Die parteiische Macht um Acht: Syrienkrieg, Kurdenkrieg, Propagandakrieg

Der Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien verkompliziert die ohnehin verworrene Lage in dem kriegsgeplagten Land. Gerade jetzt wäre ein allumfassende, die verschiedenen Interessen herausarbeitende Berichterstattung angebracht. Doch die ARD kommt ihrem Sendungsauftrag nicht nach.
Die parteiische Macht um Acht: Syrienkrieg, Kurdenkrieg, PropagandakriegQuelle: Reuters

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Die Türkei ist unter Bruch des Völkerrechts in Nordsyrien eingefallen, mit Zustimmung der USA. Die haben sich mit ihren "Willigen" Großbritannien und Frankreich vom Acker gemacht. Rund um die türkische "Operation Friedensquelle" stinkt es nach Absprache unter allen Konfliktparteien, Kurden inklusive. Kanzlerin Merkel soll bereits im Frühjahr ihr Einverständnis mit Erdoğans Plänen erklärt haben. Aber sie, ihr Außenminister Maas sowie die EU insgesamt tun jetzt schrecklich empört und machen dicke Backen. Und die Tagesschau? Leidet an Allergie gegen analytisches Denken, gründliches Recherchieren und sauberes Berichten. Und ist mit ihrem Informationsauftrag objektiv überfordert.

Unsere Spitzenleute aus Hamburg stellen nicht mal die nächstliegenden Fragen: Was wird jetzt aus dem Einsatz der Bundeswehr in Syrien? Was folgt aus der Pleite der deutschen Außenpolitik im Hinblick auf Syrien? Nein, von dieser Redaktion mit dem schönen Titel ARD-aktuell ist keine umfassende Information zu erwarten. Sie machte tagelang nicht mal aufs Offensichtliche aufmerksam: Die Präsidenten Erdoğan, Trump, Putin und Assad schert das hilflose deutsche und europäische Gesabbel einen feuchten Staub. ARD-Spitzenjournalisten versuchen aus ihrer Kenntnisarmut bezüglich Kriegsmotiven und -zielen eine Tugend zu machen; sie geben als Ouvertüre ihrer Berichterstattung schon mal die Kurden in Nordsyrien als jüngstes Opfer der Geopolitik aus, als von den USA Verratene; deren "Autonomie"-Projekt Rojava sei am Ende.

Ein Blick in die eigenen Archive hätte sie daran erinnert, dass sie selbst vor gut sechs Jahren die Behauptung verbreitet hatten, die USA wollten nur zeitlich begrenzt in Nordsyrien "eingreifen". Ein weiterer Blick ins Lexikon hätte ihnen klargemacht, dass "Autonomie" lediglich selbständige Verwaltung nach innen, jedoch im Übrigen die Unterordnung unter die Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik sowie unter das Rechtssystem des Zentralstaates bedeutet. Autonomie hatte Syriens Präsident Assad den Kurden wiederholt angeboten.

Diese hatten stattdessen wechselnde Bündnisse mit Gegnern Syriens vorgezogen, die syrischen Ölquellen auf eigene Rechnung bewirtschaftet und sich dem Zentralstaat in jeder Hinsicht verweigert. Kurdischer Separatismus, nicht Autonomiestreben: Ein Blick ins Geschichtsbuch hätte ARD-aktuell-Redakteure gelehrt, dass die kurdische Historie eine ebenso tragische wie erfolglose, von Betrug und Verrat der Clanführer sowie von tiefer Zerstrittenheit der Stämme geprägte Suche nach Eigenstaatlichkeit ist.

Obamas "rote Linie": auch schon vergessen? Erst wurde sie wegen nie nachgewiesener syrischer Sarin-Nervengasangriffe auf die Rebellen deklariert. Als Syriens Präsident Assad überraschend sein Chemiewaffenarsenal unter internationaler Kontrolle vernichten ließ, wurde der Kriegsgrund gewechselt wie die schmutzigen Socken: Auf einmal sollte die US-Einmischung der Abwehr der IS-Terroristen dienen. Der "Islamische Staat" sei eine Gefahr für den gesamten Westen, nicht bloß für Syrien.

