Tag in Leipzig nicht viel zu sehen. Stattdessen: Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb. Überhaupt betonten ja plötzlich alle, dass in erster Linie das Inhaltliche im Vordergrund stehen sollte. So nachvollziehbar der Wunsch der Partei ist, Geschlossenheit zu demonstrieren, so irritierend ist es, das durch diese Art der Nicht-Auseinandersetzung einmal mehr der Eindruck erweckt wird, dass man es mit reinem Polit-Theater zu tun hat.

Kramp-Karrenbauer: Die Angezählte

Den Status von Kramp-Karrenbauer als höchst angeschlagene "Überlebende" skizziert zutreffend die Welt:

Mit ihrem Auftritt hat sich die CDU-Chefin erst einmal gegen ihre Kritiker durchgesetzt. Aber die Zweifel an ihr sind dadurch nicht kleiner geworden. Auch nach diesem Parteitag sehnt sich kaum einer in der CDU danach, mit Kramp-Karrenbauer als Kanzlerkandidatin in einen Wahlkampf zu ziehen. Außerdem kann man Vertrauensfragen nicht beliebig wiederholen, ihre Kraft verbraucht sich. Es hat ja Gründe, dass Angela Merkel in ihren 14 Jahren als Kanzlerin noch nie die Vertrauensfrage gestellt hat.

Mutmaßlich stimmig beschreibt der Tagesspiegel das widersprüchliche Verhalten von Merz und dessen dann doch wahrscheinlich relativ schlechte Chancen in der Partei:

Ein Jahr nach seiner verpatzten Rede bei der Bewerbung um den Parteivorsitz verstolpert Merz auch zu Beginn seinen Leipziger Auftritt, als er sich und die CDU als loyal lobt. Kopfschütteln im Saal. Wer hat Merkels Regierung noch mal ein grottenschlechtes Erscheinungsbild attestiert und das Revolutionsgeraune damit befeuert? Viel gefährlicher könnten Kramp-Karrenbauer am Ende ohnehin Armin Laschet und Jens Spahn werden, die ihr noch den Rücken stärken.

Grünen-Parteitag: Es war einmal eine Friedenspartei

Nachgereicht werden soll hier ein Bericht von einem anderen Parteitag. So berichtete auch das Neue Deutschland vom kürzlichen Konvent der Grünen. Unter der Überschrift "Es war einmal eine Friedenspartei" schreibt die Zeitung:

Der Parteitag im Mai 1999 war eine Zäsur für die Grünen. 20 Jahre später haben sie am Wochenende erneut eine Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld abgehalten und sind kaum wiederzuerkennen. In der Zwischenzeit haben die Grünen in der einstigen Bundesregierung mit der SPD auch den Kriegseinsatz in Afghanistan sowie in der Folgezeit diverse weitere Einsätze der Bundeswehr unterstützt. Die mit großer Mehrheit in Bielefeld wiedergewählte Parteichefin Annalena Baerbock wirbt am Wochenende auf der Bühne 'perspektivisch' für eine 'europäische Armee'.

Der Kommentator J. K. sagt dazu auf den NachDenkSeiten:

Im Neuen Deutschland findet sich die einzige kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Programmatik der Grünen. Deren Kriegsorientierung passt bestens zu den jüngsten Statements der Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die die Bundeswehr in weltweite Rohstoffkriege schicken will. Überraschen sollte dies jedoch nicht, schließlich will man 2021 mit an die Regierung, da muss der deutschen Oligarchie Verlässlichkeit signalisiert werden.

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