Tatsächlich ging es den USA nur darum, den Russen das Feld nicht allein zu überlassen. Eine klare Strategie gegen den IS hatte die Obama-Regierung nicht. Nur Verbündete für seine abenteuerliche Politik fanden sich schnell, eine Allianz von aggressiven "Willigen": Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen, Dänemark, Kanada, Türkei, später zeitweise auch noch die Niederlande und Belgien. Und Deutschland? Selbstredend: Die Bundesregierung spielte den politisch inkompetenten, gewissenlosen "Adabei". Sie diskutierte am 1. Dezember 2015 einen Einsatz der Bundeswehr in Syrien und ließ ihn – ohne ein notwendiges UN-Mandat – von der Bundestagsmehrheit am 4.Dezember beschließen:  

In diesem Zusammenhang werden auch militärische Maßnahmen auf syrischem Gebiet durchgeführt, da die syrische Regierung nicht in der Lage und/oder nicht willens ist, die von ihrem Territorium ausgehenden Angriffe durch den IS zu unterbinden. (Drucksache 18/6866)  

Das muss man besonders würdigen: Syrien "nicht in der Lage und/oder nicht willens"!

Diese Bösartigkeit war nicht mehr zu toppen. Einem Land, das bereits von internationalen Söldnerbanden, Dschihadisten und Al-Kaida-Mördern verwüstet und an den Rand des Abgrunds gebombt worden war – im Auftrag und mithilfe der USA sowie von deren türkischen, arabischen und europäischen Hiwis! – nun obendrein vorzuwerfen, es sei nicht willens, auch noch den Terror der Kopfabschneider des IS zu unterbinden, das ist der Gipfel deutscher Widerwärtigkeit. Die Tagesschau-Redaktion betätigte sich seinerzeit als kritiklose Verkünderin des Kriegseinsatzes von Bundesluftwaffe und Bundesmarine. Was scherte die Journalisten schon das Grundgesetz oder das Völkerrecht?

Der Umgang mit den Konflikten in der Großregion Syrien, Irak und Türkei zeigt, mit welcher Verlogenheit, Menschenverachtung und Brutalität der Westen und seine Verbündeten Staaten zerstören, Millionen Menschen in Tod und Elend stürzen, sinnlos Lebensgrundlagen und Kulturgüter vernichten. Schlimmer geht nimmer, aber sie tragen auch noch in maßloser Heuchelei als Motiv die Ideale "Humanität", "Frieden" und "Freiheit" als Monstranz vor sich her.

Im Krieg gegen Syrien haben Deutschland, die EU, die USA, die Golfstaaten und viele andere Länder jahrelang das Völkerrecht in Grund und Boden getrampelt. Nicht mehr erfassbar ist die Zahl ihrer Kriegsverbrechen, begangen allein in der Absicht, die Regierung Syriens zu stürzen. Heute heuchelt die Regierung Merkel, "Fluchtursachen bekämpfen" zu wollen, trägt jedoch gnadenlos dazu bei, der Zivilbevölkerung das Überleben in Syrien zu erschweren. Deshalb wagen viele syrische Flüchtlinge nicht, in ihre Heimat zurückzukehren. Die von Deutschland maßgeblich betriebene EU-Sanktionspolitik trifft in Syrien die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medizin und Energie. Völkerrechtswidrig, notabene, denn diese Sanktionen seitens der europäischen Kriegspartei verletzen das Humanitäre Völkerrecht.

Trotz dieser Verbrechen sind weite Kreise der deutschen Bevölkerung der Überzeugung, dass "wir" gut und untadelig gegenüber unseren ausländischen "Mitmenschen" seien und nur die "anderen" ("Machthaber" Assad oder "autoritärer" Putin) ihre Opfer brutal, mörderisch und menschenverachtend terrorisierten. Am Zustandekommen dieser Weltsicht hat die Tagesschau erheblichen Anteil. Wie sich schwerste Kriegsverbrechen und die Missachtung moralischer Normen für die Bevölkerung unsichtbar machen lassen (allein vier Millionen tote Muslime in den vergangenen 15 Jahren gehen auf das Konto des Wertewestens, ohne dass uns das bewusst ist), hat Rainer Mausfeld in seinem Vortrag "Warum schweigen die Lämmer?" aufgezeigt.

Nicht nur, aber gerade wieder in der Syrien-Berichterstattung erweist sich ARD-aktuell mit der Verbreitung von Desinformation und Meinungsmanipulation als zuverlässiger Begleiter und Interessenvertreter der Berliner Regierung und der herrschenden transatlantischen Eliten. Am Beispiel der Nachrichtengestaltung über die Türkei und deren Krieg gegen Syrien lässt sich aufzeigen, wie parteiisch und kritiklos oberflächlich die Tagesschau "informiert". Noch ist die Türkei eben NATO-Mitglied, und gegen einen Bündnispartner wird keine große Keule geschwungen. Auch nicht in unseren Massenmedien. Mit seiner Grenze zum Krisenbogen in Nahost und der beherrschenden Stellung an Bosporus und Schwarzem Meer ist dieser "Partner" Türkei für die NATO einfach unersetzlich, zumal er nach den USA auch die zweitgrößte Armee des Bündnisses stellt.  

(Die Türkei) liefert einen wichtigen Beitrag zu NATO-Operationen. Die NATO wäre ohne die Türkei zweifellos schwächer"), sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg und ließ die Katze aus dem Sack: Die Türkei grenze an die strategisch bedeutsame Schwarzmeerregion und "ist damit für das Verhältnis gegenüber Russland für das Bündnis wichtig."

Mit anderen Worten: Deshalb soll man den Türken getrost den Völkerrechtsbruch und ein paar abscheuliche Kriegsverbrechen nachsehen, aktuell die Erschießung von kurdischen Gefangenen und von Zivilisten, den planvollen Einsatz von islamistischen Mördermilizionären, den Artilleriebeschuss von städtischen Wohngebieten, die Vertreibung der Zivilbevölkerung ... So knautscht der oberste NATO-Funktionär sich die Ideale der "Westlichen Wertegemeinschaft" halt zurecht und versucht, seinen schmutzigen Kittel als weiße Weste auszugeben:

Auch wenn die Türkei ernstzunehmende Sicherheitssorgen hat, erwarten wir von der Türkei, mit Zurückhaltung vorzugehen", sagte er bei seinem jüngsten Besuch in Ankara. 

Er hätte auch sagen können: "Wenn ihr die Sau schon schlachtet, dann macht das aber schön langsam und mit Gefühl, damit es nicht so blutet."

NATO-Sprecher Stoltenberg weiß sich einig mit unserer auf Fensterreden und Theaterdonner beschränkten deutschen Politikerklasse. Bundeskanzlerin Merkel habe sich in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten für eine "umgehende Beendigung der Militäroperation in Nordsyrien" ausgesprochen, meldete die Tagesschau und war offenkundig nicht fähig und/oder willens, nach der Antwort zu fragen, die der Türke daraufhin gegeben hatte.

Nur "Muttis" angebliche Sorge um den Frieden galt es dem deutschen Publikum zu vermitteln: "Ungeachtet berechtigter türkischer Sicherheitsinteressen drohe die Offensive zur Vertreibung größerer Teile der lokalen Bevölkerung, zur Destabilisierung der Region und zum Wiedererstarken der Terrororganisation 'Islamischer Staat' zu führen."

Erdoğan dürfte schwer beeindruckt gewesen sein. Bei einer nachfolgenden Ansprache in Ankara fragte er nach Berlin gewandt ebenso höhnisch wie aggressiv:

Seid ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terrororganisation? 

Und schon war erst mal Ruhe im Berliner Karton. Nicht für lange allerdings. Am 17. Oktober gab die Tagesschau Merkels Regierungserklärung vor dem Bundestag auszugsweise wieder. Die Kanzlerin verlangte darin erneut einen Rückzug der Türkei und warnte – welch unfassbare Verlogenheit!:

Die Militäroperation der Türkei in Syrien bringt in dem ohnehin geschundenen Land nur neues menschliches Leid mit sich.

So sind sie, unsere Charakterdarsteller der "Westlichen Wertegemeinschaft": Bei friedlichen, von der Bevölkerung gewollten Sezessionen wie im Falle der Krim empören sie sich über eine angebliche Völkerrechtsverletzung, bezichtigen Russland der Annexion und beordern Panzerbataillone und Luftwaffengeschwader an die Ostfront. Beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Syrien und angesichts der dort veranstalteten Gräuel ihrer Verbündeten schließen sie die Augen und geben ein paar Seufzer von sich. An ein sofortiges und konsequentes Waffenembargo gegen die Türkei denken sie nicht, von Wirtschaftssanktionen gegen Ankara ganz zu schweigen. Mit Sanktionen terrorisieren sie lieber die syrische Bevölkerung.

Der unaufrichtige Stil, der Verzicht auf eigenständige Recherche und objektive Beschreibung von Interessenlagen, die Unterwerfung unter das transatlantische Propagandadiktat haben Tradition bei ARD-aktuell. Von Beginn des Syrienkriegs im Jahr 2011 an hat diese Redaktion unzählige Völkerrechtsverletzungen der Westlichen Wertegemeinschaft verharmlost oder verschwiegen. Nachrichtenunterschlagung und Falschnachrichten insbesondere hinsichtlich der äußerst zwielichtigen Rolle der Türkei waren gang und gäbe.

Erinnerlich ist sicher noch, dass in der Tagesschau davon die Rede war, dass die Türkei ein "Teil der von den USA angeführten Koalition gegen den Islamischen Staat" sei. Eine grobe Irreführung war das, denn wohl bombardierte die Türkei in diesem Bündnis fröhlich mit, machte aber unter der Hand blendende Geschäfte mit den IS-Terroristen.  

Es ist nicht zu vergessen, dass die türkische Nation dem IS und seinen dschihadistischen Satellitenorganisationen Zuflucht, Reisedokumente, medizinische Versorgung und logistische Unterstützung gewährt hat. Die Türkei war der Hauptempfänger von Öl, das vom Islamischen Staat exportiert wurde, und die Türkei unterhielt Freihandelszonen mit dem IS in Dscharablus und Ras Al Ayn, die den Islamischen Staat belieferten und ihn über Wasser hielten. Das war Erdoğans Politik, und sie wurde vom MIT (Türkischer Geheimdienst) und den türkischen Streitkräften durchgeführt." (Chuck Pfarrer, Antiterrorexperte und ehemaliger Navy Seal)

Auch in der Kurdenfrage rudert ARD-aktuell bis heute mit Erdoğan im gleichen Boot: Den Hinweis, dass die PKK bei den UN nicht mehr in der Liste der als terroristisch geltenden Gruppen aufgeführt ist, unterlässt ARD-aktuell regelmäßig und hält damit das vom Verfassungsschutz gepflegte diffamierende Bild vom PKK-Terrorismus gegenüber den Zuschauern aufrecht.

Beim türkischen Angriff auf Afrin ("Operation Ölzweig") Anfang 2018 setzte ARD-aktuell der Liebedienerei vor dem "Partner" in Ankara die Krone auf; unisono mit der Merkel-Regierung fand die Darstellung dieses Völkerrechtsbruchs phasenweise in der Diktion türkischer Regierungssprecher statt:

"Jubel für die befreundete türkische Armee ... Es seien kurdische Kräfte gewesen, die Hunderttausende arabische Bewohner in die Flüchtlingslager getrieben hätten, sagt ein anderer Mann, der jubelnd am Straßenrand steht", ließen Tagesschau & Co. verlauten und quasselten damit Erdoğans Völkerrechtsbruch zu.

Die Angegriffenen, die Kurden, kamen damals nicht zu Wort. Wen wundert das noch? Der Begriff "Völkerrechtsbruch" spielte in der gesamten Berichterstattung zum Überfall auf Afrin keine Rolle, obwohl sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages gutachtete

Einen überzeugenden Beweis dafür, dass sich die allgemeine Bedrohungssituation an der syrisch-türkischen Grenze zu einer konkreten Selbstverteidigungslage verdichtet hat, hat die Türkei nicht angetreten.

Das Gutachten wurde sowohl von der Bundesregierung als auch von ARD-aktuell ignoriert. Scheinheilig wie gewohnt bezeichnete die Kanzlerin die türkische Aggression in Afrin als "inakzeptabel", genehmigte aber weiterhin Rüstungsexporte. Parallel dazu unterschlug die Tagesschau, dass aus Afrin 200.000 Kurden mithilfe der mörderischen dschihadistischen Hilfstruppen Erdoğans vertrieben wurden. Das Fähnchen der Redaktion flatterte im NATO-Wind. 

Jetzt, ein Jahr später, seit US-Präsident Trump die Kurden als Verbündete im Kampf gegen den IS fallen ließ und sie der Unterwerfung und Vertreibung durch die türkischen Aggressoren aussetzt, fließen plötzlich in der Tagesschau die Krokodilstränen. Gegen den ohnehin missliebigen und grobschlächtigen Trump sind ja verbale Ausfälle erlaubt: Der US-Präsident übe "Verrat an einem Verbündeten", heißt es da.

Und als die ARD-aktuell-Redaktion tatsächlich berichtet, Syriens Präsident Assad habe den Kurden Schutz und Zusammenarbeit angeboten, kommt sie auf einmal sogar ohne den Schmähtitel "Machthaber" aus. Auch ansonsten war vorübergehend sachlicher Journalismus angesagt: ARD-Kommentatoren wagten sich aus der Deckung des transatlantischen Schutzwalls und sprachen Klartext. Ausnahmsweise.

Das war allerdings beileibe kein grundsätzlicher Kurswechsel. Die Redaktion folgte nur notgedrungen der Einsicht, dass eine fortgesetzt türkenfreundliche und kurdenfeindliche Berichterstattung aus Syrien der Öffentlichkeit nicht mehr vermittelbar gewesen wäre. Stattdessen nimmt sie nun die Gegenposition ein und bietet eine andere Art von Wirklichkeitsverfälschung: Die Kurden werden glorifiziert als Verfechter von Demokratie, Gleichberechtigung für Frauen, tüchtige und erfolgreiche Menschen, deren "Wirtschaft floriert, im Vergleich zu Restsyrien".  

Mit keinem Wort wird dabei darauf hingewiesen, dass Syriens Ölquellen hauptsächlich im Nordosten des Landes sprudeln, dass die Kurden die Region abspalteten und sich die Ressourcen im Verein mit den USA widerrechtlich aneigneten, und dass in diesem Ränkespiel eine der entscheidenden Ursachen für die vollkommen desolate wirtschaftliche Situation Syriens zu sehen ist.

Wie konnten sich die Kurden nur jemals auf die USA als Schutzmacht verlassen? Eine Frage, die die Tagesschau in Bezug auf deutsche Interessenlagen ebenfalls nicht stellte. Eine Frage, die sich jedem "Partner" dieser westlichen Wertegemeinschaft aufdrängt, sogar den Saudis.  Die Anschlussfrage für einen qualifizierten deutschen Außenminister müsste doch lauten: "Was hält uns Deutsche eigentlich in der NATO, in diesem Syndikat von Völkerrechtsverächtern und Kriegsverbrechern?"

Und die Tagesschau müsste diesen Minister vom ARD-Hauptstadtstudio dazu befragen lassen, und zwar unter Verzicht auf alle bisher übliche Schleimscheißerei. Aber ach, das ist ja das Elend: Die ARD-aktuell macht ihren Job nicht, sondern betreibt bloß Gefälligkeitsjournalismus.

Ein besonders eindrucksvolles Muster von Manipulation ist das "Erklärstück" über die angeblichen Interessenlagen der Beteiligten im kurdisch-türkischen Konflikt. Darin fehlt der deutsche Part, obwohl unsere Regierung fraglos bis zur Halskrause mit im Schlamassel steckt – und obwohl sie eine Hauptrolle bei der europäischen Widerwärtigkeit spielt, die Türkei als Bollwerk gegen syrische Flüchtlinge aufzubauen. Sie legt Erdoğan für die dazu erforderlichen Schweinereien denn auch sechs Euromilliarden auf die Kralle – in Raten.

Merkel, Maas und ihre EU-Kumpane wollen die europäischen Länder soweit möglich "flüchtlingsfrei" halten. Die zwangsweise Umsiedlung syrischer Hilfebedürftiger in wüstenähnliche Gebiete und abgeschirmte "Sicherheitszonen" weit weg von Europa nehmen sie in Kauf. Es handelt sich unbestreitbar um eine weitere schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts.

Um die naheliegende Problemlösung, nämlich die brutalen Sanktionen aufzuheben, über den Wiederaufbau Syriens mit den Verantwortlichen in Damaskus zu verhandeln und dafür die Milliardenbeträge aufzuwenden, weil das die freiwillige Rückkehr der syrischen Flüchtlinge ermöglichte, machen diese Politnieten einen großen Bogen. Wo Machtfragen entschieden werden, bleibt mitmenschliche Vernunft oft auf der Strecke.

Erdoğans Pläne für "Abschiebelager" jenseits der Südgrenze seines Staates sind, wie eingangs erwähnt, nicht neu. So hatte er schon vor Monaten großspurig angekündigt, dass das staatliche Wohnungsbauunternehmen Toki im nun umkämpften Sicherheitsstreifen "zweistöckige Häuser mit Garten" für die rückkehrenden Syrer bauen werde. Merkel habe diese Pläne gutgeheißen, ließ er bereits Anfang des Jahres wissen. Deutsch-türkische Kumpanei: so eng, so verständnisinnig und "freundschaftlich", dass unser Außenminister Maas beim Besuch in Ankara mit seinem türkischen Amtskollegen zum vertraulichen 'Du' überging und die bisherigen Meinungsverschiedenheiten als "Missverständnisse" abtat.

Auch für dieses Detail – unser Außenminister ohne Rückgrat scharwenzelt vor der Hohen Pforte – war kein Platz in den Angeboten der Tagesschau. Sie übernahm lieber unkritisch die euphemistische Formel "Sicherheitszone" von der türkischen Regierung, als von einer geplanten Annexions- und Deportationszone zu sprechen. Obwohl außer Frage steht, dass die Türkei weder echten Bedarf noch gar einen Anspruch auf eine Sicherheitszone auf syrischem Territorium hat. Die syrisch-türkische Grenze ist bereits eine der am stärksten befestigten und bewachten Grenzen der Welt. Ein hoher und viele Meter tiefer Stacheldrahtwall auf stark vermintem Gelände und mit Wachposten auf kurze Distanz zueinander, so zeigt sich diese Sperranlage auf der gesamten Grenzlänge. 

Das ist die Kulisse, vor der die Tagesschau schon jetzt versucht, die geplante Deportation von Flüchtlingen zu verschleiern und die deutsche Öffentlichkeit für die Deportationszone einzunehmen. Tenor: Ist doch alles halb so schlimm, das sagen ja sogar die Menschen, die dort leben ... Eine grundsätzlich kritische Position gegen den türkischen Expansionismus nach Syrien wird nicht riskiert.

Verkehrte Welt. Verkehrt unter tätiger Mitwirkung der Tagesschau: Da entscheidet dieser großsprecherische, grobschlächtige, stillose, pöbelnde, von seinen innen- und außenpolitischen Gegnern ebenso gehasste wie verachtete US-Präsident Trump endlich und ausnahmsweise, mal das Richtige zu tun – ob willentlich oder unbeabsichtigt, bleibt dahingestellt – und beendet eine völkerrechtswidrige militärische Einmischung der USA. Er lässt die Bombenflüge einstellen und befiehlt seinen Truppen den Abzug aus einem Land, in dem sie nichts verloren hatten und von dem er ohnehin nicht viel zu wissen scheint; prompt wird ihm auch das wieder als geostrategischer Fehler angekreidet, als "Verrat an Verbündeten", als Geschenk an IS-Terroristen, als Preisgabe einer geopolitisch wichtigen Bastion der USA und als Verzichtpolitik zugunsten Putins.

So tönt es auch aus der Tagesschau. Nicht wortwörtlich, aber dem Sinne nach. Dass sich mit dem US-Rückzug zumindest eine Option für das Ende des seit fast neun Jahren tobenden Syrienkrieges ergibt, darauf machte die ARD-aktuell-Redaktion nicht aufmerksam. Sie setzt ohnehin nicht auf den Wissens- und Erfahrungsreichtum unabhängiger Fachleute. Die Journalistin Karin Leukefeld, der Publizist Michael Lüders oder Professor Günter Meyer beispielsweise tauchen nicht als Interviewpartner im Nachrichtenangebot auf, trotz ihrer enormen Sachkenntnis.

Tagesschau-Leute versetzen sich auch nicht in die Lebensrealität der Bewohner Nordsyriens und empfinden nicht nach, dass die selbst einen brüchigen, vorübergehenden Waffenstillstand und den Teilabzug kurdischer Milizen als ein Geschenk des Himmels begrüßen. Kaum hatte Trump mit einer Feuerpause seinen neuesten "Deal" gemacht, erlaubte sich die intellektuelle Lichtgestalt der Tagesthemen, Caren Miosga, diesen als wertlos zu bemäkeln:

Nach Syrien und zu einer Waffenruhe, die den Namen nicht verdient. Das war gestern Abend schon klar. Heute Nacht und am Tag wurde weitergeschossen...

Die Redaktion wahrt den Kurs der US-amerikanischen Kriegsindustrie und deren politischer Gefolgschaft, voran der deutschen Regierung. Dass die Berliner Außenpolitik nicht den kleinsten substantiellen Beitrag zur Konfliktlösung in Syrien leistet, bleibt unkommentiert. Nicht etwa die Tagesschau, sondern ein hessischer Publizist und seine Unterstützer hielten fest, was tatsächlich hinter den Berliner Kulissen gespielt wurde: Dass unser größter Außenminister aller Zeiten, der ungebremste Selbstdarsteller Heiko Maas, abseits jeder friedenspolitischen Linie mit den kurdischen Anführern in "Rojava" paktierte, solange die noch das syrische Öl kontrollierten, es dem syrischen Staat entzogen und ihn damit wirtschaftlich auszubluten halfen.

Die ARD-aktuell sollte auftragsgemäß das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wahrnehmen und es insbesondere gegenüber der Bundesregierung durchsetzen. Ergo müsste die Redaktion das "ARD-Hauptstadtstudio" beauftragen, sich diesen Maas mal gründlich vorzuknöpfen und ihn journalistisch sauber zu durchleuchten. Doch eher geht das bekannte Kamel durchs besagte Nadelöhr. Bis dahin heißt es nur "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau". Alle Angaben wie immer ohne Gewähr.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein "Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V." dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog 

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